Versorgung mit Halbleitern

Was kommt 2023?

19. Dezember 2022, 15:30 Uhr | Iris Stroh
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Trends unterstützen

Toshiba selbst hat vor über einem Jahr bekannt gegeben, dass das Unternehmen über 2 Mrd. Dollar in eine Fab für Leistungstransistoren investieren will, »natürlich vor dem Hintergrund, dass wir die Trends wie erneuerbare Energien, Elektrifizierung im Fahrzeug, Klimaneutralität etc. unterstützen wollen. Wir haben erkannt, dass das ohne diese riesigen Investitionen nicht geht. Und auf dem CEO-Roundtable vor der electronica wurde ganz klar gesagt, dass die schon bekannten Investitionen nicht ausreichen werden, um diesen Bedarf der Megatrends vollständig decken zu können«, so Derpmanns. Toshiba hat natürlich genau überlegt, inwieweit Probleme wie der Ukrainekrieg oder die hohen Strompreise Einfluss nehmen, kam aber zu folgendem Schluss: »Wir sind überzeugt, dass die Nachfrage auch ohne diese Effekte bleiben wird, wir müssen also auch weiterhin mit den Kunden zusammenarbeiten und gemeinsam planen. Die Transparenz in der Supply Chain muss gegeben sein, ansonsten funktioniert das Spiel nicht. Und das hat die Automobilindustrie heute sicherlich besser verstanden als 2009.«

Außerdem ist seitens des einen oder anderen Teilnehmers zu hören, dass die Krise das Verhältnis zwischen Automobilindustrie und Halbleiterindustrie verbessert hat. Wurde früher eher auf die Halbleiterhersteller eingeprügelt, wird derzeit ernsthaft miteinander diskutiert, denn es wurde erkannt, dass es entweder miteinander funktioniert oder gar nicht.

Wobei diese Entwicklungen nicht flächendeckend sind. Blechschmidt unterscheidet zwischen drei Kategorien von OEMs: die OEMs, die sich während der Krise ernsthaft mit der Problematik auseinandergesetzt haben; sie hätten die Krise gut gemeistert. Die zweite Kategorie besteht aus Unternehmen, die sich schon lange mit der Halbleiterthematik beschäftigen. Allerdings führt das laut Blechschmidt nicht immer zu dem gewünschten Ergebnis. Die dritte Kategorie umfasst Unternehmen, »die ihre Blackboxen kaufen und sich bislang noch gar nicht mit der Halbleiterthematik beschäftigt haben. Die haben deutlich mehr Probleme als die anderen, weil die Supply Chain komplett intransparent ist«, so Blechschmidt.

Kann die Globalität zum Problem werden?

Die Halbleiterindustrie ist bislang eine globale Industrie, deren Supply Chain auf der ganzen Welt verstreut sitzt. Derpmanns: »Die Halbleiterindustrie hat es in der Vergangenheit geschafft, sich sehr global aufzustellen, ein Aushängeschild für unsere Industrie. Auch in Hinblick auf Kooperationen ist die Halbleiterindustrie durchaus vorbildlich, denn die Unternehmen sind nicht spinnefeind zum Konkurrenten, sondern viele versuchen, den Markt durch Kooperationen und gemeinschaftliche Entwicklungen weiterzubringen, ein wesentlicher Vorteil, um Probleme zu lösen.«

Derzeit stehen die Tendenzen aber mehr in Richtung Deglobalisierung; die Anstrengungen in den verschiedenen Regionen der Welt zeugen davon. Dazu kommt aber noch ein anderes Problem oder eine andere Frage: Kann die globale Aufstellung irgendwann in der Zukunft zum ernsthaften Problem werden? Der Punkt ist nicht von der Hand zu weisen, und Hrobarsch weist darauf hin, dass die geopolitischen Diskussionen noch zusätzlich Probleme verursachen, die die ganze Sache nicht einfacher machen. Das geht mittlerweile so weit, dass der eine oder andere OEM genau hinschaut, wo die Halbleiterhersteller ihr Front End und ihr Back End produzieren. Fertigt ein Unternehmen ausschließlich in China, werde ein möglicher Exit-Plan aus verlangt mit ganz klaren Vorgaben.

