»Wir haben nach Beginn des Angriffskrieges alle direkten und indirekten Lieferungen nach Russland gestoppt«, sagt Torsten Röser, Leiter Exportkontrolle von Infineon. Warum immer wieder Elektronik-Komponenten westlicher Hersteller nach Russland gelangen, erklärt er im Interview mit Markt&Technik.
Markt&Technik: Nach dem Beginn des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine hatte Infineon sofort mit einer Pressemitteilung reagiert: Die Lieferungen aller Komponenten quer durch alle Bereiche an Russland werden eingestellt. Russland erhält also keine Komponenten mehr, die Infineon – egal wo auf der Welt – herstellt oder herstellen lässt?
Torsten Röser, Infineon: Wir verkaufen keine Produkte nach Russland. Unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat Infineon umfassende Maßnahmen ergriffen, um alle direkten und indirekten Lieferungen nach Russland zu stoppen – ungeachtet der rechtlichen Möglichkeit, bestimmte Geschäfte weiterzuführen. Im März 2022 beschloss Infineon, seine Landesgesellschaft in Russland zu liquidieren, was inzwischen erfolgt ist.
Mitte 2022 tauchten Artikel in deutschen Zeitungen auf, nach denen Komponenten von Infineon und anderen Herstellern über einzelne Firmen doch nach Russland gelangen. Versuchen Sie so etwas nicht zu verhindern?
Selbstverständlich hat die Einhaltung der geltenden Gesetze für Infineon eine überragende Bedeutung, und wir haben zuverlässige Richtlinien und Prozesse zu ihrer Einhaltung eingeführt. Wir stützen uns beispielsweise auf eine von deutschen Behörden veröffentlichte und ständig aktualisierte Liste von Firmen, die weiter nach Russland liefern. Mit keiner der Firmen auf dieser »schwarzen Liste« unterhalten wir geschäftliche Kontakte. Daneben beziehen wir Informationen über mutmaßliche Sanktionsverstöße und -umgehungen auch aus anderen Quellen. Firmen, die noch nicht Teil der schwarzen Liste sind, führen wir auf einer internen »grauen Liste« und beliefern sie ebenfalls nicht. Wir stehen in engem Kontakt mit allen maßgeblichen staatlichen Stellen. Unsere international aufgestellten Teams können so umgehend auf neue Sanktionspakete reagieren, etwa von der EU-Kommission.
Weiß Infineon mehr als der Staat?
Als Unternehmen können wir mit den Möglichkeiten, die der Staat etwa über die Geheimdienste hat, natürlich nicht mithalten. Dort gibt es viel tiefer gehende Erkenntnisse, als wir sie recherchieren können. Aber der Staat muss auch bis ins Kleinste nachweisen, warum eine Firma berechtigterweise auf der offiziellen schwarzen Liste landet. Wir sind vielfach auf Indizien angewiesen. Wenn aufgrund der Indizien der begründete Verdacht besteht, dass ein Unternehmen Lieferungen nach Russland ermöglicht, wird die Beziehung nicht fortgeführt. Wir limitieren uns also stärker, als die amtlichen Vorgaben es verlangen.
Sie sagten, dass Sie Informationen aus anderen Quellen holen. Welche Quellen sind das?
Das können beispielweise Presseberichte sein. Wir berücksichtigen auch Informationen etwa von Conflict Armament Research: Diese Nichtregierungsorganisation versucht aufzuklären, woher Waffen stammen, die in Konfliktgebiete gelangt sind, um so Kontrollen zu unterstützen.
Russische Zolldaten erlauben zudem gewisse Einblicke in die offiziellen russischen Importlisten. Dort tauchen fast ausschließlich Unternehmen auf, zu denen wir keine Geschäftsbeziehungen haben. Falls doch, beenden wir die Lieferung und fordern vom betreffenden Unternehmen Aufklärung. Kurzum: Wir unternehmen enorm viel, damit unsere Komponenten nicht nach Russland gelangen.
