Unerwünschte Nebenwirkung

KI verschlechtert Diagnose-Fähigkeit von Ärzten

18. August 2025, 13:26 Uhr | Ute Häußler
Ärzte, die für Darmspiegelungen auf eine KI-UNterstützung setzen, verlieren nach nur wenigen Monaten bis zu 20 Prozent ihrer eigenen Diagnosefähigkeiten.
© Componeers / Canva

KI soll in der Medizin eigentlich helfen, doch eine polnische Studie warnt vor einem unerwarteten Effekt in der Diagnostik: Nach nur drei Monaten der KI-Nutzung sinkt die Fähigkeit von Ärzten, Krebs eigenständig und zuverlässig zu erkennen. Experten sprechen von einem gefährlichen Kompetenzverlust.

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Es soll ja Menschen geben, die ohne Navigationssystem nicht mehr Autofahren können oder wollen. Die also ohne Hilfe ihres digitalen Wegweisers kein Ziel mehr eigenständig oder zumindest nur noch sehr schwer finden würden. Der als »Google-Maps-Effekt« bekannte Mechanismus zeigt eine Kehrseite unserer technischen Alltagshelfer - in diesem Fall läuft der Mensch infolge seiner Bequemlichkeit Gefahr, den eigenen Navigationssinn zu verlieren.  

Mit KI sinkt Diagnose-Fähigkeit von Ärzten

Einen ähnlichen Zusammenhang haben Forschende in Polen nun zwischen der Nutzung von Künstlicher Intelligenz und den diagnostischen Fähigkeiten von Ärzten nachgewiesen: Zwar gilt die KI-Integration in die Krebsdiagnostik als großer medizinischer Fortschritt, sie hat aber einen unerwarteten und besorgniserregenden Nebeneffekt: Ärzte werden durch die lange und anhaltende Nutzung von KI-Systemen schlechter darin, Krebs oder potenzielle Krebsvorstufen eigenständig zu erkennen.

Die Studie, veröffentlicht im renommierten Fachjournal »The Lancet Gastroenterology & Hepatology, analysierte die Leistung von Endoskopikern vor und nach der Einführung von KI-gestützter Diagnostik bei Darmspiegelungen. Vor der KI-Nutzung lag die Adenom-Detektionsrate, also die Fähigkeit, krankhafte Polypen frühzeitig zu erfassen, bei 28,4 Prozent. Nach nur drei Monaten intensiver KI-Unterstützung sank die Erfolgsrate ohne technische Hilfe auf 22,4 Prozent. Das entspricht einem signifikanten Rückgang der ärztlichen Diagnosequalität von rund 20 Prozent.

Kognitive Kompetenzen gehen verloren

Die Forschenden sprechen von einem »Deskilling«-Effekt: Durch das ständige Verlassen auf technische Assistenz verkümmern eigene diagnostische Fähigkeiten. Ähnlich wie beim eingangs beschriebenen »Google-Maps-Effekt« und dem Verlassen auf digitale Wegweiser gehen mit dem KI-Einsatz in der Medizin nachweislich wichtige kognitive Kompetenzen verloren. Der Verlust betrifft nicht nur Anfänger. Die Studie zeigt sehr deutlich, dass selbst Endoskopiker Kompetenzen verlieren. Es wird vermutet, dass der Effekt bei weniger erfahrenen Medizinern sogar noch stärker auftreten könnte.

Noch sind aber viele Fragen offen: Die Studienautor:innen betonen, dass dies eine erste Beobachtung ist und noch weitere Forschung nötig ist. Beispielsweise sind die Langzeitfolgen, Effekte in anderen medizinischen Disziplinen und mögliche Gegenmaßnahmen nicht ausreichend geklärt.

Entwicklung mit erheblichen Risiken

Das Phänomen des Deskilling ist auch aus anderen Berufsfeldern bekannt – das Verkümmern der eigenen Fähigkeiten durch neue Technologien betrifft z.B. auch Ingenieure oder Piloten. Diese Entwicklung birgt für die Medizin ein hohes Risiko: Sollte die KI-Unterstützung plötzlich ausfallen oder nicht mehr zur Verfügung stehen, müssen Ärzte weiterhin in der Lage sein, präzise Diagnosen zu stellen. Daher fordern Fachleute, dass gerade wegen des verstärkten KI-Einsatzes die klinische Praxis und Fachtrainings stärker auf die Erhaltung und das Training manueller Diagnosefähigkeiten ausgelegt werden sollten.

Die Studienergebnisse aus Polen erscheinen wie ein Weckruf. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels, der KI-Unterstützung fast unumgänglich macht, wird deutlich: Der sinnvolle und verantwortungsvolle Einsatz von KI-Technik im Gesundheitswesen erfordert eine sorgfältige Abwägung zwischen Innovation und der Bewahrung ärztlicher Expertise.

Letztlich müssen medizinische Leitlinien, Ausbildungen und der klinische Alltag so gestaltet werden, dass die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine optimal funktioniert – zum Wohle der Patienten und zur Sicherung einer zumindest gleichbleibenden Behandlungsqualität. (uh)

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