Vom Werkzeug zur Infrastruktur

Drei Wege, wie KI in den medizinischen Workflow einzieht

25. November 2025, 11:02 Uhr | Ute Häußler
KI wird vom Werkzeug zur Infrastruktur: Auf dem RSN 2025 zeigen Medizin OEMs und Start-Ups, wie die Künstliche Intelligenz in die klinische Versorgung integriert wird.
© Componeers / Canva

Philips, Healthineers und das Start-up Deepc zeigen zum RSNA 2025 unterschiedliche Strategien, wie Medizin-KI vom isolierten Werkzeug zur vernetzten Infrastruktur wird. Während Philips auf Geräte-Integration setzt, bietet Siemens KI-Services an – und Deepc liefert eine herstellerneutrale Plattform.

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William Baughman setzt sich in seinen Bürostuhl, öffnet eine neue Patientenakte – und freut sich: die mühsamste Arbeit ist für den Radiologen vom MetroHealth Medical Center in Cleveland bereits erledigt. CT-Bilder sind  bereits annotiert, klinisch relevante Beobachtungen zusammengefasst. »Es ist, als hätte ein Assistenzarzt Vorarbeit geleistet«, beschreibt Baughman seine Erfahrung mit den neuen KI-gestützten Services von Siemens Healthineers. Das Szenario beschreibt einen der vielen neuen Anwendungsfälle im klinischen und ambulanten Alltag und steht zugleich für einen Paradigmenwechsel: Die KI ist erwachsen geworden und geht im klinischen Umfeld nach dem ersten Hype und der folgenden Ernüchterung nun in die Reifephase über. Die Künstliche Intelligenz wird von der Insellösung zur Infrastruktur; agiert dabei aber mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen.

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Healthineers bietet neue KI-Services an, um Gesundheitsdienstleister bei einer Vielzahl von Herausforderungen zu unterstützen – von der konkreten Interpretation klinischer Bilder bis hin zur Planung komplexer Szenarien in der klinischen Versorgung.
Siemens Healthineers bietet neue Services mit künstlicher Intelligenz an, um Gesundheitsdienstleister bei einer Vielzahl von Herausforderungen zu unterstützen – von der konkreten Interpretation klinischer Bilder bis hin zur Planung komplexer Szenarien in der klinischen Versorgung.
© Siemens Healthineers

Drei Strategien, ein Ziel

Zum RSNA-Kongress 2025 (Radiological Society of North America) präsentieren drei Medizintechnikhersteller exemplarisch, wie sich medizinische KI sowohl in die Gerätelandschaft wie auch in Geschäftsmodelle integrieren lässt. Da ist zum einen der servicebasierten Ansatz, den die Ingenieure von Siemens Heathineers verfolgen: Deren gerade veröffentlichten neuen »AI-Enablement Services« decken die gesamte radiologische Bildgebungskette ab – von der Planung über den Scanvorgang bis zur Befundung. Das herstellerunabhängige Gesamtpaket kombiniert KI-gestützte Annotation mit Remote Scanning Services und Remote Reading durch externe Partnerorganisationen. Erste Pilotprojekte zeigen messbare Ergebnisse: Radiologen konnten CT-Bilder des Brustkorbs bis zu 25 Prozent schneller annotieren bei gleichbleibender klinischer Genauigkeit, die kognitive Belastung verringerte sich um mindestens 16 Prozent.​

Der DeviceGuide ist Philips' erste KI, die Ärzte in Echtzeit dabei unterstützt, Geräte für die Herzklappenbehandlung zu visualisieren und zu führen, während sie durch das schlagende Herz navigieren.
Der »DeviceGuide« ist Philips' erste KI, die Ärzte in Echtzeit dabei unterstützt, Geräte für die Herzklappenbehandlung zu visualisieren und zu führen, während sie durch das schlagende Herz navigieren.
© Philips

