Puls und Blutsauerstoff ohne Arzt bestimmen – das kann heute jede Smartwatch. Wir sprechen mit Florian Lex von ams Osram über die Schwierigkeiten einer medizinisch validen Vitalzeichenmessung sowie die neuesten Fortschritte und Referenzdesigns für die Wearable-Entwicklung.
Die Vitalzeichenmessung über Uhren und andere Wearables wie Ringe läuft sehr konsumentenorientiert und erfährt aus Lieferantensicht gerade eine gewisse Sättigung. Es gibt keine Smartwatch mehr, die nicht die Herzfrequenz misst – die bestehenden Zulieferer müssen sich den Markt also aufteilen oder sich verdrängen. Als einer der führenden Hersteller für LEDs und Fotodioden ist in den meisten Uhren mindestens eine Leuchte oder ein Sensor von ams Osram verbaut. Wir arbeiten intensiv daran, unsere Produkte weiterzuentwickeln und unseren Marktanteil zu erweitern.
Durch den Zusammenschluss von ams und Osram waren wir in der Lage, Kompetenzen zu kombinieren. Einerseits haben wir die IC-Entwicklung für unseren analogen Frontend dazugewonnen, welcher die LEDs und Fotodioden steuert. Auf der digitalen Seite können wir dazu jetzt bessere Algorithmen entwickeln, in dem wir das bisherige Inselwissen der einzelnen Komponenten verheiraten. Dieses neue Miteinander schafft Wechselwirkungen, die unsere Produkte voranbringen. Im Bereich der Herzfrequenzmessung beispielsweise haben wir den Algorithmus so weiterentwickelt und verbessert, dass ein Hersteller ihn jetzt direkt nach dem CTA-Standard (Consumer Technology Association, Anm. d. Red.) in sein Wearable integrieren kann. Abhängig vom spezifischen Design kann der OEM ziemlich sicher sein, dass er damit alle Zertifizierungen schafft. Das gleiche gilt für die Messung des Blutsauerstoffs.
Das zentrale Element der neuen Algorithmen ist ein einsatzfertiges Referenzdesign, welches ab sofort zur Verfügung steht. Im Prinzip ist es eine Smartwatch ohne Display, in welche unsere Komponenten für die Messung der Herzfrequenz und des Blutsauerstoffs einsatzfertig integriert sind. Falls gewünscht, könnten Kunden diese Zusammensetzung eins zu eins in ihre Uhr einbauen und die gleiche exzellente Performance erwarten, wie wir sie mit unserem Referenzarmband aufzeigen.
So funktioniert die Herzfrequenz-Messung am Handgelenk |
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Für die Puls- bzw. Herzfrequenzmessung sendet eine an der Unterseite der Uhr integrierte LED ein grünes Licht aus. Dieses tritt in die Haut ein, wo es zufällig gestreut wird. Etwas Licht geht durch die Adern und wird vom fließenden Blut absorbiert. Das Blutvolumen und damit auch die Absorption ändert sich mit jedem Herzschlag. Der Anteil des Lichts, der zurück zu einer meist wenige Millimeter neben der LED angebrachten Fotodiode gestreut wird, ist nicht sehr groß und nur ein geringer Teil davon wurde tatsächlich vom Blut absorbiert. Damit liegen nur sehr kleine Lichtsignale vor, die meisten davon sind auch noch konstant und nicht durch den Puls zeitlich moduliert. Die Herausforderung für die Datenanalyse und Ausgabe eines verlässlichen Pulswertes über die Smartwatch liegt im Signal-Rausch-Verhältnis, was entsprechend empfindliche Komponenten, intelligente Algorithmen und ein passendes Design erfordert. Bei den zumeist batteriebetriebenen Alltagsgeräten spielt zudem der Energieverbrauch eine wichtige Rolle, die Tragedauer bis zum nächsten Aufladen soll möglichst lang sein. Für ein besseres Signal mehr LED-Licht durch die Haut zu senden, würde den Stromverbrauch in die Höhe treiben. Die Komponenten müssen daher so ausgewählt und aufeinander abgestimmt sein, dass einerseits wenig Strom verbraucht, und zum anderen ein gutes Signal-Rausch-Verhältnis geliefert wird. |
Für die Evaluierung unserer Sensorik haben wir klassische Referenzgeräte aus dem Medizinbereich herangezogen. Ein Masimo-Fingerclip für den Blutsauerstoff SpO², ein Blutdruckmessgerät aus der Krankenpflege und ein Brustgurt für die Herzfrequenz wurden in einer internen Studie ins Verhältnis zu den Messdaten der Uhr gesetzt. Wir haben außerdem darauf geschaut, dass Faktoren wie Hautfarbe, Geschlecht und Vorerkrankungen berücksichtigt wurden. All diese Daten haben wir in unsere Algorithmus-Entwicklung gepackt, um die verschiedenen Auswirkungen von Bewegung oder Licht umfassend zu evaluieren. Unser Algorithmus kann den IEC-Standard erfüllen, Blutsauerstoffmessung nach medizinischem Standard funktioniert bei Messung am Finger sofort. Am Handgelenk wird es etwas diffiziler, die Vitalzeichenmessung ist sehr sensibles System. Aber wenn der Kunde unser Referenzdesign so hernimmt, wie es ist, sind wir zuversichtlich, dass er die Zertifizierung schafft. Dennoch muss der Kunde sein Endgerät mit seinem optischen Setup natürlich testen.
