Per Smartphone direkt den Laktatwert oder Blutzucker messen? Mit einem neuartigen Single-Chip-System von Infineon können Patienten medizinische Messungen sehr einfach zuhause durchführen. Der Prototyp adressiert die Verschmelzung von Medizintechnik und Diagnostik in Wearables und Alltagselektronik.
Es werden immer mehr: Menschen, die regelmäßige medizinische Check-ups und eine Überprüfung ihrer Werte brauchen setzen die Gesundheitssysteme zunehmend unter Druck. Überlastete Arztpraxen, lange Wartezeiten in Kliniken und hohe Kosten sind die Folgen. Ärzte, Krankenhäuser und Pflegedienste können mit der Nachfrage kaum Schritt halten, Patienten müssen oft lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Neben einer steigenden Unzufriedenheit auf beiden Seiten steigen auch die Nebenwirkungen: viele Krankheiten bedürfen eben einer regelmäßigen Kontrolle.
Was muss eigentlich gemessen werden? Die medizinische Fachsprache sagt Biomarker und meint einen messbaren Indikator für biologische Zustände oder Prozesse im Körper, für krank oder gesund. Via Biomarker lassen sich Krankheiten frühzeitig erkennen, bevor Symptome auftreten – etwa, weil die Entzündungswerte im Blut höher als normal sind. Gerade bei Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krankheiten des Gehirns verbessert eine frühzeitige Diagnose die Therapie und damit die Heilungschancen enorm.
Biomarker gelten zudem als wesentlich für die personalisierte Medizin. Als Indikatoren können sie von Mensch zu Mensch unterschiedliche Anfälligkeiten für Krankheiten, deren Verlauf und auch den individuellen Erfolg von Behandlungen erkennen – und machen so den Weg frei für maßgeschneiderte Therapien, die auf die spezifischen biologischen Bedürfnisse des Patienten abgestimmt sind. Durch die regelmäßige Messung von Biomarkern können Ärzte den Verlauf einer Krankheit effizient kontrollieren und den Erfolg einer Behandlung bewerten. Insbesondere bei chronischen Krankheiten oder Krebs ermöglicht die kontinuierliche Überwachung die optimale Anpassung der Therapie.
Auch in der Entwicklung von Medikamenten spielt die Erforschung neuer Biomarker eine große Rolle. Wie sicher und wirksam sind neue Therapien, wie zielgerichtet verläuft die Behandlung – Biomarker helfen Ärzten bei der Einschätzung und bilden die Grundlage für Risikoabwägungen sowie die passende Prävention oder notwendige Änderungen im Lebensstil. Biomarker helfen Krankheiten zu verhindern oder zumindest zu verzögern und verbessern damit die Gesundheitsversorgung. Wichtig ist deshalb, eine sichere, präzise und möglichst unkomplizierte Messung nahe am Patienten.
Die Infineon-Forschungsabteilung »Explorative Research« arbeitet in Graz im Rahmen von Forschungsprojekten eng mit interdisziplinären Kooperationspartnern im medizinischen Bereich zusammen, ein intensiver Fokus lag in den letzten Jahren auf der »Biomarker Detektion«. Unter Gerald Holweg wurde der Prototyp des Mikrochips »ASIGxS« entwickelt, der die für mehrkanalige elektrochemische Messungen notwendigen Schaltungsteile in generischer Weise auf kleinstem Raum integriert. Die hohe Integrationsdichte erschließt nicht nur revolutionär neue medizinisch-diagnostische Applikationen, sondern verringert auch den Materialeinsatz und fördert die Umweltverträglichkeit sowie die Klimaneutralität (Green Deal), beispielsweise durch den Betrieb ohne Batterie.