Philips demonstriert eine andere Facette der medizinischen KI-Integration, den geräteintegrierten Ansatz. Der »DeviceGuide« nutzt Algorithmen, um Herzklappen-Reparaturgeräte in Echtzeit durch das schlagende Herz zu navigieren. Die auf der Echo-Navigator-Plattform aufbauende Software kombiniert Echtzeit-Echo- und Röntgenbilder zu einem virtuellen 3D-Modell des Reparaturgeräts, das sich durch das schlagende Herz bewegt. »Wir bringen KI direkt in den OP-Saal«, sagt Dr. Atul Gupta, Chief Medical Officer bei Philips. Das KI-System entstand in Zusammenarbeit mit Edwards Lifesciences und ist zunächst für deren Pascal Ace Mitral-TEER-Therapiegerät zugelassen.

Das Plattform-Modell

Das Münchner Start-up Deepc positioniert sich mit einem dritten Ansatz: einer herstellerneutralen Infrastruktur. »Das Gesundheitswesen braucht mehr als Einzelmodelle oder getrennte Plattformen – es braucht Intelligenz, die zusammenarbeitet«, sagt Dr. Franz Pfister, CEO von Deepc. Die neue Generation von DeepcOS verbindet als »Enterprise Agentic AI Infrastructure« Bilddaten, klinischen Kontext und Wissensdatenbanken zu einem Orchestrierungslayer. Über die Plattform können Kliniken aus mehr als 60 regulatorisch zugelassenen KI-Lösungen wählen – ohne technische, operative oder kommerzielle Komplexität.

Deepc verbessert Healthcare AI mit Enterprise Agentic AI Plattformen
© DeepC

Das 2019 gegründete Unternehmen sicherte sich zuletzt eine Series-A-Erweiterung über zwölf Millionen Euro und erreicht damit eine Gesamtfinanzierung von 30 Millionen US-Dollar. Erste Implementierungen der nächsten deepcOS-Generation laufen in Sandbox-Umgebungen bei Mass General Brigham AI in Boston, am King's College und Guy's and St Thomas' NHS Foundation Trust in London sowie am LMU Klinikum München. »Um Agentic AI verantwortungsvoll im Gesundheitswesen einzusetzen, braucht man sowohl den regulatorischen Rahmen als auch das technische Fundament«, betont Prof. Sébastien Ourselin, Leiter der School of Biomedical Engineering & Imaging Sciences am King's College London.

Druck durch Fachkräftemangel

Alle drei Strategien reagieren auf denselben Druck: zunehmender Bedarf bei gleichzeitigem Fachkräftemangel. Die Mitralklappeninsuffizienz betrifft weltweit mehr als 35 Millionen Erwachsene, von denen viele für eine offene Herzoperation zu fragil sind. Damit einhergeht eine entsprechend hohe Anzahl an Wartungsfällen. »DeviceGuide« soll die technisch anspruchsvolle minimalinvasive Reparatur erleichtern. Parallel entwickelt Siemens Healthineers mit dem »ActExcell Operational Twin« ein Beratungstool, das basierend auf individuellen Daten komplexe Szenarien in Krankenhausabteilungen simuliert und optimierte Arbeitsabläufe empfiehlt. »Gemeinsam mit unseren klinischen Partnern haben wir Schritte im radiologischen Ablauf identifiziert, bei denen wir wirkungsvoll für Entlastung sorgen können«, sagt João Seabra, Leiter von Enterprise Services bei Siemens Healthineers.

Die drei auf dem RSNA gezeigten Entwicklungen eint ein Prinzip: Der Arzt bleibt in Kontrolle, die KI erweitert seine Fähigkeiten. »Dies geht nicht darum, Expertise zu ersetzen – sondern sie zu verstärken«, betont Gupta von Philips. Prof. Pfister von Deepc formuliert die  so: »Wir transformieren Infrastruktur selbst in eine Quelle von Intelligenz – nahtlos, verantwortungsvoll und skalierbar«. (uh)


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