Die Stimmung in der deutschen Medizintechnik hellt sich leicht auf – 70 Prozent der Firmen erwarten für 2025 ein Umsatzplus. Doch mehr als die Hälfte rechnet mit sinkenden Gewinnen wegen hoher Kosten durch Bürokratie, MDR-Zertifizierung und Personal. Nun wird ein Belastungsmoratorium gefordert.
Nach MDR-Schock und den Krisen der letzten fünf Jahre scheint 2025 ein vorsichtiger Optimismus in die deutsche Medizintechnik-Industrie zurückzukehren. Diese Anzeichen verdeutlicht die aktuelle Herbstumfrage des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed): 70 Prozent der 116 befragten Mitgliedsunternehmen rechnen 2025 mit einem besseren Umsatzergebnis als im Vorjahr.
Das entspricht einem erwarteten Umsatzplus von gewichtet 3,1 Prozent gegenüber 2024 – ein deutlich besserer Wert als die mageren 1,2 Prozent des Vorjahres. Zum Vergleich: 2024 hatten nur 64 Prozent der Unternehmen mit Umsatzsteigerungen gerechnet, 2023 waren es 66 Prozent. Die aktuellen 70 Prozent knüpfen damit wieder an das Vor-Corona-Niveau an – 2019 lag der Wert ebenfalls bei 70 Prozent, 2018 sogar bei 78 Prozent.
Doch hinter den positiven Umsatzzahlen verbirgt sich eine problematische Entwicklung: Die Gewinne der Branche stehen massiv unter Druck. 51 Prozent der Unternehmen gehen von einer Verschlechterung der Gewinnsituation aus – im Vorjahr waren es noch 43 Prozent. Nur 12 Prozent erwarten Gewinnsteigerungen, 34 Prozent rechnen mit stabilen Erträgen. »Die KMU-geprägte Branche erstickt unter Bürokratielasten und Berichtspflichten, ohne dass diese zu einer Verbesserung der Versorgung oder der Sicherheit von Patientinnen und Patienten beitragen«, sagte BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll bei der Vorstellung der Umfrageergebnisse auf der Jahrespressekonferenz.
Die Zahlen sind eindeutig: 80 Prozent der befragten Unternehmen nennen den zunehmenden bürokratischen Aufwand als wichtigsten Kostentreiber. Dahinter folgen mit 65 Prozent die gestiegenen Zertifizierungskosten durch die Implementierung der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) und mit 64 Prozent die steigenden Personalkosten. Auch die Kosten für Logistik und Transport (44 Prozent) sowie hohe Energiepreise (38 Prozent) belasten die Unternehmen erheblich.
Weitere hemmende Faktoren sind der wachsende Fachkräftemangel (56 Prozent), Preisdruck durch Einkaufsgemeinschaften und Klinikketten (50 Prozent), neue umweltrechtliche Auflagen und Berichtspflichten (44 Prozent) sowie Zölle und andere Handelshemmnisse (40 Prozent).
Die europäische Medizinprodukteverordnung MDR hat ihre einstige Vorbildfunktion gegenüber dem US-amerikanischen FDA-System verloren. Eine deutliche Mehrheit von 56 Prozent der Unternehmen präferiert mittlerweile das FDA-System, während nur 14 Prozent das MDR-System der EU bevorzugen.
86 Prozent der Umfrage-Teilnehmer wünschen sich bei der MDR vor allem weniger Bürokratie – ein Wert, der gegenüber dem Vorjahr nochmals angestiegen ist. Wichtig sind den Unternehmen zudem berechenbare Kosten (64 Prozent), die Abschaffung der Rezertifizierung alle fünf Jahre (63 Prozent) sowie vorhersehbare und klare Fristen (62 Prozent). Fast-Track-Verfahren für Innovationen fordern 56 Prozent, mehr Transparenz bei Benannten Stellen 50 Prozent.
Der Druck auf die Gewinne wirkt sich direkt auf den Standort Deutschland aus. 22 Prozent der befragten Unternehmen verringern ihre Investitionen hierzulande gegenüber dem Vorjahr, nur 19 Prozent erhöhen sie. Knapp ein Drittel (31 Prozent) verlagert Investitionen ins Ausland – davon 15 Prozent ins EU-Ausland und 10 Prozent in die USA.
Positiver sieht die Entwicklung bei Forschung und Entwicklung aus: 32 Prozent der Unternehmen planen, ihre F&E-Ausgaben in den nächsten fünf Jahren zu steigern, 37 Prozent wollen das aktuelle Niveau halten. Nur 8 Prozent müssen die Forschungsausgaben reduzieren. Im Durchschnitt investieren die an der Herbstumfrage teilnehmenden Unternehmen 9,2 Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung – und liegen mit diesem Wert minimal über dem Branchendurchschnitt von 9 Prozent.
Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage schafft die Medizintechnik-Branche weiter Arbeitsplätze. 33 Prozent der Unternehmen erhöhen die Zahl der Mitarbeitenden gegenüber dem Vorjahr (2024: 32 Prozent), 51 Prozent halten die Stellen stabil. 13 Prozent sehen sich gezwungen, Personal abzubauen – deutlich weniger als im Vorjahr mit 22 Prozent.
Gesucht werden vor allem Medizintechniker (38 Prozent), Ingenieure (37 Prozent), Naturwissenschaftler und kaufmännische Auszubildende (jeweils 25 Prozent) sowie technische Auszubildende (21 Prozent). Über 80 Prozent der Unternehmen berichten jedoch von Problemen bei der Stellenbesetzung, insbesondere im Vertrieb (43 Prozent), in der Produktion und bei Regulatory Affairs (jeweils 22 Prozent) sowie im Qualitätsmanagement (19 Prozent).
Die Nutzung von Künstlicher Intelligenz entwickelt sich in der Medizintechnik zum Standard: 91 Prozent der befragten Unternehmen setzen bereits KI in verschiedenen Bereichen ein. Am häufigsten wird KI im Marketing (53 Prozent) und bei Office-Tools (47 Prozent) genutzt, gefolgt vom Vertrieb (37 Prozent), Produktion und Fertigung (21 Prozent) sowie der Entwicklung eigener KI-Produkte (16 Prozent).
Auch beim Thema Nachhaltigkeit macht die Branche Fortschritte: 63 Prozent haben Aktivitäten zur Emissionsreduktion und Ressourcenschonung im Produktionsumfeld etabliert. 62 Prozent praktizieren eine nachhaltige Unternehmensführung (Vorjahr: 54 Prozent), 59 Prozent pflegen nachhaltige Arbeitsbedingungen. 43 Prozent betreiben Forschung für nachhaltige Produkte und Verpackungen, 37 Prozent haben Kreislaufwirtschaftskonzepte implementiert.
Der BVMed-Innovationsklima-Index ist gegenüber dem Vorjahr von 3,6 auf 3,9 gestiegen – auf einer Skala von 0 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut). Das ist eine leichte Verbesserung gegenüber dem absoluten Tiefstwert von 3,5 aus dem Jahr 2023. Die Unternehmen sehen darin Hoffnung, dass die Politik die Probleme des Standorts nicht nur erkannt hat, sondern nun auch geeignete Gegenmaßnahmen umsetzt. Als innovativste Forschungsbereiche schätzen die Unternehmen die Kardiologie (28 Prozent), Onkologie (26 Prozent), Chirurgie (22 Prozent), Diagnostik (18 Prozent) sowie Orthopädie (16 Prozent) ein.
An erster Stelle der politischen Forderungen steht mit weitem Abstand der Bürokratieabbau durch ein Belastungsmoratorium für Medizintechnik-Unternehmen (86 Prozent; Vorjahr: 76 Prozent). Weitere Prioritäten sind die Weiterentwicklung und Verbesserung des MDR-Systems (60 Prozent), Fast-Track-Verfahren für Innovationen mit klaren Fristen (44 Prozent) sowie eine eigenständige und ressortübergreifende MedTech-Strategie (41 Prozent).
Hohe Zustimmung erzielen zudem die Forderungen nach digitaler Transformation und besserer Datennutzung (41 Prozent) sowie angemessene Ausnahmeregelungen und Übergangsfristen bei umwelt- und nachhaltigkeitsbezogenen Regulierungen (39 Prozent).
Die deutsche Medizintechnik-Branche beschäftigt über 210.000 Menschen und bietet 13.000 Ausbildungsplätze. 93 Prozent der Unternehmen sind kleine und mittelständische Betriebe. Mit einem Gesamtumsatz von über 41 Milliarden Euro und einer Exportquote von 68 Prozent ist Deutschland nach den USA der zweitgrößte Medizintechnik-Standort der Welt – noch vor Japan und China.
An der BVMed-Herbstumfrage 2025 beteiligten sich 116 der 220 ordentlichen Mitgliedsunternehmen mit Stimmrecht – eine Beteiligungsquote von 53 Prozent. Die Umfrage wurde im August und September 2025 online durchgeführt und umfasste 28 Fragen. Teilnehmer waren zu 78 Prozent Hersteller, zu 18 Prozent Hilfsmittel-Leistungserbringer und Homecare-Versorger sowie zu 17 Prozent Fach- und Großhändler. (uh)