Nanokristallin ist clever

EMI-Filter mit fortschrittlicher Werkstofftechnik

18. Januar 2023, 11:00 Uhr | Autor: Patrik Kalbermatten, Redaktion: Irina Hübner
EMI-Filter: Neue nanokristalline Kernmaterialien ermöglichen nun Gleichtaktdrosseln mit deutlich besseren Leistungsmerkmalen. Damit vereinfacht sich die Filter-Entwicklung für Einsatz mit Wide-Bandgap-Leistungshalbleitern, High-Voltage-Bussystemen
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EMI-Filter sind in der Industrie- und Automobilelektronik gang und gäbe. Neue nanokristalline Kernmaterialien ermöglichen nun Gleichtaktdrosseln mit deutlich besseren Leistungsmerkmalen.

Die Elektrifizierung ist ein wichtiger Faktor auf dem Weg zur Smart Industry und zum intelligenten Fahren. Sie führt dazu, dass zunehmend mehr leistungsstarke elektrische Systeme in unmittelbarer Nähe zueinander installiert werden, zum Beispiel Anordnungen von Industrierobotern in Fabriken.

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Die Elektrifizierung wichtiger Fahrzeugsysteme steigert die Effizienz und Wirtschaftlichkei
Bild 1. Die Elektrifizierung wichtiger Fahrzeugsysteme steigert die Effizienz und Wirtschaftlichkeit.
© Kemet

Auch im Automotive-Bereich kommen in aktuellen Fahrzeugen immer mehr leistungsstarke elektrische Subsysteme zum Einsatz (Bild 1), darunter die elektrische Servolenkung, Wasserpumpe, Ölpumpe und der Klimaanlagenkompressor (eCompressor), der in Hybrid- und Elektrofahrzeugen (HEV/EV) auch die Batterie kühlt. Bild 1 zeigt auch den HEV/EV-Hauptantriebswechselrichter und -motor, das On-Board-Ladegerät (OBC) und das Batteriesystem, die mit der Batteriespannung betrieben werden. Die Batteriespannung kann bei Fahrzeugen, die für schnelles Laden und hohe Leistung ausgelegt sind, bis zu 800 V betragen.

Änderungen bei der Stromversorgung

Die elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) zwischen den elektrischen/elektronischen Systemen und Teilsystemen ist entscheidend, damit sichergestellt ist, dass diese alle sicher und korrekt funktionieren. Die Standards der Reihe IEC 61000 sind im industriellen Bereich weit verbreitet, um ein Minimum an elektromagnetischer Störfestigkeit zu gewährleisten und elektromagnetische Interferenzen/Störungen (EMI) zu begrenzen. Zu beachten ist allerdings, dass sich die Normenlandschaft im Automotive-Bereich mit der rasanten Elektrifizierung der Fahrzeuge schnell ändert.
 
In Bezug auf das Komponentendesign gibt es verschiedene Techniken zur Unterdrückung von EMI, die innerhalb der (Sub-)Systeme entstehen – von einem sorgfältigen Board-Layout und der Beachtung der Signaleigenschaften bis hin zum Einsatz von Filtern an wichtigen Stellen wie den Stromeingängen.

Darüber hinaus verändern aktuelle technische Trends die Anforderungen an das Design von Netzfiltern. Einer davon ist, dass WBG-Leistungshalbleiter (Wide Band Gap) wie Siliziumkarbid-MOSFETs in Schaltnetzteilen, Wechselrichtern und DC/DC-Wandlern zum Einsatz kommen, um deren Energieeffizienz und Zuverlässigkeit zu erhöhen.

Der höhere Wirkungsgrad mit SiC-MOSFETs ist zum Teil auf die überlegene Schaltleistung zurückzuführen, da diese Ein- und Ausschaltvorgänge viel schneller durchführen als herkömmliche Silizium-Alternativen. Entwickler von Stromversorgungen können damit eine hohe Schaltfrequenz wählen, mit der kleinere passive Bauelemente wie Kondensatoren eine stabile Ausgangsspannung mit schneller Dynamik erreichen.

Unabhängig von der gewählten Schaltfrequenz führen die schnellen Schaltübergänge zu einem stärkeren Überschwingen mit längerem Nachschwingen (Ringing), das große elektromagnetische Störsignale über einen weiten Frequenzbereich verursacht.

