Trotz eingetrübter Marktstimmung geht Rüdiger Scheel, Vice President Mobility und Branch Manager bei Murata, für 2024 von einem Wachstum aus. Mit einem Wiedererstarken der E-Auto- Nachfrage rechnet er erst ab Mitte 2025. In Japan arbeitet Murata weiter an der Behebung der Noto-Erdbebenschäden.
Markt&Technik: Herr Scheel, die ersten zwei Monate des Jahres 2024 liegen hinter uns. Entsprechen sie Ihren Erwartungen? Hat sich die Stimmung am Markt gegenüber 2023 geändert?
Rüdiger Scheel: Leider liegen wir weiter erheblich unter den Erwartungen. Die Stimmung bleibt eingetrübt.
Wenn Sie auf das Jahr 2023 zurückblicken, was hat es in Ihren Augen am meisten gekennzeichnet? Was hat Sie am meisten enttäuscht?
Es hat eine deutliche Marktabkühlung 2023 stattgefunden. Die ursprünglich positiven Erwartungen wurden deutlich verfehlt und es hat sich herausgestellt, dass viel mehr Lagerbestände im Markt-System waren, als nicht nur wir das angenommen hatten.
Durch die Attacken der Huthi-Milizen auf die zivile Schifffahrt im Golf von Aden meiden Frachter zunehmend die Passage durch den Suezkanal. Das bedeutet eine verlängerte Fahrstrecke. Haben Sie und Ihre Kunden das inzwischen in die Lieferkette eingespeist?
Wir haben zurzeit nur noch einen geringen Seefrachtanteil und können mit den veränderten Frachtzeiten gut umgehen.
Aktuell geht die Bundesregierung von einem Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent für 2024 aus. Welche Erwartungen haben Sie für die Geschäftsentwicklung in diesem Jahr?
Wir erwarten eine Belebung, auch wenn es im Moment noch nicht danach aussieht, und wir rechnen mit einem Wachstum von 5 bis 10 Prozent.
Besonders im Bereich Automotive eröffnete sich im letzten Jahr eine große Diskrepanz zwischen dem Branchen-Forecast und dem, was dann wirklich abgerufen wurde. Wie sah das für Murata aus? Worin sehen Sie den Grund dieser Diskrepanz? Wird sich das 2024 fortsetzen?
Wir habe diese Entwicklung genauso mitbekommen. Und um ehrlich zu sein, es ist uns bislang nicht wirklich gelungen zu erklären, warum die Automobilproduktion in Europa um fast 14 Prozent angestiegen ist, jedoch die Abrufe bei den meisten der Kunden stabil blieben oder sogar gesunken sind. Gute Erklärungen der Kunden für diese Entwicklung sind leider ausgeblieben. Da liegt natürlich die Vermutung über hohe Lagerbestände nahe.
Gab und gibt es nach Ihrer Beobachtung Unterschiede zwischen der Nachfrage in Bezug auf die Herstellung von Elektroautos und Fahrzeugen mit klassischem Verbrenner? Sehen Sie hier Unterschiede zwischen der Situation in Deutschland, Europa und den übrigen Schwerpunkten der Automobilbranche?
Es ist wohl davon auszugehen, dass die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen 2023 wohl vorerst Ihren Peak erreicht hat, und inzwischen, nach dem Auslaufen der Förderungen, sind nun wieder Benziner und Diesel auf dem Vormarsch. Grundsätzlich lässt sich dazu sagen, dass der schärfere Wettbewerb nun dazu führt, dass E-Fahrzeuge erschwinglicher werden. Aus heutiger Sicht erwarten wir jedoch kein Wachstum bei E-Fahrzeugen vor Mitte 2025.
Wenn Sie die verschiedenen Absatzmärkte betrachten, gibt es Anwendungsbereiche, die sich 2023 positiv entwickelt haben im Gegensatz zur Automobilbranche? Wenn ja, welche sind das?
Es gibt sie durchaus, diese widerstandsfähigen Märkte, aber es handelt sich im Allgemeinen dabei eher um aus unserer Sicht kleinere Märkte wie Medizintechnik, wo wir positive Tendenzen sehen.
Um einen Eindruck davon zu gewinnen, wie sich die Entwicklung der letzten Jahre in den Produktionszahlen widerspiegelt: Können Sie Produktionszahlen für MLCCs von Murata für 2022 und 2023 nennen? Mit welcher Produktionszahl wird für 2024 gerechnet?
In den Jahren 2022 und 2023 lag die monatliche Produktion von MLCCs bei Murata über der Grenze von 130 Milliarden Stück. In diesem Jahr kann es wieder zu einer höheren Nachfrage im Mobiltelefonbereich kommen, was den Verbrauch wieder in die Höhe treiben könnte.
Murata wurde durch das Noto-Erdbeben zu Beginn des Jahres getroffen. Inwieweit wurden die Schäden inzwischen behoben? Laufen die Fertigungen in dieser Region inzwischen wieder auf normalem Niveau? Besonders betroffen war ein Werk zur Herstellung von Power-Induktivitäten für die Automobilbranche. Man ging davon aus, dass sich die Reparaturarbeiten bis Mai hinziehen werden. Gibt es da inzwischen neue Entwicklungen?
Wir werden im März mit temporären Alternativ-Produktionen anlaufen und so gut es geht unsere Kunden unterstützen. Nachdem die Zusammenarbeit mit den Kunden und deren Endkunden sehr konstruktiv und partnerschaftlich ist, erwarten wir, die Situation insgesamt gut zu beherrschen, bis unser ursprüngliches Werk wieder im gewohnten Umfang produzieren kann. Nach heutiger Einschätzung wird sich das jedoch noch mindestens bis in den Juni hinziehen.
Vor dem Hintergrund der weltweit gesunkenen Nachfrage nach passiven Bauelementen: Können Sie Auslastungswerte für die Produktion in den Jahren 2023 und 2024 nennen?
So genau lässt sich das nicht sagen, da die genau Auslastung zwischen den Werken und Produktlinien sehr unterschiedlich ausfällt. Im vergangenen Jahr konnten wir von einer Auslastung von 70 bis 90 Prozent ausgehen. Wir gehen aktuell davon aus, dass sich das 2024 etwas verbessern sollte.
Murata hat vor zwei Jahren MLCCs der Baugröße 008004 auf den Markt gebracht. In welchen Stückzahlen werden diese MLCCs heute gefertigt? Werden auch andere Bauteile in dieser Baugröße gefertigt oder ist es vorgesehen, sie in Zukunft in der Baugröße 008004 anzubieten?
Aktuell sind MLCCs in 008004 nur in High-End-Smartphones im Einsatz. Dort jedoch werden schon viele Milliarden Stück verbraucht. Andere Produkte wie RF-Inductors sind jedoch bislang nur in größeren Bauformen wie etwa 01005 erhältlich.
Gibt es im Bereich Forschung und Entwicklung aktuell Bemühungen, noch kleinere, diskrete passive Bauelemente anzubieten, oder würde das aus physikalischen Gründen keinen Sinn mehr machen? Wo ist diesbezüglich nach Ihrer Einschätzung heute die Grenze des physikalisch Machbaren?
Aktuell ist das wirklich schwer zu sagen. Vor einigen Jahre hatten alle 0201 und später 01005 als das physikalisch Machbare angesehen. Ein nächster Schritt der Miniaturisierung sind passive Bauelemente, die in Halbleiter-Prozessen gefertigt werden. Diese sind jedoch noch sehr teuer und Spezialanwendungen vorbehalten.