Enkelfähige Materialien

Aufbruch in eine PFAS-freie Zukunft

27. Februar 2025, 16:34 Uhr | Von Dr. Christina Reufsteck, TÜV Süd Product Service
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Medizinprodukte brauchen PFAS-Alternativen. Die Stoffgruppe gilt als umwelt- und gesundheitsschädlich, ab 2026 sind EU-weit Verbote und Einschränkungen geplant. Hersteller müssen sich über die Regulatorik informieren und vorsorgen. Der TÜV Süd unterstützt auf dem Weg zu PFAS-freier Medizintechnik.

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2012 stellten PFAS zwei Regionen in Baden-Württemberg vor Probleme, die bis heute andauern: In den Landkreisen Baden-Baden und Raststatt kontaminierte mutmaßlich ein Dünger aus PFAS-belastetem Papierschlamm rund 1.100 Hektar Ackerland. Blutuntersuchungen bei Teilen der Bevölkerung wiesen eine hohe Konzentration der Stoffgruppe nach. Zahlreiche Brunnen wurden daraufhin stillgelegt. Trinkwasser kann auch heute in großen Teilen nicht gewonnen werden, Wasser und Ernte müssen seither akribisch untersucht werden.

Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) umfassen rund 15.000 verschiedene Stoffe. Als sogenannte Ewigkeitschemikalien stehen sie seit einiger Zeit massiv in der Kritik: Sickern PFAS erst einmal in die Erde ein, bauen sie sich für Jahrzehnte oder länger nicht mehr ab. Über die Nahrungskette gelangen PFAS schließlich in den menschlichen Organismus und sammeln sich auch dort an. Viele sind nachgewiesen giftig; schon ­geringe Mengen einzelner Substanzen gelten als gesundheitsschädlich. So sehen Studien einen Zusammenhang mit Unfruchtbarkeit sowie Nieren- und Lebererkrankungen. Zudem stehen manche PFAS im Verdacht, krebserregend zu sein.

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Das Whitepaper des TÜV Süd »PFAS Chemicals in Medical Devices – Next Steps for Manufacturers« informiert über Vorkommen und Eigenschaften von PFAS, die geplanten regulatorischen Bestimmungen und mögliche Konsequenzen.
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EU und USA machen Druck

Die USA haben bereits ein Maßnahmenprogramm für PFAS auf den Weg gebracht. Und die Europäische Union plant, das Verwenden dieser langlebigen Chemikalien massiv einzuschränken. Treibende Kraft innerhalb der EU sind Deutschland, Dänemark, Norwegen, Schweden und die Niederlande. Diese Länder haben im März 2023 einen entsprechenden Vorschlag zur Beschränkung bei der Europäischen Chemikalienagentur ECHA (European Chemicals Agency) eingereicht. Mit einer Entscheidung durch die EU-Kommission wird nach derzeitigem Plan 2025 gerechnet. Ob es Ausnahmeregelungen geben wird und wie deren Übergangszeiten aussehen sollen, ist noch unklar. Ein sofortiges Verbot von allen PFAS gilt jedoch als unwahrscheinlich. Unabhängig davon haben einige Chemiefirmen bereits angekündigt, die Produktion von PFAS einzustellen. Das könnte Lieferketten unterbrechen. Medizintechnikhersteller, die mit PFAS arbeiten, sind daher gut beraten, auf bestehende Alternativen zurückzugreifen oder zügig Ersatzstoffe zu entwickeln.

Weltweite PFAS-Beschränkungen

Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen gelangen während der Produktion, über Industrieabwässer, beim Entsorgen oder beim Verwenden von PFAS-haltigem Löschschaum in die Umwelt und reichern sich immer mehr an. Die außergewöhnliche Stabilität und Vielseitigkeit, die die »Ewigkeitschemikalien« für eine breite Palette von Anwendungen so attraktiv machen, sind zugleich gefährlich für Umwelt und Gesundheit – und damit ein Altlasten-Problem.

Weltweit reagieren Länder daher auf die Gefahren durch PFAS und planen Maßnahmen zum Schutz von Mensch und Umwelt. Eine wichtige Rolle bei der Regulierung spielen die USA und Europa. In den USA hat die Umweltschutzbehörde EPA (Environmental Protection Agency) bereits Regelungen erlassen, um die Belastung durch PFAS im Trinkwasser zu reduzieren. Demnach sind Wasserversorger verpflichtet, PFAS-Daten zu erheben und zu veröffentlichen. Ab 2029 müssen Wasserversorger bei Überschreitung der festgelegten PFAS-Konzentrationsgrenzwerte im Trinkwasser die Öffentlichkeit informieren und Maßnahmen ergreifen, um den PFAS-Spiegel zu senken.

In Europa fallen PFAS in den Geltungsbereich der EU-Verordnung (EG) Nr. 1907/2006, bekannt als REACH. Diese regelt die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien. Ihre Einhaltung überwacht die Europäische Chemikalienagentur ECHA. Sie arbeitet derzeit an der wissenschaftlichen Analyse und Risikobewertung der PFAS-Substanzen, gestaffelt nach Sektoren. Ziel ist es, die Emissionen von PFAS in die Umwelt deutlich zu reduzieren. Unter der POP-Verordnung für persistente organische Schadstoffe ist die Perfluoroktansäure (PFOA) bereits seit 2020 verboten; der Gebrauch von Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) wurde stark eingeschränkt.