Diese EMI lässt sich auf verschiedene Arten verringern, zum Beispiel durch Einfügen eines Dämpfungsglieds (Snubbers), um das Ausmaß des Überschwingens zu minimieren und die Dauer des Ringings zu verkürzen. Das Hinzufügen eines Widerstands in Serie zum MOSFET reduziert die EMI, da sich der Stromfluss durch den Baustein verringert. Dies senkt jedoch den Nettogewinn an Schalteffizienz.

Auch optimierte Leiterplattenlayouts und Gehäusegrößen, mit denen sich der Leistungsregelkreis verkleinern lässt, tragen zu einer geringeren EMI bei – wenn auch nur mit begrenztem Effekt. Und natürlich ist das Hinzufügen eines Netzfilters zur Dämpfung der Energie, die an den externen Anschlüssen des Leistungsteils eingekoppelt wird, immer die beste Praxis.

Darüber hinaus ermöglichen SiC-basierte Leistungsschaltkreise den Betrieb bei höheren Temperaturen, was das Wärmemanagement vereinfacht und kleinere, kostengünstigere Kühlkörper ermöglicht. Herkömmliche magnetische Materialien mit hoher Permeabilität, die in Bauteilen wie induktiven EMI-Drosseln verwendet werden, sind bis zu etwa 120 °C wirksam. SiC-Bauelemente lassen sich oberhalb dieser Temperatur betreiben, sodass auch magnetische Werkstoffe erforderlich sind, die den raueren Bedingungen standhalten können.

Die Forderung nach mehr Leistungsabgabe im Industrie- und Automotive-Bereich führt in Richtung höhere Betriebsspannungen, um den Stromanstieg auszugleichen, der zu höheren Widerstandsverlusten und zusätzlichem Gewicht führt. Dieser Trend wird durch den Anstieg der Spannung von Lithium-Ionen-Batterien in Elektrofahrzeugen deutlich. Mit höherer Spannung ist auch das Laden mit hoher Leistung möglich. Dadurch wird die Zeit kürzer, die zum vollständigen Aufladen der Fahrzeugbatterie benötigt wird. Damit sich diese höheren Spannungen bewältigen lassen, sind geeignete Filter erforderlich.

Innovative Werkstoffe

Um das Design von Netzfiltern zu vereinfachen, die diese Anforderungen erfüllen, verwendet Kemet magnetische Materialien, mit denen Drosseln in Filterschaltungen optimierte Eigenschaften aufweisen. Diese Materialien ermöglichen im Vergleich zu herkömmlichen Ferritkernmaterialien eine bessere Kombination aus Kerngröße und magnetischer Permeabilität.

Kemet bietet drei verschiedene Kernmaterialien innerhalb seiner Standardbaureihe von Automotive-Drosseln an. Die Serien SCR-XV und SCT-XV sind mit Kernen aus Ferritmaterial für hohe Permeabilität und Hochtemperaturanforderungen ausgestattet. Die neu eingeführte Serie SCF-XV ergänzt die Reihe um eine nanokristalline Option, um die Vorteile fortschrittlicher Werkstoffeigenschaften zu nutzen.

Vergleich von nanokristallinen und Ferrit-Kernmaterialien
Bild 2. Vergleich von nanokristallinen und Ferrit-Kernmaterialien.
© Kemet

Das Frequenzband, in dem die Störunterdrückung am effektivsten ist, hängt von den Materialeigenschaften und von der magnetischen Permeabilität ab. Bei Ferritmaterialien variiert der effektive Frequenzbereich je nach Kernform, Größe und Anzahl der Windungen. Bild 2 vergleicht die effektiven Frequenzbereiche von MnZn- und NiZn-Ferriten mit der Leistungsfähigkeit von nanokristallinem Kernmaterial, mit dem Drosseln nun einen breiteren Frequenzbereich abdecken können.

Die höhere Permeabilität des nanokristallinen Materials ermöglicht mehr Freiheit bei der Optimierung der Drahtstärke und der Anzahl der Windungen in der Wicklung, um die gewünschten Bauteilparameter für eine bestimmte Kerngröße zu erreichen. Vor allem sind weniger Wicklungswindungen als bei herkömmlichen Materialien erforderlich, um eine bestimmte Induktivität bei gleicher Kerngröße zu erhalten. Die Drossel mit nun weniger Windungen hat einen niedrigeren ohmschen Widerstand sowie eine geringere parasitäre Kapazität, was zu einer besseren HF-Filterleistung und einem breiteren Frequenzbereich führt.