Dazu kommt noch ein weiteres Problem: »Der Halbleitertourismus ist natürlich auch in Hinblick auf eine CO2-neutrale Produktion nicht hilfreich«, erklärt Hrobarsch weiter. Auch hier gebe es den einen oder anderen Zulieferer, der von den Lieferanten wenigstens einen Plan haben will, wann sie CO2-neutral werden wollen. Hrobarsch: »Das sind alles Dinge, die bei der Frage eine Rolle spielen, wo man seine Investitionen tätigt; und diese Dinge haben vorher keine Rolle gespielt.«

Ein Punkt, den auch Prats bestätigt. Laut seiner Aussage besteht durchaus die Möglichkeit, dass ein Lieferant, der nicht oder zu spät CO2-neutral wird, keinen Auftrag bekommt. Und abschließend: »Die Frage nach der CO2-Neutralität hat aber noch eine andere wichtige Auswirkung: Die Mitarbeiter, die wir brauchen, schauen ebenfalls auf diesen Aspekt.«

Frei gewordene Kapazitäten anderweitig nutzen?

Es klingt erst einmal gut, dass die Halbleiterhersteller die frei werdenden Kapazitäten aus dem Konsumgütermarkt jetzt für andere Märkte nutzen können. Aber geht das wirklich so einfach? Stefan Singer, Fellow & Senior Director, EMEA CAS Automotive bei NXP Semiconductors, erklärt, dass diese Frage nicht pauschal beantwortet werden kann – sprich: manchmal geht es, manchmal nicht. Als Beispiel dafür, dass es funktionieren kann, verweist er auf einen 16-nm-FinFET-Prozess, mit dem früher Prozessoren für Mobiltelefone gefertigt wurden. »Heute werden damit Automobil-Komponenten gefertigt«, so Singer weiter.

Als Beispiel, dass es aber eben nicht immer funktioniert, verweist Singer auf Prozessmodule beispielsweise für Flash, PCM oder MRAM, PCM. Brauchen die Komponenten Non-Volatile Memory, dann kann eben nicht einfach ein Standard-CMOS-Prozess genutzt werden, auch wenn dafür Kapazitäten frei sind. Darüber hinaus warnt Singer davor, auf irgendwelche Prozessstrukturen zu setzen, nur weil hier Kapazitäten verfügbar sind.

Singer Stefan
Stefan Singer, NXP Semiconductors: »Wenn es heißt, dass in einer Fab ein 55-nm-Prozess nicht ausgelastet ist, heißt das nicht, dass diese Kapazitäten automatisch für ein anderes Produkt mit 55-nm-Strukturen genutzt werden können. Diese Aussage gilt beispielsweise besonders stark für Flash-Mikrocontroller.«
© Componeers GmbH

Singer: »Theoretisch kann es funktionieren, aber manchmal passt die Technologie einfach nicht. Und wenn ein SoC nicht optimal auf eine Technologie passt, kann sich das in höheren Kosten niederschlagen, und das will keiner.« Außerdem muss aus der Sicht von Armin Derpmanns, Head of Semiconductor Marketing & Operations bei Toshiba Electronics Europe, beachtet werden, dass eine anderweitige Nutzung der Front-End-Kapazitäten nicht unabhängig entschieden werden kann, vielmehr müsse die gesamte Kette betrachtet werden. Denn frei werdende Kapazitäten können nur dann für andere Produkte genutzt werden, wenn auch die entsprechenden Tester zur Verfügung stehen. »Und hier kann es dann klemmen, denn der Test ist sehr produktabhängig.

Einen Vorteil haben die frei werdenden Kapazitäten aus dem Konsumgüterbereich aber auf alle Fälle, »denn in einem Smartphone sitzen ja auch Power-Management-ICs. Schwächelt der Smartphone-Markt, dann können diese Kapazitäten für Power-Management-ICs genutzt werden, die in andere Märkte wandern«, so Rayk Blechschmidt, Europe Segment Manager Automotive bei Microchip Technology.

Broadliner sind im Vorteil
Gartner erwartet Umsatzrückgang
Beim Marktforschungsunternehmen Gartner hieß es bereits im Juli 2022, »dass der globale Halbleitermarkt in eine Schwächephase eintritt, die bis 2023 anhalten wird, sodass die Halbleiterumsätze voraussichtlich um 2,5 Prozent sinken werden«, sagt Richard Gordon, Practice VP bei Gartner. Es sei bereits jetzt eine Schwäche auf den Halbleiter-Endmärkten zu sehen, insbesondere auf jenen, die von den Konsumausgaben abhängig sind.

