Noch schmelzen die Lager an passiven Bauelemente bei Distributoren und Kunden ab, die Nachfrage stagniert. Doch das könnte sich in der zweiten Jahreshälfte dramatisch ändern. Führende Vertreter der Branche warnen bei einem Roundtable vor der akut drohenden Rückkehr einer massiven Allokation.
Wir sehen aktuell erste Anzeichen für eine Trendwende am Markt«, beschreibt Ferdinand Leicher, Vice President Sales EMEA bei Bourns, die aktuelle Entwicklung am Markt für passive Bauelemente in der DACH-Region. »Das Inventory geht leicht runter, die Nachfrage zieht langsam hoch.« Auch Dr. Arne Albertsen, Senior Sales Manager bei Jianghai Europe, sieht »ein zartes Wachstum bei den Auftragseingängen, der Markt ist nicht mehr ganz so tief im Tal der Tränen wie in den letzten Monaten. Mit gutem Willen kann man das als Trendwende beschreiben«.
Dass die Situation auf dem deutschsprachigen Markt für passive Bauelemente spätestens seit Mitte letzten Jahres »challenging« war, wie es manche der zum diesjährigen Forum »Passive Bauelemente« versammelten Branchenexperten ausdrücken, steht außer Frage. Das Verzwickte an der Situation ist nur, dass die in Aussicht stehende Normalisierungsphase wohl nur von kurzer Dauer sein wird. Aller Voraussicht nach wird das Pendel in naher Zukunft wieder in das andere Extrem ausschlagen: von vollen Lagern und vergleichsweise geringen Ordervolumen hin zu einer neuen Allokationsphase.
Wer das für eine seltsame Form von Salesman-Talk und ein Schreckgespenst hält, das die Branche in Zeiten niedriger Umsätze gerne herausholt, der könnte in der zweiten Jahreshälfte 2024 eine böse Überraschung erleben. So sind sechs der versammelten elf Experten fest davon überzeugt, dass die nächste Allokation kommen wird. »Die Frage ist nicht ob, sondern wann«, stellt Denis Bittigkoffer, Senior Manager Product Marketing Capacitors bei Rutronik, klar. »Es kann bereits im 4. Quartal dieses Jahres soweit sein, es kann aber auch erst im 1. Quartal 2025 dazu kommen.«
Die Experten für passive Bauelemente weisen schon jetzt in den Kundengesprächen warnend auf das nächste, sich aufbauende Allokationsereignis hin. »Wir raten unseren Kunden, schon langsam wieder für das zweite Halbjahr zu bestellen«, versichert Josef Vissing, President von TDK Europe; »wie immer wird das dann erfahrungsgemäß überraschend an einem Tag nach den Sommerferien beginnen«. – »Aktuell warten viele noch auf mögliche Preisreduzierungen oder weitere Lieferzeitverkürzungen«, beschreibt Peter Kokot, Sales Director CE North bei Avnet Abacus die Situation; »wenn es dann wieder losgeht, dann wird das geballt geschehen und wie eine Wand auf uns zukommen«.
Letztlich war es Panik, die viele Kunden dazu trieb, sich die Lager zu füllen |
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In der Branche stellt man sich also bereits auf einen heißen Herbst ein; womöglich werden CEOs, Presidents und andere Führungspersönlichkeiten auf der diesjährigen electronica wieder alle Hände voll damit zu tun haben, in Panik geratenen Kunden zu erklären, warum ihre plötzlich dringend benötigten Auftragschargen nicht vorgezogen werden können. Die versammelten Experten beim Roundtable der Markt&Technik beleuchten die Gründe dafür, warum es einmal mehr zu einer solchen Ausnahmesituation kommen wird.
