Vor dem Hintergrund der sich weltweit vollziehenden Energie- und Mobilitätswende, steigt der Bedarf an Leistungshalbleitern stark. Von einem geradezu exponentiellen Wachstum könnte man bei SiC und in abgemilderter Form auch bei GaN sprechen.
Aktuell liegt er weltweite Bedarf von Primärenergie bei rund 160.000 Terawattstunden – etwa ein Drittel davon in Form von Elektrizität. Das Problem dabei: Etwa 17 Prozent dieser Energie gehen durch Verluste bei der Elektrizitätsgewinnung verloren. »Energieeffizienz«, so Andreas Urschitz, Division President Power & Sensor Systems bei Infineon Technologies, auf dem diesjährigen Anwenderforum Leistungshalbleiter der Markt&Technik, »ist ein wichtiger Hebel, um die angestrebten Klimaziele für den Planeten zu erreichen«. Neue Materialien wie Wide-Bandgap-Halbleiter seien ausschlaggebend für den nächsten, essenziellen Schritt hin zu einer energieeffizienteren Welt.
Infineon setzt dabei auf Leistungshalbleiter sowohl auf Basis von Siliziumkarbid (SiC) als auch von Galliumnitrid (GaN). Welche Möglichkeiten ein großflächiger Einsatz von GaN-Leistungshalbleitern ermöglichen würde, verdeutlicht Urschitz am Beispiel von Rechenzentren in den USA: »Würde jedes US-Rechenzentrum an den entscheidenden Stellen GaN verwenden, würden sich nicht nur 10 Milliarden Kilowattstunden Energie und 5 Millionen Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr einsparen lassen, sondern auch 1 Milliarde Dollar Energiekosten.«
Toni Versluijs, General Manager MOS Discretes bei Nexperia, möchte auch unter dem Aspekt der Erreichung der weltweit angestrebten Ziele beim Wandel in den Bereichen Mobilität und Enerie die Grenzen des Einsatzes von GaN in Zukunft nicht nur mehr in klassische Silizium-MOSFET-Bereiche vorantreiben, sondern auch mit PowerGaN in bisherige SiC-Anwendungsbereiche vorstoßen, wie er in seiner Keynote für die Veranstaltung erklärte: »Wir werden GaN in der Form optimieren, dass wir damit auch High-Power-Anwendungen von 2 bis 250 kW mit 650-V-GaN-Leistungshalbleitern abdecken können.«
Dass diese Produkte Automotive-Standards entsprechen werden, ist für ihn selbstverständlich. Der zweite Schwerpunkt der GaN-Aktivitäten von Nexperia zielt auf Industrieanwendungen im Leistungsbereich von 2 bis 20 kW. Den großen Vorteil von GaN-auf-Silizium-Produkten sieht er vor allem darin, »dass wir diese Lösungen auf GaN-Preis-Level anbieten und die Fertigung wie im Bereich der Silizium-Leistungshalbleiter nach Bedarf skalieren können«. Zum Ende seiner Keynote machte Versluijs aber auch deutlich, dass Nexperia bei Wide Bandgap nicht nur auf GaN setzt. Wohl schon 2022 werden als erstes SiC-Dioden auf den Markt kommen, der nächste logische Schritt wäre dann auch der Eintritt auf den SiC-MOSFET-Markt.
Dr. Thomas Neyer, Technical Fellow and Head SiC Development bei onsemi, ging in seiner Keynote vor allem auf den explodierenden Bedarf an SiC-Leistungshalbleitern ein. »Aus unserer Sicht hat das inzwischen wenig mit den Vorhersagen von Marktforschern wie Yole zu tun. Unsere Bedarfsanfrage ist um ein Vielfaches höher, als von den Marktforschern noch vor Kurzem prognostiziert!« Letztlich habe sich der Bedarf seit 2019 mehr als verzehnfacht. Onsemi reagiere darauf, indem es sich im SiC-Bereich zu einem vertikal integrierten Unternehmen entwickle. Neben der eigenen Substratherstellung, hier fährt das Unternehmen gerade zwei 200-mm-Reaktoren (8 Zoll) hoch, arbeite man aber noch weiter mit externen Lieferanten zusammen. Dasselbe gilt für den Bereich Epitaxie: Auch hier arbeitet onsemi im SiC-Bereich mit drei externen, unabhängigen Volumenherstellern zusammen.
