Automotive-Krise: Bauelementehersteller

Zwischen Shutdown und vollen Büchern

16. April 2020, 9:56 Uhr | Engelbert Hopf
© Lenny Kuhne on Unsplash

Unter dem Eindruck der Corona-Krise rechnet der ZVEI für die Automotive-Branche 2020 mit massiven Absatzeinbrüchen.

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Auch wenn versucht wird, mit Maßnahmenpaketen wie Kurzarbeit, Betriebsurlaub und dem Abbau von Arbeitszeitkonten die Auswirkungen der Krise abzufedern, »wird das nicht ohne weitere Folgen für die automobile Zulieferindustrie bleiben«, versichert Dr. Stefan Gutschling, Leiter der ZVEI-Themenplattform Automotive. Die European Association of Automotive Suppliers (CLEPA) meldet, dass die Mehrheit ihrer Mitglieder für die nächsten drei Monate von Umsatzverlusten bis 40 Prozent ausgeht. Bezogen auf ihre Jahresumsätze rechnet die Mehrheit der CLEPA-Mitglieder mit Umsatzeinbußen bis zu 25 Prozent.

Die durch die globalen Shutdowns erzwungenen Werkschließungen der Automobilhersteller wirken sich nur um Tage und Wochen versetzt inzwischen auf die Automotive-Spezialisten und ihre Zulieferer aus dem Bauelementebereich aus. Das zeigt eine aktuelle Umfrage der Markt&Technik unter führenden Herstellern. Wie schnell teilweise reagiert wird, zeigt das Statement von Ferdinand Leicher, Vice President Sales EMEA bei Bourns: »In Europa haben bis zum 6. April etwa 90 Prozent unserer OEM- und Tier-1-Kunden im Automotive-Bereich die Produktion eingestellt.«

Nachdem inzwischen auch immer mehr Tier-1-Automotive-Zulieferer zu Kurzarbeit übergegangen sind, berichtet Josef Vissing, Deputy Head of Sales bei TDK Europe, davon, »dass Kunden bei TDK vor allem die für den April vorgesehenen Bestellmengen deutlich reduziert oder Liefertermine auf Folgemonate verschoben haben«. Eine Entwicklung, die auch Olaf Lüthje, Senior Vice President Business Marketing Passives bei Vishay, bestätigt: »Einige Kunden haben ihre Produktion reduziert, die Bedarfe entsprechend gesenkt und ihre Forecasts angepasst, die sie aber wie bisher mit der üblichen Zuverlässigkeit abrufen.«

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Dr. Stefan Gutschling, ZVEI: »Trotz der verschiedenen getroffenen Maßnahmen muss mit einem massiven Absatzeinbruch in 2020 gerechnet werden. Dieser wird nicht ohne weitere Folgen für die automobile Zulieferindustrie sein.«
© ZVEI

Auch bei Kemet wurden einige Automotive-Kunden gezwungen, in der Produktion zu pausieren, wie Andreas Hammer, Vice President EMEA Sales, bestätigt. »Gleichzeitig ist aber auch zu beobachten, dass wir an der ein oder anderen Stelle auch steigende Bedarfe etwa für 48-V-Applikationen und Mild-Hybrid-Lösungen registrieren.« Bei Kemet sei die Produktion nach wie vor gut ausgelastet, »was sicher auch eine Konsequenz daraus ist, dass einige Wettbewerber mit geschlossenen Produktionsstätten zu kämpfen haben«.

Wie widersprüchlich sich die aktuelle Situation teilweise darstellt, zeigt ein weiteres Statement von Leicher: »Unabhängig von den Shutdown-Meldungen, die uns fast täglich erreichen, laufen die Vorbestellungen aus dem Automotive-Bereich weiterhin über SAP-Forecasts. Diese sind entsprechend verschoben, aber erfreulicherweise bisher nicht storniert worden.« Ein Kundenverhalten, das auch Dr. Alain Schumacher, Chief Technology Officer bei IEE, in den letzten Wochen ausgemacht hat: »Trotz Werksschließungen wurden zunächst die Abrufe seitens der OEMs im März aufrecht erhalten. Möglicherweise will man die Lager voll haben, um nicht ins Hintertreffen zu kommen, wenn es nach den Shutdowns dann wieder losgeht.«

