Erstmals saßen Medizintechnik-Vertreter gleichberechtigt neben der Pharmaindustrie im Bundeskanzleramt. Die Auftaktveranstaltung zur neuen »Pharma- und Medizintechnikstrategie« markiert einen industriepolitischen Kurswechsel: Medizintechnik wird künftig als eigenständige Leitwirtschaft behandelt.
Am 12. November saßen erstmals Vertreter der Medizintechnik-Industrie gleichberechtigt neben der Pharmaindustrie im Bundeskanzleramt. Die Auftaktveranstaltung zur neuen »Pharma- und Medizintechnikstrategie« markiert einen industriepolitischen Kurswechsel: Die Medizintechnik wird künftig als eigenständige Leitwirtschaft behandelt. Die drei Branchenverbände BVMed, Spectaris und der ZVEI hatten diesen Schritt seit Jahren gefordert.bmftr.
Der ressortübergreifende Prozess wird bis zur zweiten Jahreshälfte 2026 in sechs Arbeitsgruppen erarbeitet. Federführend ist das Bundesgesundheitsministerium unter Einbindung des Wirtschafts- und Forschungsministeriums. Ziel ist es, Versorgungssicherheit mit innovativen Medizinprodukten zu gewährleisten, die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts zu stärken und regulatorische sowie bürokratische Hürden abzubauen.
Marc-Pierre Möll zeigte sich als Geschäftsführer des Medizintechnikverbandes BVMed positiv: »Wir sind zuversichtlich, dass damit wichtige Schritte gegangen werden, um Deutschlands Position als führender Medizintechnik-Standort zu stärken«. Als Handlungsfelder nennt der BVMed wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Versorgungssicherheit sowie Digitalisierung, KI und internationale Wettbewerbsfähigkeit.
Dr. Martin Leonhard, Vorsitzender der Medizintechnik im Industrieverband Spectaris, mahnte konkrete Maßnahmen an: »Die MedTech-Industrie ist das Rückgrat der modernen Gesundheitswirtschaft – innovativ, systemrelevant und zugleich unter Druck«. Die europäische Medical Device Regulation müsse praxistauglicher werden, bei der PFAS-Regulierung brauche es Klarheit und Augenmaß. Wichtig seien zudem eine technologieoffene Forschungsförderung und die aktive Einbindung kleiner und mittlerer Unternehmen.
Hans-Peter Bursig vom ZVEI betonte die Bedeutung der Digitalisierung: »Die digitalen Möglichkeiten müssen auch in der Medizintechnik stärker in die deutsche Gesundheitswirtschaft integriert werden«. Der Geschäftsführer des Fachverbands Elektromedizinische Technik fordert Voraussetzungen für einen Datenraum Gesundheit, die Einbindung in den European Health Data Space und rechtssicheren Zugang zu anonymisierten Gesundheitsdaten für die Industrie. »Anonymisierte Gesundheitsdaten für die kommerzielle Forschung, Entwicklung und Innovationen spielen eine immer wichtigere Rolle«, betonte Bursig.
Die drei Verbände hatten im gemeinsamen »Zielbild Medizintechnik 2025« einen ressortübergreifenden MedTech-Dialog gefordert, um gesundheits-, wirtschafts- und forschungspolitische Aspekte abzustimmen. Mit der Kanzleramt-Initiative wird dieser Forderung nun entsprochen.
Die Strategie steht allerdings weiter im Spannungsfeld zwischen Innovationsförderung und steigendem Kostendruck im Gesundheitssystem. Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (CSU) betonte bei den Gesprächen zur Hightech-Agenda einen Tag später die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Staat, Forschung, Wirtschaft und Patientenvertretungen. Besonderes Gewicht legte sie dabei am 13. November auf die Biotechnologie sowie die Verknüpfung von Digitalisierung, Medizintechnik und Künstlicher Intelligenz.
Für die Medizintechnikstrategie geht es nun in den nächsten zwölf Monaten an die Umsetzung: Die Verbände drängen, dass dringende Punkte bereits vor der finalen Verabschiedung der Strategie im nächsten Jahr adressiert werden. Die Branche hofft, dass die strategische Aufwertung der Medizintechnik zu konkreten Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die deutschen Unternehmen führt – von Forschungsförderung über Regulierung bis hin zur Digitalisierung der Versorgungsstrukturen. (uh)