Durch die Implementierung von Generativer KI (GenAI) in unterschiedlichsten Bereichen der Automobiltechnik erhält der Trend zum Software-Defined Vehicle einen mächtigen Schub. Dieser Ausblick zeigt die möglichen Auswirkungen von GenAI.
Neue Fahrzeuggenerationen werden immer »intelligenter«. Sie ermöglichen personalisierte Nutzererfahrungen, sind auf das (teil)autonome Fahren vorbereitet, und Software-Updates werden »over the air« (OTA) aufgespielt. Dass alle wesentlichen Funktionen – vom Antrieb über die Sicherheitssysteme bis zur Bedienerschnittstelle – per Software gesteuert werden, ermöglicht auch neue Geschäftsmodelle wie zum Beispiel das temporäre Zubuchen von höherer Motorleistung oder von Komfortfunktionen. Bei einem Verkauf kann das Fahrzeug bei Bedarf an die individuellen Präferenzen des neuen Besitzers angepasst werden. Das dient auch der Nachhaltigkeit, denn auf diese Weise bleibt der Wert des Fahrzeugs erhalten oder wird sogar gesteigert.
Damit sind die Eigenschaften eines Fahrzeugs nicht mehr fest definiert und fixiert. Schon jetzt bietet das Fahrzeug diverse Fahrprogramme, und künftig wird es eher mit einem lebenden Organismus zu vergleichen sein, der durch Software, die über die Cloud bereitgestellt wird, immer wieder Mutationen unterzogen werden kann.
Parallel dazu wird jedes Fahrzeug in der Zukunft in der Lage sein, sein Eigenschaftsprofil und seine Funktionen ganz aus sich heraus selbst weiterzuentwickeln. Das wird die Generative KI (GenAI) ermöglichen. Sie ist der große Game Changer über die gesamte Prozesskette hinweg und wird die Art und Weise verändern, in der die Automobilindustrie künftig software-definierte Fahrzeuge (SDVs) baut und testet – und in der die Autofahrer und -passagiere mit ihnen interagieren.
Diese Entwicklung mag jetzt noch nicht in Serienfahrzeugen erlebbar sein. Aber in der Fahrzeugentwicklung ist sie bereits in vollem Gange. Das heißt: Jedes Unternehmen in der Wertschöpfungskette der Automobilproduktion, das die Generative KI noch nicht in seine Entwicklungsarbeit einbezogen hat, sollte jetzt Use Cases definieren und rasch mit der konkreten Projektarbeit starten. Denn wer zuerst kommt, setzt Standards, bestimmt das Tempo und hat auch Aussichten, seinen Vorsprung in dem sich sehr rasch wandelnden Feld der Nutzung von Generativer KI zu behaupten.
Was unterscheidet GenAI von der bisherigen KI-Hierarchie, das heißt von nicht-generativer Künstlicher Intelligenz (KI), Machine Learning (ML) und Deep Learning (DL)? Vereinfacht gesagt: GenAI ist nicht nur in der Lage, vorhandene Daten zu aggregieren, auszuwerten und zueinander in Beziehung zu setzen. Sie kann darüber hinaus aus diesen Daten ohne ausdrückliche Anweisungen Inhalte (Code, Text, Interaktionen) generieren. Sie muss also nicht eigens aufgefordert werden, etwa durch Prompts, sondern denkt quasi mit und handelt entsprechend. Das ist ein kategorialer Unterschied, wie sowohl am Beispiel der Bedienschnittstelle, also des Mensch-Fahrzeug-Interface, als auch am Beispiel der Fahrzeugentwicklung gezeigt werden kann.
Bisher war und ist der Fahrer es gewohnt, Fragen oder Aufforderungen zu äußern und Antworten zu erhalten. Mit GenAI wird die Stimme zur Hauptschnittstelle und zwar so, dass der Fahrer oder die Insassen den Eindruck gewinnen, nicht eine mechanische Antwort zu erhalten, sondern stattdessen mit einem intelligenten, anpassungsfähigen und persönlichen Gegenüber zu kommunizieren
GenAI ermöglicht Unterhaltungen in Echtzeit, antizipiert die Bedürfnisse des Fahrers und entwickelt sich mit der Nutzung weiter. Sie speichert dessen Vorlieben und »denkt mit«. Das sorgt, so zeigen es Erprobungen in Custom Clinics, für »Wow-Effekte« bei den Passagieren – und zwar sowohl bezüglich der Kommunikationsinhalte als auch bei der Geschwindigkeit: Denn die Kopplung von Edge- und Cloud-Lösungen ermöglicht die Bereitstellung von Fahrzeugintelligenz in Echtzeit.
