Spätestens seit Bekanntwerden der massiven Absatzprobleme etwa bei VW und dem möglichen Zurückfahren der Elektroautoproduktion ist deutlich geworden, dass SiC wohl zum ersten Mal nach seinem Markteintritt eine Phase heftiger Turbulenzen durchläuft. Die weltweit mit Investitionen zwischen 50 und 100 Milliarden Dollar aufgebauten Kapazitäten scheinen plötzlich zu optimistisch ausgelegt worden zu sein – möglicherweise.
Ole Gerkensmeyer, Wolfspeed, spricht zwar aktuell von einer »Saure-Gurken-Zeit«, letztlich glaubt er aber nicht daran, dass sich die Zahl der weltweit verkauften Fahrzeuge, die sich zwischen 90 und 100 Millionen bewegt, kurzfristig massiv verändern wird. »Was sich ändern kann, ist, dass die proklamierten Anteile der verschiedenen Hersteller sich als falsch erweisen.« Er verweist darauf, dass Elon Musk für Tesla 2030 einen Marktanteil von 20 Prozent reklamiert hatte. »Ob das mit der ganzen hinzugekommenen Konkurrenz noch realistisch ist, wird sich zeigen; 2023 lag der Tesla-Anteil noch bei 18 Prozent.«
Klausner, onsemi, ist der Meinung, dass, »auch wenn das in der aktuellen Situation komisch klingen mag, SiC-MOSFETs immer noch Mangelware sind, ok, das ist jetzt ein Durchschnauffer, aber die großen Rampups, die angekündigt wurden, stehen ja 2025 und 2026 noch bevor«. Da sei das ein, oder andere nach hinten geschoben worden, aber in Europa sei das Modell Y aktuell das am häufigsten zugelassene Neufahrzeug, und in China steuere man auf eine Situation zu, »dass jedes zweite Neufahrzeug ein Elektrofahrzeug sei«.
»Jeder neue Hersteller, der da in den letzten Jahren hinzugekommen ist«, versichert Klausner, »hat mitgeholfen, diesen Ramp-up überhaupt hinzubekommen«; das habe dazu geführt, »dass wir 2024 inzwischen auf einem ganz anderen Volumenniveau sind als noch 2018/19«. Allerdings gibt Alfred Hesener, Navitas Semiconductor, schon zu, »dass einem schwindelig werden kann, wenn man sich die Präsentation von Yole ansieht und da noch einen Fehlerbalken von plus/minus 30 Prozent draufrechnet«. Grasshoff wirft ein, »dass Yole diese Kurve auf mindestens 90 Prozent Yield gerechnet hat, und davon dürften wir heute wahrscheinlich noch ganz schön weit weg sein, und das relativiert dann diese Präsentation doch etwas«.
Dieter Liesabeth, VisIC Technologies, versucht den Demand noch einmal von einer anderen Seite anzugehen. »Wenn man die bisherigen Prognosen der Automobilindustrie für die nächsten Jahre nimmt und dabei mindestens 30 bis 35 Prozent Elektrofahrzeuge ansetzt, wovon in 60 Prozent SiC zum Einsatz kommt, kann man die dafür benötigten Waferstückzahlen ziemlich gut zurückrechnen.« Zählt man dann 1 und 1 zusammen, komme man relativ schnell auf Überkapazitäten.