Dennoch tauchen immer wieder Berichte auf, dass genau das eben doch geschieht.
Zum Verständnis ist es hilfreich, einen Blick darauf zu werfen, wie unsere Produkte zum Kunden gelangen. Wir stellen pro Jahr rund 30 Milliarden Bauelemente her. Damit sie bei den Kunden pünktlich ankommen, braucht es verschiedene Vertriebswege. Nur die ganz großen Kunden können wir direkt beliefern. Hier steht jeweils ein Key-Account-Manager in der Verantwortung, der wertvolle Hinweise über die erforderliche Compliance des Empfängers liefert.
Daneben haben wir zahlreiche Vertragsdistributoren, also vertrauenswürdige Händler, die sich durch Verträge verpflichten, die Vorschriften einzuhalten. Neben den behördlichen Vorgaben hat auch Infineon sehr klare Auflagen mit diesen Händlern vereinbart, deren Einhaltung wir seit Kriegsbeginn mehrfach bekräftigt beziehungsweise konkretisiert haben.
Zudem gibt es schließlich eine hohe Anzahl von Unternehmen in der globalen Supply-Chain, die nachgelagert agieren und nicht unter vertraglicher Bindung zu uns oder einem unserer Vertragspartner stehen. Das macht es überaus schwierig, den Weiterverkauf eines Produkts seitens des Herstellers über den gesamten Lebenszyklus hinweg zu kontrollieren.
Können Sie ein reales Beispiel dafür geben?
Nehmen Sie ein Ingenieurbüro, das 100 Komponenten bestellt. Allerdings benötigt es für das Projekt nur 60 und verkauft die übrigen an einen Reseller, der hinsichtlich der Regulierungen nicht die gewünschte Kompetenz aufweist. Dann verliert sich der Weg dieser Komponenten. Zumal nicht alle kleinen oder mittelständigen Firmen eine Person in ihrem Unternehmen identifiziert haben, die sich um den Aspekt Exportkontrolle kümmern kann.
Sie sprachen eben die Key-Account-Manager an – wie genau wissen Sie, ob Ihre Direktkunden und Vertragsdistributoren das Sanktionsregime beachten?
Durch interne Prozesse haben wir einen turnusmäßigen Review-Prozess etabliert, in dem ein Key-Account-Manager die betreute Firma anhand von standardisierten Fragen bewerten muss. Wir fragen beispielsweise danach, für welche Zwecke die Komponenten verwendet werden. Die laufend eingehenden Informationen bilden die Grundlage für künftige Fragen. Wenn wir dadurch erfahren, dass ein Kunde die Exportkontroll-Richtlinien nicht einhält – wozu er sich uns gegenüber vertraglich verpflichtet hat –, wird nicht weiter beliefert.
Für unsere Vertragsdistributoren gilt dasselbe: Sie verpflichten sich in den jeweiligen Verträgen, die Vorschriften einzuhalten. Unsere Compliance-Abteilung prüft dies ebenfalls. Es liegt in der Verantwortung des Distributors, festzustellen, wer die Komponenten schlussendlich verarbeitet und in welchen Systemen sie wo eingesetzt werden: Er muss seine Vertriebskanäle prüfen. Wir erhalten von den Distributoren den Point-of-Sales-Report, in dem alle im Berichtszeitraum belieferten Kunden verzeichnet sind. Sollte einer von ihnen auf unserer grauen Liste stehen, informieren wir den Distributor entsprechend. Bis zur zweifelsfreien Klärung sind seitens des Distributors entsprechende Lieferungen einzustellen. Andernfalls würden wir den Vertrag mit dem Distributor als Ultima Ratio beenden.
Spielen hier auch Produktfälschungen eine Rolle?
Zum Teil. Es gibt einige NGOs, die uns immer wieder Fotos von Komponenten bereitstellen, die in Russland beziehungsweise russischen Systemen aufgefunden wurden. Dort waren Bauelemente dabei, die auf den ersten Blick aussehen, als ob sie von Infineon stammten. Beispielsweise anhand des aufgedruckten Herstellungsdatums und der Produktkennung konnten wir jedoch feststellen, dass sie nicht aus unserer Produktion stammten. Derartige Produktfälschungen sind nicht die Regel, aber sie kommen vor.