| Interesse am Prototypen? |
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| Das Diagnose-SoC ist derzeit ein Prototyp, der nicht direkt bestellt, jedoch für einzelne Kunden spezifisch anpassbar ist. Das Infineon-Team ist sowohl interessiert an neuen Use-Cases als auch an der Erweiterung von Funktionalitäten des Chips zur Anpassung an individuelle Bedürfnisse. Anfragen können an direkt an asigxs@infineon.com gerichtet werden. |
Der Mikrochip ist in der Lage, standardisierte Testsysteme, wie sie in der klassischen Labordiagnostik zum Einsatz kommen, durch einen »Lab@Home«-Ansatz direkt zum Patienten zu bringen. Kombiniert mit der entsprechenden biochemischen Sensorik (biomarker-sensitive Elektrodenfunktionalisierung) kann der Chip Biomarker wie z.B. Kalium, C-Peptit, Glukose und Laktat durch die Analyse von Körperflüssigkeiten wie Blut, Urin, Speichel, Interzellularflüssigkeit etc. zu quantifizieren. Einen CRP-Test konnte erfolgreich auch zwischen einer viralen und einer bakteriellen Infektion unterscheiden. Ein Temperatursensor kompensiert »on chip« als Zusatz-Feature mögliche Temperatureffekte. Die jeweiligen Messungen werden via App über ein NFC-fähiges Smartphone durchgeführt.
In der modernen Medizin ist die Miniaturisierung elektronischer Komponenten ein entscheidender Faktor für den Fortschritt und die Anwendung neuer Technologien. Das Grazer Forschungsteam hat dazu sein Testsystem speziell für drahtlose Sensorknoten konzipiert. Neben der Biochemie integriert die Applikation eine Vielzahl von Funktionen in einem einzigen System-on-Chip (SoC) und reduziert so die notwendige Anzahl an Komponenten auf ein Minimum.
Der gesamte Diagnose-Chip stellt damit einen bedeutenden Fortschritt in der Integration und der Miniaturisierung elektronischer Komponenten für medizinische Anwendungen dar. Die umfassenden Funktionen und der hohe Integrationsgrad tragen zur Entwicklung kompakterer und leistungsfähigerer Point-of-Care Geräte bei und eröffnen neue Möglichkeiten für die drahtlose Sensorik in der modernen Medizin.
Der entwickelte Mikrochip (Bild 1) ist ein echtes Multitalent. Es erfüllt alle Anforderungen moderner medizinischer Anwendungen und ist mit einer Vielzahl integrierter Funktionen ausgestattet. Dazu zählen u.a.
Die NFC-Schnittstelle ist ein herausragendes Merkmal, das nicht nur zur drahtlosen Kommunikation dient, sondern auch die Energieversorgung, das Laden und das Energiemanagement (Energy Harvesting) übernimmt. Externe Geräte oder Batterien können via NFC geladen werden, dies erweitert die Anwendungsmöglichkeiten und reduziert zusätzliche Ladehardware.
Für medizinische Überwachungs- und Diagnosegeräte ist die Sechsfach-Sensor-Schnittstelle mit Potentiostat eine der wesentlichsten Funktionen. Sie ermöglicht es, bis zu sechs Sensoren gleichzeitig anzuschließen und präzise Messungen durchzuführen.
Vielseitig und einfach integrierbar
Der ASIGxS-Prototyp verfügt zudem über eine 16-Pin-digitale Schnittstelle, die den einfachen Anschluss und Betrieb von Displays und anderen digitalen Geräten unterstützt. Die integrierte H-Brücke ermöglicht die direkte Ansteuerung mechanischer Komponenten wie Motoren, Ventile oder Pumpen. Die optionale UHF-Funkschnittstelle erweitert die Kommunikationsmöglichkeiten und ermöglicht stabile drahtlose Verbindungen über größere Entfernungen – ein entscheidender Vorteil in medizinischen Anwendungen mit verteilten Sensoren. Der interne Speicher des Chips umfasst 128 kB Flash und wird von einem ARM Cortex-M0-Mikrocontroller unterstützt. Die Sicherheit der Datenübertragung ist durch einen integrierten AES-Co-Prozessor gewährleistet, der eine zuverlässige Verschlüsselung bietet.
Das Blockdiagramm der Signalerfassungskette, die in die Sensorschnittstelle (SIF) des SoC integriert ist, ist in Bild 2 dargestellt. Das SIF enthält einen bidirektionalen, stromspiegelbasierten Potentiostaten (POT), der mit externen elektrochemischen Sensoren mittels drei Elektroden interagiert. Die sechsfache Anordnung des WE-gesteuerten Verstärkers des Potentiostaten ermöglicht die Durchführung multiparametrischer elektrochemischer Analysen mit einem einzigen SoC. Die replizierten Sensorströme der einzelnen Arbeitselektroden (WE) werden mit einem Δ∑-ADC digitalisiert. Die vom bidirektionalen Potentiostaten an den elektrochemischen Sensor angelegte Spannung wird von einem resistiven DAC bereitgestellt, der eine Differenzspannung liefert, deren gemeinsamer Pegel entweder auf eine bestimmte Spannung fixiert oder durch Spannungspositionierung (VPOS) dynamisch angepasst werden kann.