Leicher spricht von »Wishful Thinking«, das sich 2021/22 in der Branche breit gemacht hat, »aber das war nicht real, das war ein surreales Marktverhalten«. Letztlich war es Panik, die viele Kunden dazu trieb, sich die Lager zu füllen aus Angst, entweder nicht genügend Material zu erhalten oder dass die Preise in der Corona-Pandemie noch weiter nach oben gehen würden. Das ging so lange gut, wie der Auftragseingang hervorragend aussah, die Auftragsbücher über zwölf Monate und länger gefüllt waren. Das änderte sich spätestens Mitte letzten Jahres. Erst gingen die Aufträge zurück und infolge dessen dann auch die Umsätze.
In der Konsequenz bedeutet das inzwischen vielerorts Cashflow-Probleme. Zwar bauen die Kunden inzwischen ihre Lager ab, aber sie sitzen in einer Zwickmühle, wie es Jean von Redwitz, ein langjähriger Kenner der Branche der passiven Bauelemente, ausdrückt: »Sie haben schlicht nicht das Kapital dafür; viele Kunden sagen, sie würden ja gerne, aber die Kapitalbindung sei derzeit das Problem.« Dr. Albertsen verweist auf ein typisches Telefonat mit dem Einkaufsleiter eines Industriekunden, der sinngemäß sagte, »ich würde ja gerne wollen«, aber sein Finanzvorstand habe ihn angewiesen, das Geld zusammenzuhalten und sich nicht zu viel Inventory ans Bein zu binden.
Joachim Pfülb, Vice President und Prokurist bei Beck Elektronik Bauelemente, schneidet das Thema Lieferantenkredite an: »Es gibt eine steigende Zahl von Kunden, die sind auf der einen Seite mit steigenden Kosten konfrontiert und auf der anderen Seite mit sinkenden Einnahmen, das kann dann für das eine oder andere Unternehmen schon existenziell werden!« Harald Sauer, Director bei Taiyo Yuden Europe, weist noch einmal darauf hin, wie es zu dem Stimmungswandel kam: »Wir haben im 1. Quartal 2023 eigentlich noch sehr schön abgeliefert, doch dann ging es stetig nach unten, dann kam für uns als japanisches Unternehmen der Jahresabschluss und es war klar, dass sich die Kunden nichts mehr aufs Lager legen werden. Inzwischen sehen wir eine leichte Verbesserung der Situation.«
»Das ist Psychologie, da wurde durch die steigende Inflationsrate und die steigenden Zinsen etwas ausgelöst, das sich jetzt nicht wieder so schnell einfangen lässt«, meint Guido Renner, Global Sales Director BU Components Sales bei der Isabellenhütte Heusler. »Wir in Deutschland haben ja noch das Instrument der Kurzarbeit, das wir auch ausreizen und ausschöpfen, damit wir dann, wenn es wieder losgeht, schnell sind und nicht wieder von vorne mit dem Aufbau des Personals anfangen müssen.«
Aber diese Psychologie wird Folgen haben. Auch wenn es aus Sicht der Finanzvorstände aktuell notwendig sein mag, die Kosten im Blick zu haben, hat diese Maßnahme in der Fernwirkung teils dramatische Konsequenzen. So berichten die Diskussionsteilnehmer von deutlichen Produktionsanpassungen, nicht nur in asiatischen und nordafrikanischen Fertigungsstätten. Weltweit hätten Factory-Manager in den letzten Monaten die Chance ergriffen, ihre Kostenstruktur an die verringerte Auftragslage anzupassen.
Dass das Konsequenzen haben wird, wenn der Lagerabbau bei den Kunden und in der Distribution im Laufe der nächsten Monate weiter fortschreitet, macht Markus Stark, Head of Product Technology & Strategy für Passive bei Würth Elektronik eiSos, sehr deutlich: »Wenn es rein darum geht, eine Fertigung wieder in Richtung einer hohen Auslastung zu bringen, dann dürften sechs Monate dafür eine gute Zeitangabe sein. Diese Zeit ist notwendig, um die entsprechenden Mitarbeiter wieder zu rekrutieren und zu schulen. Bis dann allerdings die Kunden von dieser gesteigerten Produktionsfähigkeit profitieren, dürfte ein gutes Dreivierteljahr vergehen.«
Anders ausgedrückt: Wenn die Fabs in Asien in den nächsten Monaten wieder mit dem Recruiting beginnen, dürften die wieder gesteigerten Produktionskapazitäten im günstigsten Fall zur Jahreswende 2024/25 zur Verfügung stehen, doch je länger es dauert, bis die Aufträge wieder deutlich anziehen, um so später dürfte die dann wieder gewünschte hohe Lieferfähigkeit in der ersten Jahreshälfte 2025 zur Verfügung stehen.
