Exklusiv-Interview // ams Osram

»Wir brauchen KI, um das Photon-Counting-Potenzial auszuschöpfen«

28. März 2025, 13:12 Uhr | Ute Häußler
Dr. Erik Greger leitet den Bereich Mixed Signal Products bei ams Osram.
© ams Osram

Für Computertomografen ist Photon Counting ein Quantensprung. Dr. Erik Greger von ams Osram gibt Einblicke in die bahnbrechende Detektortechnik, zeigt wie KI die Radio­diagnostik neu kalibriert und mit welchen Röntgen- und CT-Innovationen der ASIC-Spezialist Markt- und Technologieführer werden will.

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Herr Dr. Greger, wie wichtig ist Medizintechnik für ams Osram und die Division CMOS und ASICs?

Dr. Erik Greger: Die Medizintechnik ist neben Automotive und Industrial einer der wichtigsten Märkte für ams Osram, speziell aber auch für die Division CMOS und ASICs und die Business Line Mixed Signal Products (MSP). Es ist ein Wachstumsmarkt und im Gegensatz zum Consumer-Geschäft ein sehr stabiler Markt. Health ist ein Mega­trend unserer Zeit, sowohl in der zentralen Gesundheitsversorgung als auch mit Wearables für den Alltag. Ein gesundes Leben, Fitness – viele Menschen wollen heutzutage alles tracken – diese Entwicklung zahlt auf unsere Sensoren und Halbleiterprodukte immens ein.

Welches sind die wichtigsten Medtech-Komponenten und für welche Applikationen?

In unserem Team sind das Detektoren oder ASICs für die Computertomografie und Röntgen-Anwendungen. Die Kollegen der Business Line Advanced Analog Solutions beschäftigen sich mit den Naneye-Mini-Kameramodulen und passenden LEDs für Einmalendoskope. Unser »Vital Signs«-Bereich beschäftigt sich an der Grenze von Medizin und Consumer-Electronics mit Sensoren, Fotodioden sowie Multichips für die Vitalzeichenmessung in Wearables und weiteren Medizingeräten. Und dann haben wir auch noch die Spektro­skopie mit hochakkuraten Spektralfiltern und Optical Force Sensing für hygienische Bedienelemente an Medizingeräten.

Sie sind quasi der Chefradiologe bei ams Osram?

*lacht* Ich leite die Business Line MSP, die Produktlinie für die Radiologie ist eine davon. Es ist ein faszinierender Wachstumsmarkt, und es macht viel Freude zu sehen, wie unsere Ingenieure und Entwickler mit viel Know-how und neuen Ideen die Technologie und damit die Dia­gnostik für Ärzte und Patienten wirklich nach vorn bringen.

ams Osram will marktführend bei Radiologie-Komponenten werden. Wo stehen Sie derzeit bei Umsatz und Marktanteil?

Die Medizinische Bildgebung ist ein überschaubarer Markt, es gibt nicht so viele Player. Im CT-Bereich arbeiten wir bereits mit acht der Top-10-OEMs zusammen. Als Zulieferer und Entwicklungspartner sind wir aus meiner Sicht sehr gut positioniert. Unser klares Ziel ist, in der Radiologie die Nummer eins zu werden. Ein Aspekt davon ist Innovation: Wir wollen den technologischen Benchmark setzen und ein richtungs­weisendes Portfolio sowohl für die Computertomografie als auch fürs Röntgen anbieten.

Was bedeutet Innovation für Sie bezogen auf Technologien für die Radiologie?

Mit »Photon Counting« steht die Computertomografie vor einer disruptiven Veränderung. Das ist wie der Wandel von der Schwarz-Weiß-Röhre zum Farbfernsehen. In die neuen Photon-Counting-Detektoren haben wir sehr viel investiert, das ist ein sehr wichtiger Aspekt.

Für Röntgengeräte sprechen wir von Fortschritten hinsichtlich Geschwindigkeit (Frames pro Sekunde) und Strahlungsdosis, die zum Beispiel Ärzte während Operationen in Echtzeit zu unterstützen, wo sie die Nadel oder das Skalpell setzen müssen. Für diese OP-Applikationen brauchen sie hochsensitive Detektoren, die in der Lage sind, auch geringe Strahlungsquellen hochauflösend zu detektieren und damit die Strahlendosis gering zu halten.

Grundlegend verbessert sich in beiden Fällen die Bildqualität, und die Patienten werden weniger Strahlung ausgesetzt. Beim Photon Counting kommt hinzu, dass CT-Geräte in die Lage versetzt werden, verschiedenen Gewebeelementen über sogenannte Energy Buckets Farben zuzuordnen. Diese Spektralanalyse ist ein wesentliches Merkmal der PCCT-Technologie.