Eine Signalerfassungskette für potentiometrische elektrochemische Analysen ist ebenfalls in das SIF integriert. Die Schnittstelle besteht aus einem hochohmigen Voltmeter (HiZ Voltmeter) mit einer volldifferenziellen, programmierbaren Vorverstärkerstufe, gefolgt von einem Δ∑-ADC. Die einzelnen Blöcke des SIF werden mit einer hochwertigen Versorgungsspannung versorgt, die von einem LDO bereitgestellt wird. Dieser filtert Störungen aus der VDDMAIN-Versorgung. Eine Bandgap-Referenz (BG) und eine Bias-Schaltung erzeugen die erforderlichen Referenzspannungen und -ströme für die einzelnen Blöcke des SIF.
Der Systemüberblick des innovativen Sensorknotens präsentiert eine hochintegrierte und nachhaltige Lösung für medizinische Anwendungen (siehe schematische Darstellung Bild 3 und prototypische Realisierung Bild 4). Die Basis bildet auf nachhaltiges Substrat gedruckte Elektronik. »Damit unterstreichen wir unser Engagement für umweltfreundliche Technologien und ermöglichen die Herstellung flexibler und biologisch abbaubarer medizinischer Geräte«, sagt Gerald Holweg.
Das Herzstück des Systems ist der ASIGxS-Chip, der mit anwendungsspezifisch funktionalisierten Elektroden verbunden ist. Die Elektroden können je nach medizinischem Anwendungsfall angepasst werden, um präzise und verlässliche Messungen zu gewährleisten. Der Chip ist darauf ausgelegt, verschiedene elektrochemische Reaktionen zu erfassen und auszuwerten.
Der Energie- und Datentransfer erfolgt mittels Smartphone über eine NFC-Antenne. Die NFC-Schnittstelle ermöglicht nicht nur die Übertragung von Messdaten, sondern auch die Energieversorgung des Systems. Dadurch werden externe Batterien oder Stromquellen überflüssig und die Handhabung vereinfacht.
Die Messung erfolgt durch die vielseitige potentiostatische Schnittstelle des ASIGxS-Chips, welche eine Vielzahl elektrochemischer Parameter erfassen kann. Diese Flexibilität eignet sich für verschiedene medizinische Anwendungen und eine Reihe von standardisierten Messmethoden wie (zyklische) Voltametrie, Amperometrie, Elektrochemische Impedanzspektroskopie (EIS) und vieles mehr. Dank präziser und zuverlässiger Messungen können wichtige Gesundheitsdaten erfasst und drahtlos an ein verbundenes Smartphone übertragen werden. Dort werden sie weiter analysiert und verarbeitet.
Technisch gesehen wurde die Anzahl der zum Aufbau einer Applikation notwendigen Komponenten auf ein Minimum reduziert. Durch homogene Integration werden Inkompatibilitäten und Ineffizienzen an Schnittstellen vermieden und damit eine hohe Energieeffizienz erreicht. Das reduziert zusätzlich die Kosten und den Einsatz von Ressourcen. Die Lösung ist smart, kompakt und vielfältig einsetzbar und steht in verschiedenen Packaging Varianten zur Verfügung.
Die vorgestellte Single-Chip-Lösung (Bild 4) für unkomplizierte Selbsttests von Patienten oder am Point-of-Care auf unterschiedlichste Biomarker bietet ein großes Spektrum an Einsatzmöglichkeiten. Neben der Prophylaxe und vielfältigen humanmedizinischen Anwendungen kann das Diagnosesystem auch in der Veterinärmedizin, Umweltsensorik, Landwirtschaft und Wasserdiagnostik genutzt werden. Aufgrund der individuellen Programmierbarkeit des Chips sind den Einsatzszenarien kaum Grenzen gesetzt. (uh)