Ein praxisnahes Beispiel ist die generative Sprach-KI von SoundHound. Die Lösung erlaubt Sprachsteuerung in natürlicher Sprache und revolutioniert damit die Mensch-Maschine-Interaktion im Fahrzeug. Intellias kooperiert mit SoundHound AI, um seine Expertise bei der Implementierung von Generativer KI im Automobilsektor auszubauen. Ziel der Zusammenarbeit ist es, die SoundHound-AI-Plattform zu nutzen, um gefragte Funktionen eines generativen Sprachassistenten zu demonstrieren und so eine intelligente, dialogorientierte Interaktion zwischen Nutzer (Fahrer und Passagiere) und Fahrzeug zu ermöglichen.
Mit seiner tiefgreifenden Erfahrung in Automotive-Software und intelligenten Systemarchitekturen bringt Intellias das notwendige technologische Fundament mit, um solche innovativen Lösungen nahtlos in die Mobilität der nächsten Generation zu überführen.
Wie »normalen« KI-gesteuerten Funktionen auch, passen sich die Gen AI-Funktionen mit der Zeit immer besser an die Wünsche, Gewohnheiten und Anforderungen des Nutzers an. Über die Rückkopplungsschleife integriert die KI die jeweiligen Entscheidungen des Autofahrers in die zukünftige Entscheidungsfindung. So lernt sie den Autofahrer immer besser kennen und kann immer intelligentere Vorschläge machen – wenn es sich um GenAI handelt, sogar ganz von selbst. Das ermöglicht ganz neue Nutzer-Erlebnisse.
Die Vorteile des Einsatzes von GenAI beschränken sich nicht auf die Nutzungsphase von Fahrzeugen. Sie fangen bereits bei der Entwicklung an, denn Generative KI hat das Potenzial, jede Phase des Software-Entwicklungszyklus (SDLC) zu beschleunigen.
Die KI analysiert Anforderungen, sie unterstützt beim Design, schreibt und debuggt Codes, automatisiert Tests, ermöglicht eine nahtlose Bereitstellung der jeweiligen Funktionen und unterstützt die Software auch im laufenden Betrieb. Auch hier gewährleistet die Feedback-Schleife, dass die KI mit jedem (Entwicklungs-)Projekt immer besser wird. So entsteht eine anpassungsfähige, widerstandsfähige Software, die sich fortwährend selbsttätig verbessert und immer mehr Intelligenz in das SDV einbringt.
Die Beispiele machen deutlich: GenAI ist nicht einfach ein Werkzeug oder eine logische Weiterentwicklung von KI. Generative KI ist vielmehr die neue Grundlage für Mobilitätssoftware – bei der Entwicklung und auch in der praktischen Anwendung, insbesondere bei der Kommunikation zwischen Fahrer und Fahrzeug. Die Vorteile dieser Anwendungen sind so groß und offensichtlich, dass auch neue Software-Anbieter (Start-ups oder »Quereinsteiger«) das Potenzial haben, mit GenAI-gestützten UX- und OTA-Innovationen die bisherigen Anbieter zu überholen. Für etablierte Automobilzulieferer ein Grund mehr, sich frühzeitig mit tragfähigen GenAI-Modellen und -Lösungen zu beschäftigen: Hier entsteht neuer Wettbewerb.
Der Aufwand für die Implementierung solcher GenAI-Lösungen in die vorhandene Software- und ggfs. auch Hardwarestruktur dürfte sich folglich lohnen. Denn SDVs, die in Echtzeit lernen und sich selbsttätig an die Anforderungen und Gewohnheiten des Nutzers anpassen, könnten in Zukunft den Markt dominieren. Sie sind in der Lage, neue Maßstäbe in Sachen Automatisierung und Personalisierung setzen. Dabei können die GenAI-Lösungen deutliche Differenzierungsmerkmale im Wettbewerb der Autohersteller Zulieferer setzen.
Volodymyr Mandziuk
ist Senior Delivery Director bei Intellias und spezialisiert auf IVI-Systeme, fortschrittliche Navigation, AD/ADAS, Embedded-Plattformen sowie die Entwicklung von AUTOSAR-basierten Steuergeräten (ECUs). Er ist zuständig für die Etablierung robuster, automobiltauglicher Prozesse in global verteilten Teams.