Besondere Eigenschaften für versatilen Einsatz

Das Dilemma: PFAS finden sich in vielen Produkten des täglichen Lebens – in Textilien, als Beschichtungen von Kochgeschirr, in Kosmetika, in Arzneimitteln oder im Feuerlöschschaum. Sie zeichnen sich durch sehr stabile Kohlenstoff-Fluor-Bindungen in ihrer chemischen Struktur aus. Jede Verbindung innerhalb dieser Gruppe weist zusätzliche Merkmale auf, die sie für bestimmte Einsätze besonders geeignet machen. Gemeinsam ist allen PFAS eine bemerkenswerte Stabilität und Resistenz gegenüber Abbauprozessen. Sie halten große Hitze aus und starken Säuren, Basen sowie Lösungsmitteln stand. Zudem haben sie hydrophobe und lipophobe Eigenschaften, sind somit wasser- und fettabweisend und ideal für Beschichtungen. Auch gegen Wetterextreme oder UV-Strahlen sind diese Alleskönner resistent.

PFAS in der Medizin: zuverlässig am und im Menschen

Besonders großen Nutzen bieten PFAS für den zuverlässigen und sicheren Einsatz in Medizinprodukten. Hier kommen sie mit Körpergewebe, Blut und Urin in Kontakt. Weil PFAS als bio-inert gelten, verursachen sie kaum Abwehrreaktionen oder Entzündungen. Das macht sie so wertvoll für Beschichtungen in chirurgischen Instru­menten und Implantaten wie Stents oder Herzschrittmacher. Manche Implantate bestehen komplett aus diesem Werkstoff. In Kathetern sorgt die PFAS-Schicht dafür, dass das Instrument sanft durch Blutgefäße oder Harnröhren geführt werden kann.
Sehr häufig befindet sich das PFAS-Polymer Polytetrafluorethylen (PTFE) in Medizinprodukten, allgemein besser bekannt unter den Markennamen Teflon oder Gore-Tex. In vielen Filtern, Schläuchen oder Dichtungen, etwa in Dialysegeräten, kommen Fluorelastomere zum Einsatz. Diese PFAS gelten als resistent gegen chemische Angriffe, hohe Temperaturen sowie Flüssigkeiten, die durch die Apparaturen zirkulieren.

Schwer zu ersetzender Alleskönner

Bisher gibt es nur wenige Alternativen zu PFAS. Das gilt insbesondere für ihren Einsatz in Medizinprodukten. Anders als etwa bei Outdoor-Textilien oder Lebensmittelver­packungen sind sie hier aufgrund der hohen Anforderungen an Sicherheit und Gesundheit nach heutigem Stand nur schwer oder gar nicht zu ersetzen. Das stellt die Hersteller vor immense Herausforderungen.

Nach passenden Ersatzsubstanzen wird weltweit geforscht. An einem vielversprechenden Ansatz für eine PFAS-freie Antihaftbeschichtung arbeitet das Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM). Die Forschungseinrichtung nutzt Niederdruck-Plasmatechnologie zum Beschichten von Oberflächen. Diese weisen viele der Eigenschaften auf, die für Medizinprodukte wichtig sind wie Härte, Widerstandsfähigkeit gegen Abnutzung, Gleitfähigkeit oder Resistenz gegen Basen und Säuren.

Gesundheit steht im Vordergrund

Aber selbst wenn Alternativen entwickelt sind: Es braucht Zeit, bis diese zum Einsatz kommen. Medizinprodukte mit neuen Substanzen müssen umfassend geprüft werden, insbesondere auf ihre Eignung und Konformität mit den EU-Verordnungen der MDR (Medical Device Regulation) und der IVDR (In Vitro Diagnostic Regulation), die Sicherheit und Leistungsfähigkeit gewährleisten. Der Verzicht auf PFAS darf die Gesundheits­versorgung auf keinen Fall gefährden. Der Antragsentwurf vom März 2023 sieht deshalb eine 18-monatige allgemeine Übergangszeit vor. Für verschiedene Produktgruppen schlagen die Antragsteller Ausnahmeregeln mit deutlich längeren Übergangsfristen vor, je nach Verfügbarkeit von Ersatzstoffen. Für ­einige lebenswichtige Medizinprodukte, zum Beispiel Implantate, empfehlen sie eine Übergangszeit von zwölf Jahren.

TÜV Süd unterstützt bei der Umstellung

Der TÜV Süd unterstützt Medizinproduktehersteller auf dem Weg in eine PFAS-freie Zukunft. In einem weltweiten Labornetzwerk testen Expertenteams neue Produkte auf Sicherheit und Leistungsfähigkeit. So wird sichergestellt, dass die Produkte die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzen für Per- und Polyfluoralkylsubstanzen einhalten und den Standards für Umweltschutz und Sicherheit entsprechen. Im Fokus stehen unter anderem Biokompatibilität und chemische Analytik. Mit einer detaillierten PFAS-Analyse können Medizinproduktehersteller gesundheitliche und ökologische Risiken minimieren; sie vermeiden Rückrufe von Produkten oder Forderungen nach Schadensersatz. Der Nachweis der Compliance kann zudem als Marktvorteil genutzt werden. Als benannte Stelle beobachtet der TÜV Süd konsequent die weiteren Schritte in Brüssel und informiert Medtech-Hersteller über aktuelle Entwicklungen in der Regulierung sowie darüber, was auf sie zukommt. (uh)


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