Medica '25 - Taiwan setzt auf KI-Medizin

Von OP-Monitoring, Robo-Neurochirurgie bis zur Krebsdiagnostik

21. November 2025, 14:52 Uhr | Von Ute Häußler
Nihao Taiwan - bei den mit dem diesjährigen Excellence Award ausgzeichneten Medtech-Firmen, den Handelsgesellschaften und der Messe Düsseldorf herrschte beste Stimmung. Die KI-Medizin entwickelt sich gerade zum Treiber für den Tech-Standort im Westpazifik.
© Componeers

Taiwan zeigt auf der Medica 2025 eindrücklich, wie es sich vom klassischen OEM-Lieferanten zum Innovationsmotor in der Medizintechnik wandelt. Mit KI-gestützter Krebsdiagnostik, roboterunterstützter Neurochirurgie und vernetzter Rehabilitation setzt die ostasiatische Insel neue Medtech-Maßstäbe.

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Medica 2025, Tag 1: Wer seinen Messerundgang vom Eingang Ost aus startete, kam in Halle 16 nicht umhin, auf den Gemeinschaftsstand von Taiwan aufmerksam zu werden. Das lag nicht nur an dessen Größe, den dort gezeigten, auf Innovationsfreude und Fertigungspräzision ausgelegten, Medizin-Technologien, sondern zu einem bedeutenden Teil auch an der charmanten Präsenz, die der asiatische Tech-Standort in Düsseldorf an den Tag legte.

Allein, dass Taiwan die als »Millertwins« bekannten Moderatorinnen Sandra und Diana Müller für den »Taiwan Excellence Award« engagiert hatte, bescherte dem Technologiehotspot ein extra Plus an Aufmerksamkeit. Nach der energetischen Einleitung der in Taiwan-Farben gekleideten Zwillinge wurde den mehr als 60 Fachleuten im Publikum in den Vorträgen der vier Preisträger deutlich gezeigt, dass Taiwan weit mehr zu bieten hat als eine günstige OEM-Fertigung. Die präsentierten Medtech-Systeme – von KI-gestützter Lungenkrebs-Früherkennung mit FDA-Zulassung bis zu optischer Navigation in der Neurochirurgie – verdeutlichten, wie sich die taiwanesische Medizintechnikbranche vom Zulieferer zum Innovationstreiber entwickelt.

Strategische Partnerschaft mit Deutschland

»Taiwan und Deutschland sind wie zwei Stränge der DNA, die aus unterschiedlichen Gründen existieren, aber perfekt zueinanderpassen«, sagte Mei-Shun Lo als Direktor des Frankfurter Taipei-Büros in seiner Einleitungsrede. Simon Wang, Präsident und CEO von der taiwanesischen Außenhandelsgesellschaft Taitra, konkretisierte diese Vision: »Die weltweiten Gesundheitssysteme entwickeln sich zunehmend zu einer personalisierten und nachhaltigen Versorgung. Dafür steht Taiwan als verlässlicher Partner bereit und bietet Präzision, Effizienz und menschenzentrierte Innovation«.

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Die neue Messe-Chefin Carmen Berger spricht bei der Eröffnung des Taiwan Medtech-Pavilion auf der Medica 2025.
Die neue Messe-Chefin Carmen Berger spricht bei der Eröffnung des Taiwan Medtech-Pavilion auf der Medica 2025.
© Messe Düsseldorf

Auch die neue Medica-Chefin Carmen Berger hatte bereits am ersten Messetag ihren Respekt bekundet und mit einer kleinen Ansprache zur offiziellen Standeröffnung »Nǐhǎo« gesagt. Mit mehr als 250 taiwanesischen Unternehmen auf der Medica 2025 gehört Taiwan zu den ausstellerstärksten Ländern der Messe. Im Taiwan Excellence Pavilion (Halle 16, Stand B13) zeigen 15 prämierte Unternehmen mit 23 Produkten unter den Themenfeldern »Smart Hospital«, »Effizienter Klinikbetrieb« und »Home Care« ihre neuesten Entwicklungen und wie moderne Medizintechnik die Versorgungskette vom Klinikum bis ins Wohnzimmer verändert.