Gordon weiter: »Steigende Inflation, Steuern und Zinssätze sowie höhere Energie- und Treibstoffkosten setzen das verfügbare Einkommen der Verbraucher unter Druck. Dies wirkt sich auf die Ausgaben für elektronische Produkte wie PCs und Smartphones aus.« Das soll laut Gartner zur Folge haben, dass die PC-Lieferungen in diesem Jahr um 13,1 Prozent zurückgehen werden, was den Halbleiterumsatz in diesem Segment voraussichtlich um 5,4 Prozent schrumpfen lässt.

Die Halbleiterumsätze mit Smartphones wiederum sollen in diesem Jahr auf ein Wachstum von 3,1 Prozent zurückfallen, verglichen mit einem Wachstum von 24,5 Prozent im Jahr 2021. Die Prognose wird von Unternehmen wie Intel, Nvidia oder AMD bestätigt, denn sie mussten bereits schlechte Quartalszahlen vorlegen oder Warnungen vor Umsatzeinbrüchen ausgeben.

Aber wie sieht es mit Unternehmen aus, die an den Konsumgütermärkten gar nicht oder nur minimal aktiv sind, wie die anwesenden Teilnehmer des Halbleiterforums? Komplett anders, hier rechnet keiner mit einem Umsatzrückgang im nächsten Jahr. Uwe Bröckelmann, Senior Director of Technology bei Analog Devices, erklärt stellvertretend: »Bei uns allen sind die Auftragsbücher noch gut gefüllt. Wir müssen also noch diesen Backlog abarbeiten, und der Backlog besteht auch im kommenden Jahr noch.«

Raphael Hrobarsch, European Regional & Automotive Sales Manager bei Diodes, weist auf einen anderen Punkt hin, der gegen einen Umsatzrückgang über das Gesamtjahr 2023 spricht. IHS hätte sich die Halbleiterumsätze aller Quartale seit 1970 angeschaut und festgestellt, dass ein Abschwung typischerweise zwei bis drei Quartale dauerte; danach ging es wieder nach oben. Hrobarsch: »Schauen wir uns die heutigen Zahlen an, ist festzustellen, dass das dritte Quartal 2022 bereits schlechter als das zweite Quartal 2022 war, getrieben durch den Preisverfall im Speicherbereich im zweistelligen Prozentsatzbereich. Das vierte Quartal 2022 wird ebenfalls schlechter ausfallen, dasselbe gilt für das erste Quartal 2023. Damit wären wir schon bei drei Quartalen, das heißt, rein charttechnisch betrachtet müsste es im zweiten Quartal 2023 schon wieder nach oben gehen.«

Hrobarsch erklärt außerdem, dass auch Diodes ein paar Anpassungen erfahren musste; manche Aufträge wurden etwas rausgeschoben. Aber wenn es Stornierungen gab, dann betrafen diese eher Aufträge für 2025. Hrobarsch betont zudem, dass diese Stornierungen aber nicht darauf zurückzuführen sind, dass der Bedarf sinkt, sondern es ging eher darum, dass sich die Kunden damit etwas mehr Spielraum verschaffen möchten. Natürlich gibt es auch für Hrobarsch gewisse Risiken, die die Entwicklung noch negativ beeinflussen könnten. In diesem Zusammenhang verweist er beispielsweise auf eine Studie von PricewaterhouseCoopers, die besagt, dass vor der Pandemie 26 Prozent der Automobilzulieferer finanziell stabil waren, jetzt sind es nur noch 13 Prozent. Dazu zählt er aber auch geopolitische Entwicklungen, aber »wenn alles von den Herausforderungen so bleibt wie dieses Jahr, glauben wir, dass das nächste Jahr gut wird.«

Auch Philippe Prats, Head of Automotive Marketing & Application EMEA bei STMicroelectronics, ist überzeugt, dass ST 2023 ein gutes Jahr haben wird. Die Auftragsbücher seien voll, dank intensiver Kommunikation mit der Automobilindustrie seien auch die weiteren Programme und der Bedarf bekannt, folglich »können wir sehr zuversichtlich sein, dass wir wachsen werden«, so Prats.

Ähnlich argumentiert auch Armin Derpmanns, Head of Semiconductor Marketing & Operations bei Toshiba Electronics Europe. Die Visibilität sei dank der intensiven Diskussionen mit den Kunden sehr hoch, dazu kommen diverse Vereinbarungen; all das lasse eigentlich nur die Vermutung zu, »dass 2023 gut laufen laufen wird.« 


  1. Was kommt 2023?
  2. Die Krise führt zu einer höheren Flexibilität
  3. Trends unterstützen

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