Bei der Fertigung von SiC-MOSFETs setzt der Chiphersteller auf eine möglichst schnelle Migration von 150- auf 200-mm-Wafer. »Wir werden den Kapazitätsausbau das ganze Jahr 2022 über aggressiv vorantreiben«, versichert Dr. Neyer. Parallel zur Kapazitätsausweitung werden die SiC-MOSFETs selbst weiter applikationsspezifisch verfeinert. War das M2-Zelldesign noch vor allem auf Traktionsanwendungen ausgelegt, so bietet die aktuelle M3-Plattform bereits zwei Ausprägungen: reduzierte Schaltgeschwindigkeit, dafür aber erhöhte Robustheit in Form der T-Zelle, und die S-Zelle als Produkt für Applikationen mit wirklich hohen Schaltgeschwindigkeiten.
»Letztlich geht es um nichts Geringeres, als den Energiefluss der Zukunft optimal mit Wide-Bandgap-Bauteilen zu managen«, stellt Dr. Peter Friedrichs, Vice President SiC bei Infineon Technologies, in seiner Keynote fest. Welche Dimensionen die Nachfrage nach Siliziumkarbid inzwischen neben dem Automobilbereich auch in der Industrie erlangt hat, macht er dadurch deutlich, »dass wir heute bereits über 3000 Kunden in diesem Bereich direkt oder über die Distribution mit SiC beliefern«. Und beinahe täglich werden es mehr. Praktische Beispiele dafür? In einer DC-Ladesäule mit 350 kW, die schnellladefähig ist, stecken heute Si- oder SiC-basierte Leistungshalbleiter im Wert von 1500 bis 3000 US-Dollar.
Ein anderes schnell wachsendes Anwendungssegment ist die Energiespeicherung. »Jedes installierte Megawatt an Energiespeicher enthält Leistungshalbleiter für rund 3200 US-Dollar«, so Dr. Friedrichs und ergänzt: »Da bei der zweifachen Wandlung im Fall von Energiespeichern die Effizienz von Leistungshalbleitern besonders wichtig ist, zählen die Vorteile von SiC hier gleich doppelt!« Bis Mitte dieses Jahrzehnts will Infineon eine Umsatzgrößte von 1 Milliarde US-Dollar im SiC-Business erreichen; der Marktanteil soll dann bei rund 30 Prozent liegen. Entsprechend puscht das Unternehmen den Kapazitätsausbau, indem existierende 150- und 200-mm-Fertigungen von Silizium auf SiC und GaN umgerüstet werden.
In seiner abschließenden Keynote propagierte Gregg Lowe, CEO von Wolfspeed, die aktuellen Versorgungsprobleme bei Silizium-basierten Leistungshalbleitern als Chance, »mit Kunden über langfristige SiC-Verträge zu sprechen«. Der Einsatz im Automobilbereich zeichne dabei die zukünftige Erfolgsgeschichte von SiC vor: »Wir stehen aktuell am Beginn einer Verlagerung von der klassischen Silizium- zu Silizumkarbid-Leistungselektronik.« Um die Bedeutung des Game Changers SiC zu unterstreichen, wies Lowe darauf hin, dass ein 200 mm großer SiC-Wafer von seinen Applikationen her deutlich mehr Leistung schalten könne als ein mit klassischen Silizium-IGBTs prozessierter 300-mm-Wafer. Dass es für das Vorantreiben dieser Transformation außergewöhnlicher Anstrengungen bedarf, machte der Wolfspeed-CEO mit dem Verweis auf die Entstehungsgeschichte des neuen 200-mm-SiC-Werks in Mohawk Valley in Marcy, im US-Bundesstaat New York deutlich: »Im März 2020 waren dort nur Wiesen. Heute planen wir dort den Start unserer voll qualifizierten Produktion im nächsten Jahr.« Wie nötig die neuen Produktionskapazitäten sind, zeigt der aktuelle Projektbestand von über 15 Milliarden Dollar bei Wolfspeed.
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