Der Punkt am Körper, der sich am schlechtesten für eine Vitalzeichenmessung eignet, ist das Handgelenk. Das liegt an der roten Wellenlänge, die dort grundsätzlich schlecht absorbiert. Wenn das rote Signal zu sehr verrauscht oder zu weit abwandert, kann der Algorithmus damit nicht mehr umgehen. Diese Bedingung gilt für jeden Hersteller am Markt. Wir hätten es alle gerne anders, aber dort tragen Menschen nun mal ihre Uhr und das ist für die Akzeptanz und Nutzung wesentlich wichtiger.
Die Platzhirsche am Markt (Apple, Huawei, Samsung, Google; Anm. d. Red.) stecken sehr viel Aufwand in ihr jeweiliges optisches System. Dazu lassen die großen Firmen Horden an Entwicklern auf die Algorithmen los, um auch wirklich das letzte Quäntchen aus den Signalen herauszukitzeln. Die meisten anderen Hersteller orientieren sich an den großen Vier. In China etwa wird immer sehr genau geschaut, was Huawei rausbringt. Für den optischen Stack ist auch Samsung ein beliebter Leuchtturm. Direkt beim Riesen aus Cupertino zu kopieren, das traut sich normalerweise keiner.
Der größte Arbeitsblock war die Bewegungskompensation bei der Messung der Herzfrequenz. Bei den ersten Uhren auf dem Markt war der Puls nicht mehr anzeigbar, sobald man sich bewegte. Die jetzige Stabilität der Messung war ein riesiges Stück Arbeit. Zudem haben wir sehr viel Zeit in das Testen der verschiedenen optischen System-Setups investiert. Wie positioniere ich wo meine Fotodiode und LED, damit ich ein gutes Signal rausbekomme? Eines der Key Learnings war beispielsweise, dass die direkte Crosstalk-Unterdrückung, also das Signal, das direkt im Gehäuse in die Fotodiode geht, sehr gut sein muss. Die DC-Komponente, also das Umgebungslicht als statischer Teil des Lichtsignals, sollte so gering wie möglich sein – das ist kritisch, das muss jeder Kunde hinbekommen. Ohne dieses Nonplusultra funktioniert der Algorithmus um Welten schlechter.
Sowohl Osram wie auch ams hatten gute Grundlagen; Osram seitens der LED, ams seitens der ICs und der Algorithmen – heute haben wir alles aus einer Hand und können so jede Komponente gut auf das gesamte System abstimmen. Eine LED, die das Infrarotlicht für weniger Störeinflüsse blockiert und einen rudimentären Algorithmus, der das grüne Licht in eine Herzfrequenz umwandelt, hatten wir von Anfang an. Die große Verbesserung ist die Vorverarbeitung der Daten hinsichtlich Bewegung. Der Sensor erkennt, ob der Träger Rad fährt oder im Auto sitzt, ob er joggt oder Klavier spielt – und muss diese Bewegung herausfiltern. Rhythmische Bewegungen wie Joggen sind einfach, viel schwieriger ist beispielsweise das Tippen am Computer. Jeder Finger wird einzeln bewegt, alle Muskeln im Arm sind unabhängig voneinander in Aktion. Das ist genauso diffizil wie Rad fahren über Stock und Stein – hier ist die meiste Entwicklung reingeflossen, für ein präzises und zuverlässiges Signal.