Darüber hinaus haben die nanokristallinen Materialien sehr hohe Curie-Temperaturen und behalten daher ihre magnetischen Eigenschaften in anspruchsvollen Umgebungen bei, was eine konstante Leistungsfähigkeit und einen sicheren Betrieb gewährleistet.

Gleichtaktstromverhalten der Drosseln SCF-XV, SCR-XV und SCT-XV
Bild 3. Gleichtaktstromverhalten der Drosseln SCF-XV, SCR-XV und SCT-XV.
© Kemet

Nanokristalline Materialien haben nicht nur Vorteile: Ein Nachteil ist die Empfindlichkeit gegenüber unsymmetrischen und Gleichtaktströmen, die die Induktivität in der Anwendung verringern können. Das Vorhandensein dieser Ströme hängt mit den Schaltern, ihrer Gehäusekapazität und auch mit der Last selbst, wie einem BLDC-Motor (Brushless Direct Current) und seiner Wicklungskapazität, zusammen. Eine Möglichkeit ist, auch die Versionen SCR-XV und SCT-XV in Betracht zu ziehen (die jeweils proprietäre Ferritmaterialien wie S15H und 7HT verwenden), da diese weniger empfindlich gegenüber parasitären Strömen sind. 7HT ist ein hochwertiges Ferritmaterial mit hohem B-Wert, das eine höhere elektrische Robustheit und eine Curie-Temperatur von über 150 °C aufweist. S15H ist ein Material mit hohem µ-Wert und bietet eine hohe Permeabilität, wenn die Bauteiltemperatur unter 120 °C bleibt. Bild 3 zeigt die Induktivität im Verhältnis zum vorhandenen Gleichtaktstrom.

Gleichtaktfilter für hohe Spannungen

Ringkern-Gleichtaktdrossel mit vertikaler Spulenausrichtung
Bild 4. Ringkern-Gleichtaktdrossel mit vertikaler Spulenausrichtung
© Kemet

Die AEC-Q200-qualifizierten Gleichtaktdrosseln SCF-XV von Kemet bestehen aus nanokristallinem Kernmaterial und haben mit 1000 V (AC/DC) die branchenweit höchste Nennspannung. Sie eignen sich damit für den Einsatz mit Hochvolt-EV-Batterien, einschließlich 800-V-Systemen (Bild 4). Die Kerneigenschaften verringern den Platzbedarf – mit äußeren Kerndurchmessern von 19 mm, 25 mm oder 29 mm, vertikal oder horizontal ausgerichtet. Die komplette Serie deckt einen Nennstrombereich von 5 bis 35 A ab, mit Gleichstromwiderständen (DCR) von 0,65 bis 40,3 mΩ. Die Drosseln können bei Temperaturen bis zu 150 °C betrieben werden.

Die verschiedenen Eigenschaften erfüllen die Anforderungen der meisten Anwendungen, da sich Komponenten aus dem Standardangebot auswählen lassen. Im Gegensatz dazu erfordern der Frequenzbereich und die Größenbeschränkungen beim Einsatz herkömmlicher Drosseln oft kundenspezifische Lösungen. Bei der Entwicklung mit Standardkomponenten lassen sich Muster und Serienstückzahlen sofort beziehen, und es fallen keine Entwicklungskosten an.

Zusätzlich zu ihrer geringen Größe, Tauglichkeit für hohe Spannungen und ihrem weiten Betriebstemperaturbereich ermöglichen die Drosseln ein kreatives mechanisches Design, um rauen Bedingungen, wie Vibrationen in Fahrzeuganwendungen, standzuhalten. Zudem bieten sie Schutz gegen das Eindringen von Feuchtigkeit und anderen Verunreinigungen.

 

Der Autor

 

Patrik Kalbermatten von Kemet
Patrik Kalbermatten von Kemet
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Patrik Kalbermatten

ist Senior Manager Distribution Promotion, Product Management MSABG, Magnetic, Sensor and Actuator bei KEMET, einem Unternehmen der Yageo Group.
 

 

 


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