E-Rezept und E-Akte endlich Standard?

Die digitale Aufholjagd im Gesundheitswesen

9. August 2023, 16:16 Uhr | dpa
© dpa-Bildfunk

E-Rezepte konnten bislang nur per App oder einem QR-Code auf Papier eingelöst werden. Seit Juli klappt das jetzt auch per Krankenkassenkarte. Gesundheitsminister Lauterbach spricht von einer digitalen «Aufholjagd». Doch der Weg ist noch lang.

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Der Herzspezialist Benny Levenson legt die Versichertenkarte mit dem integrierten Chip behutsam in das Gerät. Nach einigen gezielten Handgriffen wird das digitale Rezept erzeugt und ist bereit zur Einlösung in der Apotheke. Peter Jordan, 86 Jahre alt, Patient des Kardiologen, äußert sich beeindruckt: Bei einem öffentlichen Termin in Berlin an diesem Mittwoch erhält er sein erstes elektronisches Rezept und löst es ein. Bis Anfang 2024 sollen E-Rezepte in Arztpraxen zur gängigen Praxis avancieren.

Die elektronischen Rezepte wurden konzipiert, um den Ablauf innerhalb der Praxis zu optimieren und den Patientinnen und Patienten ein gesteigertes Maß an Sicherheit zu gewährleisten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach betont: "Durch das E-Rezept verringern sich signifikant die Wahrscheinlichkeit von Fehlern in der Medikamentenverordnung, von Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln oder von Dosierungsanpassungen." Gleichzeitig erwartet er eine verbesserte Versorgungsqualität und eine gleichzeitige Verringerung bürokratischer Hürden.

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Deutschland ist digitales Entwicklungsland

Das elektronische Rezept markiert einen Fortschritt in der "Aufholjagd" zur Digitalisierung im Gesundheitssystem. «Es ist ehrlich gesagt überhaupt nicht mehr vertretbar, dass wir in der heutigen Zeit noch immer die Rezepte über Papier ausdrucken», sagte Lauterbach. «Wir sind im Bereich der Digitalisierung unseres Gesundheitssystems ein Entwicklungsland. Das ist leider so, wir brauchen daher eine Aufholjagd.»

Ab dem 1. Januar 2024 werden Ärztinnen und Ärzte verpflichtet sein, Verschreibungen elektronisch zu erstellen. Aufgrund technischer Schwierigkeiten hatte sich der flächendeckende Start verzögert. Ein neu gestalteter, unkomplizierter Weg zur Einlösung der E-Rezepte soll nun den Durchbruch ermöglichen. Seit dem 1. Juli können Apotheken die Versichertenkarte der Krankenkasse auslesen, um die E-Rezepte zu verarbeiten. Vorher war es bereits möglich, E-Rezepte anstelle des traditionellen rosa Zettels über eine Smartphone-App oder einen ausgedruckten QR-Code einzulösen. Nicht alle Arztpraxen sind jedoch in der Lage, E-Rezepte zu erstellen. Eine Grundvoraussetzung dafür ist die Verwendung eines speziellen Verbindungsgeräts zum geschützten Datenautobahn im Gesundheitswesen.

Sichere Datenübertragung aus der Arztpraxis

Die E-Rezepte werden auf einem Server zentral gesichert und die Apotheke kann sie abrufen, wenn die Karte eingesteckt wird. «Mehr als 80 Prozent aller Apotheken bieten diese Funktion schon an. Im Laufe des Augusts, spätestens im September, dürfte die Funktion flächendeckend verfügbar sein», sagte ein Sprecher der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Der Hausärzteverband sieht dagegen technische Probleme. Ein Grund sei, dass einige Hersteller von Praxisverwaltungssystemen es nicht schafften, «ihre Systeme auf Vordermann zu bringen», sagte der Bundesvorsitzende Markus Beier der «Rheinischen Post».

Die elektronische Patientenakte soll ein weiterer Schritt der Lauterbachschen «Aufholjagd» sein. Seit 2021 gibt es die E-Akte, bisher auf freiwilliger Basis. Es handelt sich um einen persönlichen Datenspeicher etwa für Befunde, Röntgenbilder und Listen eingenommener Medikamente. Die gebündelten Informationen sollen unter anderem auch Wechselwirkungen und unnötige Mehrfachuntersuchungen vermeiden.

Elektronische Patientenakte quasi ungenutzt

Bisher haben weniger als ein Prozent der 74 Millionen gesetzlich Versicherten eine E-Akte. Die Regierung strebt jedoch bis 2025 einen Zielwert von 80 Prozent an, und die Krankenkassen sollen breit informieren und bis zum 15. Januar 2025 für alle gesetzlich Versicherten automatisch eine E-Akte einrichten, es sei denn, die Patientinnen und Patienten widersprechen aktiv.

 

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz wundert es nicht, dass die E-Akte bisher kaum zum Einsatz kommt: «Zu den größten Bremsern der Digitalisierung in Deutschland gehören die Ärztinnen und Ärzte. Schon beim Übertragen der Diagnosen zwischen den Praxen hapert es», sagte Vorstand Eugen Brysch. Selbst wenn in einer Datenbank die Befunde zum Abruf bereitstünden, ist nur ein sehr kleiner Teil der Arztpraxen in der Lage, diese abrufen. Stattdessen müssten die Patienten Boten spielen. «Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass die E-Akte bisher kaum genutzt wird», sagte Brysch.

Ein weiterer Grund für die geringe Nutzung sind wohl Sorgen mit Blick auf den Datenschutz. «Der Datenschutz wird von uns natürlich extrem ernst genommen und auch im Vergleich zu anderen Ländern sind die Datenschutzstandards, die wir beim E-Rezept verwenden, aber auch bei der elektronischen Patientenakte verwenden werden, sehr hoch», sagte Lauterbach. «In Deutschland ist die Bevölkerung so eingestellt, dass sie sehr großes Interesse an einem funktionierenden Datenschutz hat. Und das muss in der Medizin natürlich gewährleistet sein.» Es dürfe aber nicht so sein, dass der Datenschutz nachher so überhöht sei, dass es elektronische Rezepte oder die elektronische Patientenakte verhindere. (uh)

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