»Der EU Chips Act ist ein guter Anfang«

ZVEI: »Die Investitionen lohnen sich«

1. März 2023, 9:37 Uhr | Iris Stroh
43 Mrd. Euro für die Mikroelektronik in Europa
© ZVEI

Das Umsatzwachstum im Halbleitermarkt beschleunigt sich, die größten Wachstumsraten treten im Automobilsektor und in der Industrieelektronik auf – genau die Bereiche, in denen Europa stark ist. Investitionen in die Halbleiterfertigung lohnen sich also auf alle Fälle – aber die Zeit drängt.

»Es hat zehn Jahre gedauert, bis sich der Halbleiterumsatz zwischen 2012 und 2022 verdoppelt hat. Die nächste Verdoppelung wird voraussichtlich nur noch sieben Jahre dauern, denn bereits 2030 soll das Halbleitervolumen 1 Billion Dollar betragen«, erklärt Robert Kraus, Vorsitzender der ZVEI-Fachgruppe Halbleiter und CEO Inova Semiconductors. Die Wachstumsgeschwindigkeit nimmt also zu, auch wenn der Halbleitermarkt seit eh und je sehr zyklisch ist. Und welche Abnehmerbranchen wachsen am stärksten? Automobil- und Industrieelektronik, hier werden zwischen 2021 und 2030 durchschnittliche Wachstumsraten von 11 bzw. 9 Prozent erwartet.

»Diese zwei Abnehmermärkte, die früher eher eine Nische waren, werden 2030 einen Anteil von 30 Prozent am gesamten Halbleitermarkt auf sich vereinen«, so Kraus weiter. Und das sind bekanntermaßen die Kernmärkte in Europa: 37 Prozent der Halbleiter (vom Umsatz gerechnet) in Europa fließen in die Automobilindustrie, 23 Prozent in die Industrieelektronik. Dementsprechend könnte Europa in den nächsten Jahren besonders stark von den Wachstumsraten in diesen Bereichen profitieren.

»Könnte«, denn bislang spielt Europa bekanntermaßen nicht gerade eine führende Rolle in der Halbleiterindustrie. Wolfgang Weber, Vorsitzender der ZVEI-Geschäftsführung, verweist auf Zahlen, die das belegen: In Europa werden derzeit 8 Prozent der Halbleiter produziert, die größte Konzentration der Halbleiterfertigung ist in Asien (Südkorea, Taiwan, China und Japan) zu finden, hier stehen fast 75 Prozent der Produktionskapazitäten. Beim Halbleiterverbrauch wiederum ist China absolut führend. Laut Weber hält China mittlerweile einen Weltmarktanteil von über 40 Prozent an der gesamten Elektronikproduktion. Europa kommt auf 9 Prozent, dank der bekannten Abnehmerbranchen Automobil und Industrie. Und wo sind die meisten Halbleiterunternehmen angesiedelt: In den USA (50 Prozent), auch hier kommt Europa auf knapp 10 Prozent (Beachten Sie die Bildergalerie am Ende des Artikels).

Was soll European Chips Act ändern soll

Ende 2021 wurde der European Chips Act angekündigt. Seitens der Europäischen Kommission heißt es dazu: »Mit dem europäischen Chip-Gesetz will die EU die Halbleiterknappheit angehen und Europas technologische Führungsrolle stärken. Es mobilisiert 43 Mrd. Euro an öffentlichen und privaten Investitionen und beinhaltet Maßnahmen, damit wir uns gemeinsam mit den Mitgliedstaaten und unseren internationalen Partnern besser auf künftige Unterbrechungen der Lieferketten einstellen, sie antizipieren und rasch gegensteuern können.« Jetzt, Anfang 2023, hofft Wolfgang Weber, Vorsitzender der ZVEI-Geschäftsführung, dass das Gesetz in diesem Jahr nun wirklich auch verabschiedet wird.

