Niemand zweifelt mehr an einer bevorstehenden weltweite Rezession. Aber bei den Leistungshalbleitern geht immer noch alles, was an IGBTs und MOSFETs aus der Produktion kommt, direkt an den Kunden. Was passiert, wenn die neuen 300-mm-Fabs ab 2023/24 in den Markt liefern ist die interessante Frage.
Wird der europäische Leistungshalbleitermarkt in den nächsten Monaten von einem nachlassenden Konsumgüter-Bedarf in Asien profitieren? Die Teilnehmer beim Leistungshalbleiter-Roundtable der Markt&Technik halten eine solche Entwicklung für möglich. »Das würde für uns in Europa und in Deutschland mehr Kapazität zur Folge haben«, so Dr. Ester Spitale, als Technical Marketing Manager in der EMEA-Region zuständig für Discrete & Smart Power bei STMicroelectronics.
»Bis zur Jahresmitte hatte die Allokation weiter einen sehr hohen Bestand«, beschreibt Thomas Grasshoff, Head of Strategic Marketing bei Semikron Danfoss, die Marktsituation im bisherigen Jahresverlauf 2022. »Im zweiten Halbjahr sehen wir nun eine Art Soft Landing, das heißt, das Wachstum schwächt sich auf einem sehr hohen Niveau ab. Das gilt sowohl für Deutschland als auch weltweit.«
Was das etwa für die Distribution bedeutet, macht Harald Kasteleiner, Business Unit Manager Analog & Power bei Glyn, deutlich: »Wir sehen bislang weder bei IGBTs noch bei MOSFETs eine Entspannung am Markt. Alles, was reinkommt, liefern wir sofort wieder aus. Dazu, ein Lager bei IGBTs und MOSFETs aufzubauen, kommen wir überhaupt nicht!« Wenn es denn zu einer Entspannung aufgrund der frei werdenden Kapazitäten in Asien komme, »dann werden wir das hier wohl erst in drei, vier oder sechs Monaten merken«.
Angesichts der nun schon seit über zwei Jahren dauernden Ausnahmesituation in den Lieferketten zeigten sich die Diskussionsteilnehmer doch etwas davon überrascht, wie sehr die Bauteilbeschaffung inzwischen ihre Kunden absorbiert. »Es ist mir noch nie so deutlich wie in diesem Jahr in den Gesprächen mit den Kunden aufgefallen, wie sehr sie mit dem Thema Ersatzbeschaffung beschäftigt sind«, beschreibt Alfred Hesener, Senior Director Industrial Applications bei Navitas, seine Erfahrungen; »es war schwierig, irgendwelche Termine zu bekommen, weil alle damit beschäftigt sind, irgendwelche Kleinsignaltransistoren auszutauschen«. In der Konsequenz könnte das zu Innovationsverzögerungen führen.
Wenig überrascht zeigten sich die Diskussionsteilnehmer darüber, was seit dem Beginn des völkerrechtswidrigen Kriegs Russlands gegen die Ukraine im Bereich erneuerbarer Energien geschieht – die Bedarfe schießen nach oben. Wie extrem, das beschreibt Marcus Lippert, Business Development Manager bei StarPower, mit Blick auf den Bereich Wärmepumpen: »Das ist enorm, was da von den Herstellern durch die Lieferkette kommt, das ist überhaupt nicht darstellbar! Da wird von Stückzahlen gesprochen, die hochgefahren werden sollen, das kann aktuell keiner produzieren. Hier reden wir von Allokation bis tief ins nächste Jahr hinein!«
Riesiger Bedarf trifft, das wird beim Forum sehr deutlich, im Bereich SiC auf riesige Investitionen. »Wenn wir als Spätstarter in Sachen SiC mit den Kunden sprechen, wird deutlich, dass dort immer noch die Befürchtung vorherrscht, nicht ausreichend mit Material bedient werden zu können«, gibt Achim Baum, zuständig für Regional Marketing EMEA bei Nexperia, zu Protokoll. »Wir hören immer wieder, dass jeder neue Hersteller, der sich da engagiert, willkommen ist!«
Nägel mit Köpfen in Sachen SiC macht derweil Wolfspeed. Nachdem das Unternehmen erst im Frühjahr dieses Jahres sein neues 200-mm-Werk eröffnet hatte, erfolgte inzwischen bereits der Spatenstich für die nächste Fabrik. »Im ersten Schritt investieren wir noch einmal 1,8 Milliarden Dollar in eine Fab, die bereits 2024 erste Produkte an den Markt liefern wird«, erläutert Ole Gerkensmeyer, Director Automotive Sales EMEA bei Wolfspeed. »Bis 2030 werden wir dann weitere 3,2 Milliarden Dollar in den Vollausbau dieser neuen Fab stecken.«
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