»Zum Teil haben die Fluglinien ja ihre Flüge bis Ende März, Mitte April ausgesetzt«, ergänzt Alexander Gerfer, CEO, der Würth Elektronik eiSos, »und auch wenn die Arbeiter wieder in die Produktionsstätten zurückkehren: Mit zwei Wochen Quarantäne bedeutet das, dass sie erst Ende Februar wieder normal in die Produktion zurückkehren können«. Dass das zu Problemen und Ausfällen führen werde, sei kein Salesman Talk, »sondern wird ein Riesenthema werden«. Das habe nichts mit Panikmache zu tun, sondern sei schlicht Fakt: »Hier ergeben sich Tausende von Einflussfaktoren, die wir heute noch gar nicht überblicken können.«
Das größte Problem sieht Matthias Hutter, Vice President für Product Management & Supplier Marketing EMEA bei Arrow, Mitte Februar in der Kundenkommunikation. »Der ganze Mass Market kommt auf uns zu und fragt, welche Produkte beeinträchtig sein könnten.« Das Problem der Distributoren liegt aber darin, dass es keine Artikel- oder Part-spezifischen Informationen gibt, die sie an die Kunden weitergeben können. »Konkret bedeutet das: Wir stehen aktuell vor einem großen Vakuum.« Hutter erinnert daran, dass sich die Distribution 2011 nach Fukushima massiv Bestände aufs Lager gelegt habe, »um dann festzustellen, dass es doch nicht so schlimm war, und plötzlich hatten viele Distributoren in Europa Überbestände bei Mikrocontrollern«
»Wenn du am Freitag was sagst, kann das am Montag schon falsch sein«, beschreibt Olaf Lüthje, Senior Vice President Business Marketing Passives bei Vishay, die Situation Mitte Februar. »Die Frage ist, wie geht es jetzt weiter, und damit kann man dann von Tag zu Tag perfekt Panik schieben.« Das könne sich hochschaukeln; »wenn das jetzt wirklich zwei, drei Wochen so bleibt, haben wir ein Riesenproblem«. Natürlich habe man den Großteil der Bedarfe in China, die würden jetzt auch wegfallen, wenn etwa Kunden wie Foxconn 1 Million Arbeiter zu Hause lassen. »Der monatliche Bedarf von Foxconn liegt jetzt einfach da.« Es könne zu einer kompletten Verschiebung der Supply Chain kommen, so Lüthje, »die man jetzt noch gar nicht kommunizieren oder abschätzen kann«. Lüthje weist aber auch darauf hin, dass das Ganze ein Nullsummenspiel sein könne: »Wenn wir in China nicht fertigen können, dann haben unsere Kunden dasselbe Problem.« In letzter Konsequenz könne es sich deshalb sogar erweisen, dass die Probleme im Zug des Coronavirus außerhalb Chinas ein größeres Problem für die Elektronikbranche darstellen könnten als in China selbst.
Vor dem Hintergrund der letzten Allokation sind die Kunden in Europa aber sehr sensibel, was Nachrichten über Lieferprobleme angeht, wie Stefan Sutalo, Marketing Director Passive Components bei Rutronik, bestätigt. »Es geht jetzt schon wieder los, dass sie Bestellungen doppelt und dreifach platzieren, um sich abzusichern.« Auch Sutalo spricht von lückenhafter Kommunikation vonseiten der Hersteller und zeigt Verständnis für die Sorgen der Anwender, »die nicht wissen, ob sie ihre Bauelemente bekommen werden oder nicht«.
In der aktuellen Situation rächt sich für Jean Quecke, Sales Director (IPE) Central Europe bei Future Electronics Deutschland, dass sich die deutsche Industrie bereits in den letzten Monaten mit Bestellungen zurückgehalten hat. Er verweist auf den Einkäuferindex und erklärt, dass der für Deutschland im Dezember 2019 bei 47 lag, »in vielen anderen europäischen Ländern wie etwa Frankreich, Italien und Skandinavien, aber auch in China lag er im Dezember bereits über 50!« Das bedeutet, dort hat man bereits bestellt, »und der deutsche Markt stellt sich mal wieder hinten an«. Im Zusammenspiel mit steigenden Bauteilbedarfen in anderen Regionen der Welt, die unter anderem durch den Rollout der 5G-Technik entstehen, »kann das in den nächsten Wochen und Monaten zu einer Herausforderung für die Versorgung der Kunden in Deutschland werden«.