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Gerade auf den Markt gekommen: das neuartige System-in-Package für Photon-Counting-Detektoren von ams Osram.
© ams Osram

Welche Märkte will ams Osram insbesondere ansprechen?

Wir verstehen uns auch in der Radiologie als globaler Player. Wir arbeiten mit allen namhaften Medical-OEMs zusammen, nicht nur in Europa und den USA. Hinsichtlich der Marktchancen: Studien sagen für die Regionen USA und EMEA weiter rund 6 Prozent jährliches Wachstum voraus; China und Indien werden oft als die am schnellsten wachsenden Märkte für medizinische Geräte genannt. 

Auch ein weiterer Megatrend weist die Richtung: Die medizinische Versorgung muss in abgelegene Weltregionen vordringen. Viele Schwellenländer statten über spezielle Gesundheitsprogramme Kliniken mit CT- und Röntgengeräten aus. An all diesen Märkten partizipieren wir über unsere Kunden.

Die großen Hersteller, darunter Siemens Healthineers, entwickeln Sensoren und Detektoren selbst.

Wir arbeiten – in unterschiedlichen Ausprägungen – mit allen namhaften Herstellern zusammen. Unsere Kernkompetenz über die Wertschöpfungskette ist das ASIC-Design. Auf den hochsensitiven Low Power- und Analog-Digital-Wandlern wird auch künftig unser Fokus liegen. Andererseits sehen wir bei unseren Medizintechnikkunden einen Shift hin zu IoT, KI sowie Softwarefeatures. Das ist auch für uns eine Chance, uns in der Wertschöpfungskette weiter nach oben zu bewegen. So bieten wir zum ASIC-Design bereits Module an, teilweise mit Szintillator. Das ist je nach Kunde sehr unterschiedlich – wir sehen auf jeden Fall den Trend und bleiben offen.

Ein richtungsweisendes Beispiel für diese Entwicklung ist das Photon Counting: Die bereits genannten Energy Buckets generieren wahnsinnig viele Daten; mehr Daten, als sich je ein Radiologe ansehen kann. Der Trend zu KI und der Softwarezentrierung bei den OEMs kommt also nicht von ungefähr. Der Endanwender im Krankenhaus hat allein aus Kostengründen nur begrenzt Zeit für einen Patienten. Um das Potenzial der neuen Technologie voll auszuschöpfen, werden wir KI brauchen. Auch der Trend zu Remote-Work und Remote-Wartung zahlt auf den Software-Shift in der Radiologie ein. Das eröffnet uns bei ams Osram viele neue Chancen.

Wo liegt für Sie größeres Potenzial: im CT oder im Röntgen?

Das ist eine schwierige Frage. In den letzten drei Jahren hatten wir mit dem Photon Counting mehr Fokus auf die CT-Technik gelegt, wir haben da viel investiert. Aber aktuell sehen wir auch viele Möglichkeiten bei Röntgenanwendungen – ich denke, dass wir künftig wieder mehr im Röntgensegment machen werden. Nicht zuletzt auch über die Medizin hinaus.

Sie meinen industrielles Röntgen?

Industrielles Röntgen spielt eine große Rolle, aber auch die Security. Wenn Sie Glück haben, steht an der Sicherheitskontrolle am Flughafen einer der neuen CT-Röntgenscanner, und Sie kommen schneller durch. Die Industrie und die Security eröffnen uns neue Betätigungsfelder und unterstreichen, dass wir wachsen und in die Breite gehen wollen.

Wenn wir in der Medizin bleiben: Wo liegen die technischen Vorteile Ihrer PCCT-Detektoren?

Aus meiner Sicht haben wir eine sehr elegante Lösung entwickelt. Gegenüber dem Mitbewerb bieten wir ein Plug-and-play-Produkt, und zwar über Produktgenerationen hinweg. Wenn ein OEM auf die nächste Detektorgeneration wechseln will, muss er sein System nicht ändern. Das erspart unseren Kunden sehr, sehr viel Aufwand. Zum anderen haben wir unsere Photon-Counting-Lösung in ein spezielles Package gepackt – ein sogenanntes Buttable System-in-Package (BSiP).

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Das AS5920M von ams Osram ist für das CT-Premiumsegment gedacht: Das vierseitig anreihbare System-in-Package (4-side Buttable System-In-Package, BSIP) Modul wurde speziell für Detektoren mit Photonenzählung konzipiert.
© ams Osram

Welche Vorteile bringt das in der Entwicklung?