Wie verhält es sich mit den Komponenten, die in die Verkaufskanäle gelangten, lange bevor Krieg und Sanktionen eintraten?
Auch das ist ein Faktor. In russischem Kriegsgerät, das in Kyiv sichergestellt wurde, fanden sich Bauteile mehrerer westlicher Hersteller, darunter auch von Infineon. Unsere Analyse ergab, dass es sich um ein Originalteil handelte, das Infineon 2011 hergestellt und an einen autorisierten Distributor verkauft hatte. 2016 war dieses Bauelement abgekündigt worden.
Zudem erwähnte ich bereits die Vielzahl nachgelagerter Händler in aller Welt, die wir in vielen Fällen nicht kennen: Viele von ihnen hielten zu Kriegsbeginn Produkte von uns auf Lager und verkauften sie danach an Russland. Rechtlich gesprochen hat hier ein Eigentumsübergang stattgefunden; es sind also längst nicht mehr »unsere« Produkte – dennoch ist natürlich sehr schmerzlich, ihnen in einem solchen Kontext wieder zu begegnen.
Hat oder hatte Infineon auch Vertriebspartner in Russland? Wie sind Sie hier vorgegangen?
Wir hatten ein recht überschaubares Russland-Geschäft und haben dort mit zwei autorisierten Distributoren zusammengearbeitet, die unsere Waren in Russland verkauften. Noch im Februar 2022 haben wir uns zu einem klaren Schlussstrich entschieden und beschlossen, auch die Verträge mit den beiden Distributoren zu kündigen.
Beide Händler hatten zu diesem Zeitpunkt Bauteile von uns im Wert eines einstelligen Millionen-Dollar-Betrags auf Lager. Wir haben diese daraufhin über unsere damalige Landesgesellschaft in Russland zurückgekauft. Anschließend suchten wir nach Wegen, um zu verhindern, dass diese Produkte in militärische Anwendungen gelangen. Das war alles andere als trivial, da eine Ausfuhr oder Vernichtung nach russischem Recht nationale Sicherheitsinteressen verletzt hätte. Jeder Verstoß hätte unsere Kolleginnen und Kollegen in Russland in Gefahr bringen können.
Wie haben Sie das gelöst?
Jemand war sehr unvorsichtig und die Produkte gingen kaputt.
Das klingt nach einer kreativen Lösung.
Wir tun, was wir können, um unserer Verantwortung gerecht zu werden.
Sie erwähnten, dass Infineon nicht die Möglichkeiten staatlicher Akteure hat – immerhin verfügen Sie als globales Unternehmen über Abteilungen, die sich mit allen Fragen der Compliance und der Regulierungen befassen. Wie gehen KMUs mit dieser Verantwortung um?
Stimmt, die kleinen und mittleren Unternehmen, die in Deutschland einen wichtigen Teil zur Wertschöpfung beitragen, verfügen nicht über die Infrastruktur, die uns zur Verfügung steht. Ihnen würde helfen, wenn sie unkompliziert an staatliche Informationen über Unternehmen kommen, die sich nicht an Sanktionen halten. Dafür wäre auch mehr Koordination zwischen den Staaten hilfreich. Das Ergebnis wäre idealerweise und von offizieller Seite das, was wir versuchen, mit unseren internen grauen Listen abzubilden.
Die verbesserte Koordination zwischen den Staaten beträfe diejenigen, die sich den Sanktionen angeschlossen haben. Das sind aber bei Weitem nicht alle Länder. China etwa liefert nach Russland. Sind doch alle Bemühungen vergebens?
Grundsätzlich ist es richtig, dass länderübergreifende Sanktionsregimes erschwert werden durch geopolitische Interessen. Doch die Möglichkeiten der länderübergreifenden Kooperation sind längst nicht ausgeschöpft.