Der Dragon-Copilot von Microsoft soll Personalmangel und Dokumentationslast in Kliniken lindern - und ab Herbst in Europa verfügbar sein. Das KI-System kombiniert die medizinische Spracherkennung mit der Copilot-Plattform DAX für automatisierte Aufgaben, Dokumentation und die smarte Recherche.
Von der Spracherkennung zum kontextsensiblen Assistenten - der von Microsoft pünktlich zur HIMSS 2025 in Las Vegas vorgestellte Dragon-Copilot ist die logische Weiterentwicklung der seit Jahrzehnten in Kliniken genutzten Dragon-Medical-One-Spracherkennungssoftware (DMO) sowie der aktuellen Copilot-Initiativen.
Während die ursprünglich von Nuance entwickelte DMO auf präzise Sprache-zu-Text-Transkription spezialisiert war, erweitert die Integration der DAX-Copilot-Plattform die Fähigkeiten um Ambient Computing: Die KI analysiert also natürliche Gespräche zwischen Medizinern und Patienten in Echtzeit, extrahiert relevante klinische Daten und generiert automatisch strukturierte Berichte.
»Statt sich auf die reine Dokumentation zu konzentrieren, können sich Kliniker wieder auf die Interaktion mit Patienten fokussieren. Die KI übernimmt nicht nur das Tippen, sondern interpretiert den Kontext.« |
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Joe Petro, Corporate Vice President bei Microsoft |
Der neue KI-Assistent arbeitet ähnlich wie bereits in Deutschland und Europa verfügbare Produkte von Mitbewerbern wie Corti, der Copilot des dänischen Anbieters ist bereits seit Herbst 2024 in Deutschland erhältlich und bekommt aus Kliniken recht gutes Feedback.
Das »mithörende« Produkt von Microsoft ist auf eine Erleichterung des Klinikalltags ausgelegt und bietet eine einheitliche Benutzeroberfläche für »Umgebungsdokumentation«, »Entscheidungsunterstützung« und »Workflow-Automatisierung«.
Burnout-Prävention durch reduzierte Bürokratie: Aktuelle Microsoft-Daten zeigen, dass 70 Prozent der DAX Copilot-Nutzenden eine geringere Erschöpfung beklagen. Die Dragon-KI könnte diesen Effekt verstärken: Pilotstudien dokumentieren fünf Minuten Zeitersparnis pro Patientenkontakt – bei 20 Konsultationen täglich summiert sich dies auf über 16 Arbeitsstunden monatlich.
Aber auch für die Patientenorientierung und Behandlungsqualität sollen die Zeichen auf Verbesserung stehen: 93 Prozent der Patienten in DAX-Pilotprojekten bewerten die Interaktion mit KI-unterstützten Ärzten positiver. Grund hierfür ist die ungeteilte Aufmerksamkeit der Mediziner während der Visite.
»Wenn der Bildschirm nicht zwischen Arzt und Patient steht, entsteht eine vertrauensvollere Dynamik. Die KI protokolliert im Hintergrund, ohne die menschliche Komponente zu stören.« |
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Glen Kearns, Ottawa Hospital |
Ab Mai 2025 wird soll der »Dragon-Copilot« zunächst in den USA und Kanada eingeführt werden, die europäischen Märkten (UK, Deutschland, Frankreich, Niederlande) sind im zweiten Halbjahr geplant. In den USA kooperiert Microsoft dabei mit EHR-Anbietern (Electronic Health Record) wie Epic und Cerner, um nahtlose Integrationen zu gewährleisten. Für bestehende DMO-Kunden ist ein migrierter Support vorgesehen.
Für den verantwortungsvolle Umgang mit KI und eine hohe Datensicherheit betont der US-Softwaregigant, das die Dragon-Copilot-Architektur auf den »Responsible AI«-Prinzipien von Microsoft basiere. Dazu gehören Transparenz, Fairness und Compliance und bedeutet in der Praxis, dass Kliniker Einblick in die Datenquellen der KI-Empfehlungen bekommen. Die Algorithmen wurden zudem mit diversen Sprachdatensätzen trainiert, um Dialekte und Akzente gleichberechtigt zu erfassen. Eine isolierte Datenverarbeitung innerhalb der Microsoft Cloud for Healthcare stellt HIPAA- und GDPR-Konformität sicher. Zudem blockiert das System nicht verifizierbare Diagnosevorschläge.
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Obwohl zunächst auf stationäre und ambulante Versorgung zugeschnitten, sieht Microsoft auch Anwendungsszenarien in Pflegeheimen, Reha-Einrichtungen und der Telemedizin. Interessant ist die geplante Schnittstelle zu Wearables: Vitaldaten von Smartwatches könnten zukünftig automatisch in die KI-Dokumentation einfließen.
Trotz der Ambitionen bleiben Herausforderungen wie regulatorische und akzeptanzbezogene Hürden sowie ethische Fragen. In der EU müssen KI-Systeme zur klinischen Entscheidungsunterstützung die MDR-Zertifizierung durchlaufen, es ist derzeit offen, ob dieser Prozess für die komplexen Lernalgorithmen bis zum Herbst abgeschlossen sein wird - auf der anderen Seite dürfte Microsoft genügend Aufwand und Mittel einsetzen, um den Prozess zügig abzuschließen. Zudem gibt es von Mitbewerbern bereits ähnliche Lösungen auf dem Markt.
Für die Unterstützung von Ärzten bei der Umstellung von manueller Dokumentation auf KI-gestützte Prozesse setzt auf Trainingsprogramme mit zertifizierten Partnern. Bezüglich möglicher Fehlinformationen seitens des KI-Tools betont Microsoft, dass der Dragon Copilot nur assistiert und keine autonomen Entscheidungen trifft - also immer eine Ärztin oder eine medizinische Fachkraft das letzte Wort behält.
Mit dem Dragon Copilot soll KI wie einst Microsoft Office in Kliniken und Praxen einziehen. Ziel ist nicht nur eine effizientere Organisation und Verwaltung sondern auch die Verbesserung der Arzt-Patienten-Beziehung durch mehr Zeit und Fokus auf den menschlichen Kontakt. Entscheidend wird dabei sein, ob die Technologie ihr Versprechen einlöst, gleichzeitig Burnout-Raten zu senken und die Behandlungsqualität zu erhöhen. Mit über 600 teilnehmenden Kliniken in der Testphase scheint die Grundlage von MS Dragon Copilot solider als bei vielen anderen KI-Entwicklungen. Die medizintechnische Community wird den Rollout ab Mai 2025 genau beobachten – insbesondere die Zulassung in Europa, die Interoperabilität mit Drittsystemen und die langfristigen Auswirkungen auf klinische Outcomes. (uh)