Industrie präferiert weiter Silizium

Dämpfer beim SiC-Hype?

12. Dezember 2022, 14:30 Uhr | Engelbert Hopf
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SiC durchläuft den klassischen Hype-Cycle, der auch temporäre Rückschläge beinhaltet, etwa wenn potenzielle Anwender wieder vom angestrebten Einsatz der neue Technologie zurücktreten, weil die aufgebauten Fertigungskapazitäten nicht ausreichen, um das exponentielle Bedarfswachstum für die neuen Bauelemente zu stillen.
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Unter dem Eindruck der Fokussierung der SiC-Leistungshalbleiterhersteller auf Automotive-Anwendungen, und damit verbundene eventuelle Lieferprobleme für Industriedesigns, werden Industriekunden beim Umstieg auf SiC-Designs vorsichtiger und präferieren weiter Silizium-MOSFETs und -IGBTs.

Auf der electronica wurde in Leistungselektronik-Kreisen intensiv darüber diskutiert, ob Europas Industriekunden den Wechsel von IGBT auf SiC weiter forcieren oder aus versorgungstechnischen Gründen kurzfristig weiter auf IGBTs setzen. Eine Diskussion, die für Thomas Grasshoff, Head of Strategic Marketing bei Semikron-Danfoss, den klassischen Hype-Cycle neuer Technologien widerspiegelt: »Die Realität hält Einzug, das heißt, die Kapazitäten erreichen nicht das versprochene Niveau, es gibt noch technische Schwierigkeiten, und die Zeitpläne waren wie immer zu optimistisch.«

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Thomas Grasshoff, Semikron-Danfoss: »Das ist der klassische Hype Cycle neuer Technologien; letztlich war man wie immer zu optimistisch. Einige Kunden gehen deshalb wieder auf IGBTs zurück, um ihre Projekte nicht zu gefährden.« 
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Nach seiner Beobachtung gehen deshalb einige Kunden wieder auf IGBTs zurück, um ihre laufenden Projekte nicht zu gefährden; »diese Entwicklung sehen wir seit etwa einem halben Jahr«. Grasshoff stellt aber auch klar: »Der SiC-Trend ist nicht aufzuhalten, wird aber nicht die Größenordnung und die Geschwindigkeit erreichen, wie sich das manche wünschen. Außerdem wird aktuell das Thema GaN als Alternative wieder stärker diskutiert, vor allem im Hinblick auf 3-Level-Anwendungen.«

Auch Tobias Keller, Vice President Global Product Management bei Hitachi Energy, beobachtet den Trend seit etwa neun Monaten: »Es hängt vermutlich damit zusammen, dass der SiC-Ramp-up zwar begonnen hat, aber noch nicht derart fortgeschritten ist, wie das erwartet worden wäre.« Keller schränkt ein, dass sich seine Beobachtung auf den Modulmarkt beschränkt. Er weist zudem darauf hin, »dass auch Automotive-OEMs darüber nachdenken, die zweite Achse, die nur zur Unterstützung benötigt wird, in Silizium auszuführen. Einerseits aus Kosten-, ande¬rerseits aber auch aus Verfügbarkeitsgründen«. 

Bei Infineon Technologies hat man zur beobachteten Marktentwicklung eine klare Meinung: »Entscheiden sich Industrieunternehmen für eine Rückkehr zu IGBTs, so hat das eher mit Verfügbarkeit zu tun.« Infineon sieht hier für sich als einziges Unternehmen aufgrund seines breiten Angebots an Leistungshalbleitern auf Basis von Silizium, SiC und GaN den Vorteil, den Kunden je nach gewünschter Applikation ergebnisoffen beraten zu können. 

Dr. Martin Schulz, Global Principal Application Engineer bei Littelfuse Europe, weist darauf hin, dass auch im Bereich Commercial Vehicle in der Masse immer noch auf IGBTs gesetzt wird; auch in der Lade-Infrastruktur seien IGBTs derzeit nach wie vor die dominierende Größe, »und das hauptsächlich vor dem Hintergrund der etablierten und gut prognostizierbaren Lebensdauer und Zuverlässigkeit«. Seine Einschätzung lautet: »Der größte Teil dessen, was derzeit in die DC-Lader integriert ist, besteht aus Silizium, und für die aktuell erste Generation wird das keiner der etablierten Hersteller ändern.«

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Florian Freund, Arrow Electronics: »Einige Kunden, die geplant hatten, ihre Plattform von IGBT auf SiC umzustellen, haben diese Absicht zurückgestellt, da sie sich gegebenenfalls Lieferschwierigkeiten bei SiC gegenübersehen können.«
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Auch an der Distribution geht die Zurückhaltung der Industriekunden nicht spurlos vorbei. »Einige Kunden, die geplant hatten, ihre Plattform von IGBT auf SiC umzustellen, haben dies erst einmal zurückgestellt, da sie sich gegebenenfalls Lieferschwierigkeiten bei SiC gegenübersehen könnten aufgrund mangelnder Verfügbarkeit«, so Florian Freund, Director Engineering in Central Europe bei Arrow Electronics. Derzeit würden viele SiC-Produkte einen hohen Absatz etwa im Automobilmarkt und in der Ladeinfrastruktur finden; »somit gehen viele Kunden bei ihren Designs erst einmal auf Nummer sicher, was aber nicht heißt, dass die besagte Umstellung auf SiC nicht weiter ansteht«. 