Ein CT-Detektor ist ein Stückwerk. Sie haben mehrere Sensor-Chips, die Sie zu einer Detektor-Fläche zusammenstecken. Ideal dafür sind Four-Side-Buttable-Sensoren, die von allen vier Seiten ansetzbar sind, deswegen Buttable. Genauer gesagt haben wir ein Four-Side-Buttable-System-in-Package, in das die ICs und einige andere Komponenten vollständig integriert sind. Das macht es sehr robust und sehr einfach zu verarbeiten und zu handhaben. Viele medizinische ASICs werden auch hier in Premstätten gefertigt (bei Graz, Österreich, Anm. d. Red.).

Auch das Package?

Eine eigene Packaging-Linie haben wir nicht, dafür haben wir unsere OSAT-Partner (outsourced semiconductor assembly and test, Anm. d. Red.), wie alle anderen auch. Der Zug für Packaging-Linien in ­Europa ist leider abgefahren. Aber alles Silizium kommt hier aus der Fabrik nebenan. Mit Ausnahme des Photon Countings, da kommt es derzeit noch von einem Partner.

Wie sind die weiteren Pläne für die PCCT-Detektoren?

Die Produkt-Roadmap steht über die erste Generation hinaus. Wir wissen, was wir in der zweiten, in der dritten Generation machen wollen. Dabei stehen zwei, drei Themen im Vordergrund.

Das erste ist, dass am Ende der ASIC mit dem Cadmiumtellurid (CdTe, auf diesem Kristall basiert das Photon-Counting , Anm. d. Red.) zusammenspielen muss, das das Röntgenlicht in abzählbare Elektronen umwandelt. Wir arbeiten dazu mit allen namhaften Anbietern zusammen, dieses Thema müssen alle OEMs gelöst kriegen. 

Zum zweiten ist »Low Power« wichtig. Die Pixel sind beim Photon Counting wesentlich kleiner als bei konventionellen CT-Scannern, damit muss auch die Power-Fläche pro Pixel kleiner werden – OEMs brauchen also zwingend eine Low-Power-Lösung. 

Das dritte Thema sind Features. Die Photon-Counting-Technologie wird die Computertomografie wahrscheinlich über die nächsten 25, 30 Jahre tragen. Das heißt, während der nächsten Dekaden werden zusätzliche Funktionen in die Systeme Einzug halten. Alles, was jetzt auf dem Markt platziert wird, sind Grundfeatures. Wir haben bereits viele Ideen für solche, das Photon-Counting verfeinernden Add-ons.

Sie machen die Leserinnen und Leser neugierig.

Wir sprechen noch nicht konkreter darüber. Was ich aber sagen kann: Für die medizinische Diagnostik sind Artefakte und deren Herkunft ein kritisches Thema. Beim Photon Counting etwa wird über das Cadmiumtellurid Röntgenlicht in ein Elektron-Loch-Paar umgewandelt, das Sie dann detektieren. Wenn ein Arzt auf dem daraus resultierenden Bild einen weißen Punkt sieht, muss er sicher sein können, dass dieser Punkt kein Artefakt ist.

Deshalb müssen die Hersteller ihre Designs intensiv testen: Solche Artefakte können vom Chipdesign kommen, vom Cadmium­tellurid oder auch aus unterschiedlichen Architekturen und Materialien entstehen. Das ist ein sehr spannendes Thema, weshalb wir auch sehr viel Wert auf unser Systemverständnis und System-Know-how legen. Wir haben sehr geschätzte Ingenieure im Haus, die mit unseren Kunden diese Fragen diskutieren und letzten Endes auch lösen.

Vielen Dank für den Ausblick. Wie sieht für Sie die Medizin der Zukunft aus?

Oh, ich glaube Science-Fiction-Filme sind gar mehr so weit weg von der Wirklichkeit. Um beim Anfangsbeispiel des Fernsehens zu bleiben: In meiner Kindheit hatten wir ein klobiges Schwarz-Weiß-Röhrengerät im Wohnzimmer, jetzt ist es ein sehr dünner Super-Ultra-High-Definition-TV – alles innerhalb von ein paar Jahrzehnten. Wenn Sie die Fortschritte in der Medizin über die letzten 10, 20 Jahre betrachten, zum Beispiel in der Krebstherapie, rechne ich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit unglaublichen Fortschritten.

Gerade die Computertomografie liefert heute schon atemberaubende Bilder, denken Sie nur an die komplexe Physik dahinter und die Präzision. Mit der KI-gestützten Bildverarbeitung werden die Diagnostik, die Prävention und auch die OP-Qualität noch mal einen riesigen Sprung nach vorn machen – wir werden weitere Meilensteine in der Medizin erleben. Und aus meiner Sicht, das sage ich auch meinem Team ganz häufig, ist das ein wirklich guter Purpose. Jeder von uns weiß, warum er morgens aufsteht – am Ende arbeiten wir hier für eine bessere Welt und die Gesundheit von uns allen.

Ein perfektes Schlusswort, vielen Dank für das Gespräch!


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