Aus Sicht von Harald Sauer, Director Taiyo Yuden Europe, kommt es in der aktuellen Situation entscheidend darauf an, welche OEMs beliefert werden. Wie er berichtet, gibt es derzeit auch durchaus die Variante, »dass durch die wieder anlaufende Fertigung in China Automotive-Fertigungsstandorte in Europa den dort entstehenden Bedarf unterstützen müssen«. Überlagert wird das Ganze nach seiner Darstellung noch »durch Bauteilengpässe, die durch lokale Shutdowns in asiatischen Ländern hervorgerufen werden«.

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Andreas Hammer, Kemet: »Aktuell haben wir einen sehr soliden Auftragsbestand sowohl bei den Direktkunden wie in der Distribution. Wir haben aber auch fertige Pläne unsere Produktion zu reduzieren, sollten die Bedarfe tatsächlich massiv einbrechen.«
© Markt&Technik

»Da wir die meisten unserer Kunden über die Distribution beliefern«, so Michael Turbanisch, Head of Distribution Sales Yageo Europe, »sind die Auswirkungen der Corona-Krise für uns bei den Bookings aktuell noch nicht so deutlich erkennbar. Es wurden uns aber mündlich bereits Veränderungen durch einige Distributoren und Tier-1 mitgeteilt«. Deutlicher bemerkbar machen werden sich die Auswirkungen nach seiner Einschätzung im 2. Quartal.

Bereits seit vier Wochen sieht sich dagegen Oliver Konz, CEO von Würth Elektronik eiSos, mit Umsatzeinbußen im Automotive-Bereich konfrontiert: »Bestellungen werden verschoben, Forecasts angepasst. Unsere Automotive-Sparte hat mit Kurzarbeit begonnen, gefolgt von einer zweiwöchigen Osterpause.« Außerhalb des Automotive-Bereichs sind die weltweiten Bedarfe bei Würth Elektronik eiSos dagegen weiterhin ungewöhnlich hoch. Konz: »Besonders in Asien herrscht für manche Produktbereiche Allokation, auch ausgelöst durch erhöhte Bedarfe an Notebooks und anderen Homeoffice-Produkten.«

Beim Halbleiterhersteller Nexperia läuft die Produktion in den europäischen Werken in Hamburg und Manchester sowie in der chinesischen Back-End-Fabrik Guangdong weiter, wie Dr. Dirk Wittorf, Strategic Marketing Manager, bestätigt: »Aufgrund offizieller Genehmigungen der lokalen Regierungen laufen unsere Einrichtungen in Seremban, Malaysia, und Cabuyao, Philippinen, mit „Skeleton-Crews“, damit können wir weiterhin produzieren und versenden.«

Es dürfe dem Umstand geschuldet sein, dass die zum Teil sehr kurzfristig erfolgten nationalen Shutdowns in Südostasien dazu geführt haben, dass sich viele Halbleiterhersteller zur aktuellen Situation nicht direkt äußern wollten. Ihre Front-End-Fabs mögen in vielen Fällen weiter produzieren, schließlich sind die staatlichen Vorgaben zum Mitarbeiterschutz in Corona-Zeiten gerade in Halbleiter-Fabs sehr gut umsetzbar, doch ein Großteil der Back-End-Fabs befinden sich eben auf den Philippinen, Indonesien oder in anderen ostasiatischen Ländern. Wann diese Back-End-Fabs wieder zur Normalität zurückkehren können, scheint derzeit schwer prognostizierbar zu sein.

Vor diesem Hintergrund dürfte Joachim Pfülb, Vertriebsleiter bei Beck Elektronik, für viele sprechen, wenn er sich in der aktuellen Situation Informationen über ein Anlaufszenario und entsprechende Termine wünscht. »Das würde die Planung für alle, nicht nur in der Elektronikbranche, deutlich erleichtern!« Mehr über die Einschätzungen der einzelnen Befragten erfahren Sie unter Markt-Technik.de.


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