Der Grund für diese Haltung ist für Freund klar: »Durch das rasante Wachstum im Leistungshalbleitermarkt hat sich die Verfügbarkeit von SiC in der Breite verzögert, da es bei der Technologie einen erheblichen Zeitversatz zwischen Investitionen in zusätzliche Kapazität und die tatsächliche Verfügbarkeit zusätzlicher Produkte gibt. Das hat dazu geführt, dass neue Designs wieder auf traditionelle Technologien wie Silizium-MOSFETs und IGBTs bauen.«

Auch für Udo Blaga, Technology Application Expert Power und High Power bei Avnet Silica in der DACH-Region, ist klar: »Für sehr kurzfristige Power-Elektronik-Entwicklungen mit Produktionsstart noch im Jahr 2023 wird es weiterhin schwierig sein, neue Aufträge für SiC-Bauteile bestätigt zu bekommen. Daher kann der Rückgriff auf schneller verfügbare IGBTs durchaus sinnvoll sein, um dann in der zweiten Generation auf SiC zu migrieren.« Ein weiterer Grund könnte aus seiner Sicht sein, »dass SiC insbesondere für preissensitive Applikationen dieser Tage nicht in jedem Fall zwingend notwendig ist. In solchen Fällen könnte, bezogen auf die Bauteilekosten für den reinen Switching Node, insbesondere für den Fall, dass die höhere Abwärme als Prozesswärme dienen könnte, der klassische IGBT nach wie vor kostengünstig zum Einsatz kommen«.

Blaga Udo
Udo Blaga, Avnet Silica: »Für sehr kurzfristige Power-Elektronik-Entwicklungen mit Produktionsstart noch 2023 wird es weiterhin schwierig sein, neue Aufträge für SiC-Bauteile bestätigt zu bekommen.« 
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Aus Sicht der Marktforscher Ezgi Dogmus, Team Lead Analyst, sowie Poshun Chiu und Taha Ayari, Technology and Market Analysts im Compound Semiconductor & Emerging Substrates Team der zur Yole Group gehörenden Yole Intelligence, sind IGBTs nach wie vor definitiv die Technologie für Applikationen mit hohem Volumen.

SiC-Hersteller streben derzeit nach Marktanteilen, auch im vierten Quartal 2022 konzen¬trieren sie sich vor allem auf Premium-Segmente mit hohen Effizienzanforderungen; das gilt sowohl für Automotive- wie Industrieanwendungen.« Aus ihrer Sicht sind IGBTs nach wie vor gute Lösungen, wenn es um Volumenapplikationen, wettbewerbsfähige Kosten und Langzeit-Zuverlässigkeit für 400-V-E-Mobility, Industrieelektronik und Stromversorgungsanwendungen geht. 

Zurückhaltender, was eine mögliche Verlängerung von IGBT-Plänen angeht, gibt sich Harald Kasteleiner, Business Unit Manager Analog, Power & Sensors bei Glyn: »Wir können eine solche Entwicklung derzeit noch nicht bestätigen. Abhängig von den spezifischen Applikationsanforderungen unserer Kunden werden entsprechende klassische Silizium- oder trendige SiC-Bauteile favorisiert.« 

Armin Derpmanns, Head of Semiconductor Marketing & Operations bei Toshiba Electronics Europe, versichert, »dass auch angesichts der Verknappung von SiC-Bauteilen Kapazitäten für den Industriebereich zur Verfügung stehen, da die Lösungen zwischen dem Automobil- und Industriemarkt sich technisch gesehen unterscheiden«. Zudem ist er sich sicher, »dass durch den allgemeinen Trend, die Energieeffizienz zu erhöhen, auch die Industrie vermehrt SiC-Lösungen einsetzen werden muss«.

Ähnlich argumentiert man auch bei onsemi. Der Wechsel von IGBT- zu SiC-Schaltungen im Industrieelektronikbereich vollziehe sich in Asien rascher als in Europa, so die Marktbeobachtung dort. onsemi weist darauf hin, dass man gezielt SiC-Kapazität für den Industrie- sowie den Massenmarkt zur Verfügung stelle und entsprechende Support-Programme für diese Anwendungsmärkte fahre.


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