Ein weiterer Punkt, in den wir investiert haben, sind die Betriebsbedingungen. Mit genügend Strom und Integrationszeit kann man jedes Signal aufblasen, darunter würde allerdings die Lebensdauer der Batterie und damit die Tragezeit leiden. 'Wieviel Strom brauche ich wirklich für ein gutes Signal?' An diesem Punkt gibt es viel Potenzial zum Optimieren. Unser IC reguliert das beispielsweise automatisch; ist das Signal gut, gibt es wenig Strom, bei schlechten Bedingungen gibt es mehr Strom. Diese Signaloptimierung ist eines der Key Features unseres neuen Flaggschiffs, dem Triple Emitter SFH 7018. Beim grünen Licht haben wir 80 Prozent mehr Effizienz aus dem Package geschafft. Selbst wenn die Herzfrequenz rund um die Uhr gemessen wird, läuft eine Uhr damit deutlich länger – natürlich immer in Abhängigkeit vom Display und den restlichen, parallellaufenden Anwendungen. Die grünen LEDs sind auf jeden Fall ein wichtiger Teil des Powermanagements.
Die Messung des Blutsauerstoffs funktioniert über das Verhältnis von roten und infraroten Wellenlängen. Die Schwierigkeit, diesen Prozentsatz präzise zu berechnen, liegt ebenfalls an der schlechten Signalqualität am Handgelenk. Das System muss auch bewerten, ob die erkannten Signale, wirklich vom Herz kommen oder Umgebungseinflüsse wie Erschütterungen sind, die nur wie ein Herzschlag daherkommen. Auch unter schwierigen Bedingungen die richtigen Daten bzw. das korrekte Signal zu verwenden, war eine unserer Kernaufgaben. Damit ist auch die SpO²-Messung jetzt deutlich stabiler.
Ein weiterer Punkt war die Reaktion des Systems auf »kein Signal«. Der Mikrocontroller muss erkennen, wenn der Träger seine Smartwatch ablegt und Umgebungslicht die Messung flutet. Sonst würde die medizinische Historie verfälscht. Neben der Sensibilisierung des Algorithmus waren auch hier die Betriebsbedingen der Rot- und Infrarot-LEDs ein wichtiger Punkt, zum einen der Strom wie auch die Positionierung, um auch einen längeren Weg durch die Haut zu stemmen. SpO² braucht für saubere Signale einen größeren Abstand als die Herzfrequenz. All diese Dinge sind in unser aktuelles Referenzdesign eingeflossen, auf Basis dessen die Hersteller ihr Gerät bauen können. Selbst wenn wir als Komponentenlieferant keine eigene medizinische Zertifizierung anstreben, haben wir bereits Kunden, die FDA-Freigaben für diverse Features wie z. B. Sauerstoffsättigung oder Afib-Detektion (Vorhofflimmern, Anm. d. Red.) erreicht haben.
Unsere Kunden können entweder die Komponenten und alle Design-Files über die Distribution bestellen und die Entwicklung der Uhr selbst in die Hand nehmen. Das trifft meist nur auf die ganz großen Kunden zu, die wollen alles selbst machen. Wir stehen prinzipiell für alle Nachfragen zur Verfügung, z.B. was das optische Arrangement betrifft. Unternehmen jeder Größe, natürlich auch die Medizintechnik, können quasi ein Rund-Um-Sorglos-Paket bekommen. Wir helfen bei der Auswahl der Komponenten, wir haben fertige Referenzdesigns und am Schluss haben die Hersteller meist ein fertiges Sensorsystem in der Hand, auf das sie ihre Entwicklungen draufsetzen.
Im Consumer-Bereich reden wir über die üblichen Zyklen von drei bis fünf Jahren, das wäre für die Medizintechnik inklusive Zertifizierung natürlich nicht tragbar. Für solche Kunden gibt es bei ams Osram ein Longevity-Programm. Sobald ein Hersteller ein Bauteil länger verfügbar benötigt, wird das Produkt in das Programm für die Langzeitverfügbarkeit aufgenommen. Der OEM bekommt damit die notwendige Sicherheit über den gesamten Lebenszyklus seines Gerätes. (uh)