Endoskopie-Entwicklung aus der Halbleiterindustrie

Doch nun zur Technologie und den vier prämierten Gewinnern des Taiwan Excellence Awards 2025: Den Anfang machte Jimmy Fan von Medimaging Integrated Solution (MiiS). Das Unternehmen aus Hsinchu ist spezialisiert auf Einweg-Endoskope mit und nutzt seine Erfahrung mit fortschrittlichen Mikrokamera-Modulen, um die minimalinvasive Diagnostik voranzutreiben. Ursprünglich aus der Halbleiterinspektion kommend, kombiniert MiiS dabei seine Expertise in Optik, Bildverarbeitung und KI-gestützter Diagnostik, um die Diagnosesicherheit zu erhöhen und klinische Arbeitsabläufe zu optimieren.

Jimmy Fan adressierte in seinem Vortrag insbesondere den weltweiten Trend zu Disposables und dessen nach seiner Auffassung erheblichen Vorteilen gegenüber wiederverwendbaren Systemen. »Bei Einweg-Endoskopen besteht kein Kontaminationsrisiko, da jedes Gerät völlig neu ist. Medizinischem Personal spart somit Zeit, die sonst für die Reinigung aufgewendet werden müsste. Fan stellt eine Kostenanalyse vor, die zeigt, dass mit den Einmalendoskopen allein im ersten Jahr bis zu 39 Prozent der Kosten eingespart werden, über einen Fünfjahreszeitraum immer noch 16 Prozent. MiiS ist stolz darauf, dass sein Mikrokamera-Modul mehrere Qualitäts- und Produktsicherheitszertifikate innehat, darunter die CE-Kennzeichnung Klasse II sowie die ISO 13485-Zertfizierung und FDA 510(k) Zulassung und das die Technologie exklusiv von Boston Scientific vertrieben wird.

Minimalinvasive Chirurgie mit optischer Navigation

Das stereotaktische Retina-Navigationssystem von Eped zielt auf Hochpräzisions-OPs in der Chirurgie. »Unser Retina-System ermöglicht minimalinvasive Eingriffe mit höherer Sicherheit, geringeren Komplikationsraten und verbesserter chirurgischer Genauigkeit«, erklärte Vertriebsmanager Emmanuel Felix dem Düsseldorfer Publikum. Das optische Echtzeit-Tracking-System wird in Neurochirurgie, HNO-, kraniofazialer und Oralchirurgie eingesetzt und erlaubt Chirurgen, Instrumente im dreidimensionalen Raum mit höchster Präzision zu verfolgen.

Besonders beeindruckend: Das System kann jeden Bereich des Gesichts als Marker nutzen – nicht nur die Hautoberfläche, sondern auch Zähne und Zahnstrukturen. »So können wir jeden Patienten erkennen, selbst im Falle starker Schwellungen oder fehlender Zähne«, so Felix. Mit Funktionen wie dem Nerven-Tracking können Chirurgen Grenzbereiche festlegen und kritische Strukturen wie den Gesichtsnerv schützen. Bei komplizierten Eingriffen wie Kiefergelenkoperationen erkennt Retina beide Gesichtshälften gleichzeitig – ein Durchbruch für die Kieferchirurgie.

Der Gemeinschaftsstand von Taiwan auf der Medica 2025 nahm einen großen Teil der Halle 16 ein. Im Vordergrund das OP-Navigationssystem von Eped.
Der Gemeinschaftsstand von Taiwan auf der Medica 2025 nahm einen großen Teil der Halle 16 ein. Im Vordergrund das OP-Navigationssystem von Eped.
© Componeers

Lungenkrebs-Früherkennung mit KI

V5med aus Taipeh-Stadt erhielt für seinen 4-in1-Scanner »Lung AI« als erstes taiwanesisches Unternehmen im März dieses Jahres die FDA 510(k)-Zulassung für ein KI-basiertes Lungenkrebsscreening. »Lungenkrebs ist immer noch eine der häufigsten Todesursachen weltweit. In Deutschland steht Lungenkrebs an dritter Stelle aller Krebserkrankungen«, sagte James Lee, Chief Operating Officer von V5med.