Liesabeth weist aber auch darauf hin, »dass sich alle bekannten, angekündigten Investitionen ja über einen längeren Zeitraum hin erstrecken«. Er verweist auf das aktuelle ST-Beispiel, wo 5 Milliarden Euro in den Ausbau der SiC-Kapazitäten in Catania investiert werden, »aber dieses Invest erstreckt sich bis 2033, das heißt, nicht die gesamte Fertigungskapazität steht zur Verfügung, wenn das Werk 2027 online gehen wird«. Aus diesem Grund sieht man die aktuelle Entwicklung auch bei STMicroelectronics nach den Worten von Dr. Spitale entspannt. »Der Bedarf ist in diesem Jahr niedriger, aber er wird wieder steigen.«
Durchaus kritisch wird SiC offenbar weiterhin im Bereich der Industrieelektronik gesehen. »Da gab und gibt es Bedenken«, bestätigt Grasshoff, »dass man nichts mehr bekomme, wenn der Automobilbereich plötzlich wieder massiv nach den Bauteilen verlangt«. Liesbeth sieht das ähnlich: »Wenn es in der Automobilindustrie in den nächsten 12 bis 18 Monaten zu den angekündigten Ramp-ups kommt, wird man gar nicht schnell genug die Produktion hochfahren können, um dem Demand zu entsprechen, dann kann es schon sein, dass es dann in der Industrieelektronik zu einer extremen Unterversorgung mit SiC-MOSFETs kommt.«
»Historisch betrachtet gibt es in China schon seit Jahren Einfuhrzölle für Leistungselektronik«, steigt Thomas Grasshoff, Semikron Danfoss, in den Themenpunkt Schutzzölle ein, »die liegen bei 5 bis 7 Prozent, sind aber außer Kraft gesetzt«. Natürlich könnten die jederzeit aktiviert werden, »aber die Chinesen sind nach meiner Erfahrung Pragmatiker; solange sie ihren Bedarf nicht selbst decken können, werden sie keine Strafzölle erheben«. Er geht davon aus, dass China die Karte Schutzzölle erst dann spielen wird, »wenn sie in der Lage sein werden, ihren Bedarf selbst zu decken«.
In den Augen von Ole Gerkensmeyer, Wolfspeed, »sind Schutzzölle eine rückwärtsgerichtete Reaktion und Verteidigung für den Bestandsschutz und damit nicht innovationsfördernd«. Bezeichnend ist in den Augen von Dieter Liesabeth, VisIC Technologies, diesbezüglich auch die Reaktion der Chinesen auf die Schutzzölle gegen chinesische Elektroautos. »Um dem entgegenzuwirken, bauen die chinesischen Hersteller jetzt Fabriken in Europa.« Man müsse nur im Fall der USA die NAFTA-Region ansehen, so Liesabeth, »da haben die Chinesen in allen Bereichen, die wegen Schutzzöllen für sie relevant waren, Fertigungen in Mexiko hochgezogen und liefern von dort aus ohne Schutzzölle in die USA«.
Im Gefolge der Schutzzölle im Elektroautomobilbereich beleuchtet die Europäische Kommission inzwischen auch die Wettbewerbspraktiken der subventionierten chinesischen Halbleiterbranche. Die entsprechenden Fragebögen gingen der europäischen Halbleiterindustrie im Sommer zu. Könnte es im Laufe dieser Entwicklung nun also auch zu Schutzzöllen gegen chinesische Leistungshalbleiter kommen?
»Warum sollten wir Angst vor einem Wettbewerber haben, dessen Marktanteil heute bei 7 Prozent liegt?«, fragt Liesabeth. Natürlich müsse man reinschauen, ob da unfair subventioniert werde, »nur, dann muss man sich auch ehrlich machen, was die eigene Subventionierung der Halbleiterbranche angeht«. Grasshoff sieht das ähnlich: »Wenn, dann kann es nur darum gehen, dass es durch die Subventionierung zu keinem Ungleichgewicht kommt.« Generell ist er der Überzeugung, »dass Protektionismus noch nie geholfen hat, er blockiert die Innovation in den Ländern, die sich schützen wollen, und treibt die Preise in die Höhe«. Schutzzölle hätten nur einen Kurzfristeffekt, »langfristig hat da keiner was davon«.
Auch Marcus Lippert, StarPower Europe, wundert sich etwas über die Angst, die da ventiliert wird. »Verglichen mit denen, die hier am Tisch sitzen, sind wir ja klein, aber natürlich diskutieren wir, wie eine Lösung für Local for Local aussehen könnte, wenn es erforderlich sein sollte«. Aus seiner Sicht sind die chinesischen Leistungshalbleiterhersteller eine Bereicherung für die Branche, »weil es den Wettbewerb erhöht, und ich denke, Wettbewerb tut uns selbst gut und in Form der Produkte dann auch den Kunden«.