Denn die Zeit drängt. Denn nicht nur Europa hat die strategische Bedeutung der Mikroelektronik erkannt, andere Regionen nehmen ebenfalls viel Geld in die Hand, um die Mikroelektronik in ihrem Land aufzubauen. Weber betont, dass die vorliegenden Zahlen in Hinblick auf die Höhe der Investitionen in den verschiedenen Regionen nicht direkt vergleichbar sind, (z.B. fließen in manche Zahlen auch private Investitionen ein), dennoch Europa fällt hier stark ab: in den USA stehen beispielsweise 200 Mrd. Dollar auf dem Plan, Taiwan kommt auf 100 Mrd. Dollar, China auf 150 Mrd. Dollar und Südkorea auf 452 Mrd. Dollar. »Die 43 Mrd. Euro in Europa sind gut angelegte Investitionen«, so Weber weiter. Der ZVEI bemängelt aber trotzdem, dass es sich bei den EU Chips Act geplanten 43 Mrd. Euro nur zum kleinen Teil um vollständig neu allokierte Finanzmittel handelt. Weber: »Die EU-Kommission setzt bislang nahezu ausschließlich auf die Unterstützung durch die Mitgliedsstaaten. Ohne erhebliche zusätzliche Investitionen der öffentlichen Seite, auch durch die Anwendung des angekündigten European Sovereignty Fund, sowie ohne Investitionsanreize für die private Seite, wird es trotz des European Chips Acts zu einer Verfehlung des 20-Prozent-Ziels Europas und einer weiteren Schwächung Europas als Investitionsstandort kommen.« Und weiter: »Europa braucht jetzt eine Standortpolitik, die Investitionen zielgerichtet fördert. Ziel muss sein, ein international wettbewerbsfähiges Mikroelektronik-Ökosystem in Europa auszubauen. Dafür muss die EU den vor weit mehr als einem Jahr angekündigten Chips Act jetzt mit höchster Priorität umsetzen und Investitionen in die Halbleiterindustrie anreizen«, so Weber abschließend.

Große und/oder kleine Strukturen?

»In den nächsten 20 Jahren treiben die Digitalisierung und die Elektrifizierung das Wachstum, und hier hat Europa einen Vorteil. Deshalb sei es wichtig, dass der Chips Act sich an den europäischen Anforderungen orientiert, und damit seine Investitionen genau in den Bereichen ansiedelt, in denen Europa stark ist und in Zukunft stark sein soll«, so Weber.

Eine altbekannte Diskussion: Soll Europa sein Geld nur in reifere Prozessstrukturen stecken, oder auch in Kapazitäten für modernste Prozesse. Beides: »Europa braucht auf alle Fälle reifere Prozesse, wenn wir nicht in eine größere Abhängigkeit geraten wollen. Es muss aber auch Investitionen in kleinere Strukturen geben, weil auch diese Prozesse hier in einem gewissen Umfang benötigt werden«, so Weber

Kraus kann die Aussage von Weber mit dem Halbleiterbedarf in einem Fahrzeug belegen: Derzeit entfallen 20 Prozent auf Analog/Mixed-Signal-Komponenten, die schwerpunktmäßig mit Strukturen zwischen 22 und 65 nm gefertigt werden. Auf die Leistungshalbleiter entfallen weitere 20 Prozent, die mit noch größeren Strukturen (Mehrheit der Komponenten basiert auf 90 bis 350 nm) gefertigt werden. Sensoren (10 Prozent), weitere Halbleiter (LEDs, Optokoppler etc., ebenfalls 10 Prozent) nutzen ebenfalls meist größere Strukturen. Anders sieht das Bild bei MCUs aus, die im Fahrzeug immerhin einen Anteil von 30 Prozent ausmachen, hier liegt der Schwerpunkt der Fertigungsstrukturen zwischen 5 und 16 nm - was natürlich auch für Speicher (10 Prozent) gilt.

In Deutschland findet laut Kraus keine Priorisierung einer bestimmten Prozesstechnik statt, er erklärt: »In Dresden wird die Produktion mit reifen Knoten gefördert, Intel wiederum ist eine Investition in kleinste Strukturgrößen. Mir ist keine Differenzierung bekannt, welche Technologie gefördert wird.« Und Weber fügt hinzu: »Jede Investition seitens der Nationalstaaten und der EU starten immer mit einem privaten Investitionsvorhaben. Danach entscheiden die nationalen Staaten, und hier kann ich nur Robert Kraus bestätigen: die Bundesregierung ist bereit, in sehr verschiedene Aktivitäten zu investieren und das ist auch richtig.«


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