Das KI-basierte Diagnostiksystem vereint Knotenerkennung, Koronarkalk-Scoring, COPD-Analyse und Lungenfibrose-Quantifizierung in einer Plattform und ermöglicht schnellere und präzisere Auswertungen von Low-Dose-CT-Scans. »Wir erreichen eine Sensitivität von 95 Prozent bei der Detektion von Lungenknoten und sind besonders gut bei Ground-Glass-Nodules, die sehr leicht übersehen werden«, erklärte Lee. Die KI identifiziert automatisch identische Knoten bei Vergleichsuntersuchungen – mit nur einem Klick. ​

In klinischen Studien steigerte das KI-System die Detektionsrate um 20 Prozent und verkürzte die Auswertezeit um 13 Prozent. Bei kleinen Knoten zwischen vier und fünf Millimetern erhöhte sich die Anzahl erkannter Läsionen von 39 auf 80 – ein Zuwachs von über 100 Prozent. Bei malignen Knoten verbesserte die KI die Detektionsrate amerikanischer Radiologen von 65 auf 76 Prozent. V5med ist bereits in über 40 Krankenhäusern in Taiwan im Einsatz und expandiert nun nach Europa, in den Mittleren Osten und die USA.

Intelligente Schulter-Reha per IoMT und AR

Compal Electronics, Taiwans sechstgrößte Unternehmensgruppe mit 9.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 30 Millionen US-Dollar, präsentierte mit seiner Tochterfirma Shennona das Open Shoulder Wheel – ein intelligentes Rehabilitationsgerät für die Schulterrehabilitation. »Ein verlängerter Genesungsprozess kann zu Komplikationen wie Muskelatrophie, Kontrakturen und Gewebeversteifung führen. Zu intensive Übungen können dagegen zu Implantatversagen oder Schmerzen führen«, erklärte Dr. Allan Hsu in seinem Vortrag.

Das Open Shoulder System kombiniert eine interaktive AR-App mit einem stabilen Zwei-Hand-Grip-Band und einem smarten, magnetisch gesteuerten Schulterrad. Die AR-App leitet Patienten an und warnt vor gefährlichen Bewegungsbereichen – etwa wenn nach einer OP der Arm nicht über 120 Grad gebeugt werden darf. Das magnetische Widerstandsrad überwacht jede Bewegung: Bewegungsumfang, Rotationswinkel, Widerstand und Trainingszeit werden in Echtzeit erfasst und per IoMT mit Therapeuten und Ärzten geteilt. »Das System kann elf verschiedene Schulterpathologien analysieren und bietet auf Basis anatomischer und physiologischer Prinzipien individuelle Empfehlungen«, so Hsu.

Taiwan positioniert sich mit Präzision, Effizienz und Sicherheit

Die Präsentationen auf der MEDICA 2025 zeigten eindrucksvoll, dass Taiwan nicht nur als OEM-Partner für internationale Konzerne fungiert, sondern sich zunehmend als Innovationstreiber mit eigenen Marken und FDA- wie auch MDR-zugelassenen Systemen etabliert. Die Vertreter der 130 Kilometer vor China gelegenen Insel betonen die enge Verzahnung zwischen Halbleiterindustrie, präziser Fertigung und medizintechnischer Entwicklung – was taiwanesische Unternehmen zu verlässlichen Partnern für europäische Gesundheitssysteme mache. Abgesehen vom Trend zum Nearshoring und den schwelenden geopolitischen Risiken im Westpazifik - es bleibt im Sinne des Welthandels einfach auf die Vernunft von China zu hoffen - adressiert Taiwan als eines der wichtigsten ostasiatischen Technologie- und Wirtschaftszentren mit den in Düsseldorf gezeigten KI-gestützten Diagnosesystemen, optischen Navigationslösungen und vernetzten Rehabilitationsgeräten genau jene Herausforderungen, vor denen moderne Gesundheitssysteme stehen: Präzision, Effizienz und eine  auf den Patienten ausgerichtete Versorgung. (uh)


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