Um welche Amplituden es beim Thema reduzierte Marktnachfrage und dann wieder massive Nachfragesteigerung geht, macht von Redwitz mit dem Verweis auf einige Daten deutlich: »Betrachtet man den Halbleitermarkt, wurden dort noch 2022 rund 574 Milliarden Dollar umgesetzt; 2023 waren es dann noch 526 Milliarden Dollar und für das laufende Jahr erwartet die Branche einen Anstieg auf etwa 588 Milliarden Dollar.« Das wäre gegenüber 2023 ein satter Anstieg um 15 Prozent. Sieht man sich im Bereich passiver Bauelemente allein das Segment der MLCCs an, dann berichtet von Redwitz davon, dass im 3. Quartal 2023 noch 1,23 Billionen davon weltweit produziert wurden, im 4. Quartal letzten Jahres waren es dann 1,2 Billionen MLCCs und für das 1. Quartal 2024 werden 1,1 Billionen prognostiziert.
»In Summe sind das Hunderte von Milliarden MLCCs, die aktuell nicht produziert und damit nicht verfügbar sind. Dass da nicht rechtzeitig nachdisponiert wird, halte ich für sehr kritisch!« Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie viele MLCCs ein führender Hersteller im Monat produziert, sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass Murata nach eigenen Angaben in den Jahren 2022 und 2023 monatlich über 130 Milliarden MLCCs produziert hat.
Das Problem des wohl in der zweiten Jahreshälfte 2024 drohenden Bullwhip-Effekts sieht auch Alexander Nebel, Technical Marketing Manager für EMEA bei der Yageo Group, darin, »dass es vielerorts dann, wenn die Situation umschlägt, es an den benötigten Fachkräften fehlen wird, damit die Fertigungsstätten wieder im vollen Umfang loslegen können«. Die Maschinen seien da, schließlich haben alle in der Hochphase der Pandemie in den Ausbau der Fertigungskapazitäten investiert, »aber das Problem wird vielerorts das fehlende Personal sein«. Aus Sicht der Yageo-Gruppe sei etwa seit Mitte des zweiten Quartals 2023 klar gewesen, »dass der weitere Ausblick nicht rosig wird und das Geschäft challenging wird«.
Deutlicher als in früheren Roundtable-Gesprächen wurde dieses Mal die Enttäuschung vieler Diskussionsteilnehmer darüber, dass aus der Politik keine Signale in Form von Anreizen kommen. Immer wieder fällt auch das Wort »fehlende Planungssicherheit«. Bittigkoffer drückt es so aus: »Zum ersten Mal in den Krisen der letzten Jahre hat es die Politik überhaupt nicht geschafft, irgendeinen Anreiz zu schaffen. Die stehen an der Seitenlinie, stellen was auf den Tisch und nehmen es dann wieder runter, das verunsichert die Menschen.«
»Es geht hier auch um das Thema politische Führung«, stellt Pfülb fest. »Ich erinnere nur an das Thema Wärmepumpen oder die über Nacht abgeräumte E-Auto-Förderung, da ist inzwischen Null Planbarkeit!« Es bedürfe einer substanziellen Weichenstellung, »sonst wird dieses Land austrocknen, wenn da keine Korrektur erfolgt«. Auf die Hilfe anderer zu vertrauen wird dieses Mal nicht helfen, wie Leicher feststellt: »Die chinesischen Wirtschaftsprogramme haben uns in der Vergangenheit ja bei wirtschaftlichen Schwächephasen immer wieder geholfen, nur gibt es die in der Form nicht mehr oder es profitieren eben nur noch chinesische Unternehmen davon.«
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