High-Tech-Sektor in Israel

»Israel ist bemerkenswert widerstandsfähig«

30. Oktober 2023, 15:00 Uhr | Engelbert Hopf
Allein in unmittelbarer Umgebung des Gaza-Streifens befinden sich zahlreiche Zulieferbetriebe für die israelische Elektronikindustrie, die nun mit logistischen und personellen Herausforderungen kämpfen.
© Everstream Analytics

Welche Auswirkungen ein Krieg auf Lieferketten hat, zeigte 2022 der Überfall Russlands auf die Ukraine. Der Überfall der Hamas auf Israel, und der folgende Kriegszustand, hat ähnliche Auswirkungen, nur ist die Dichte der High-Tech-Industrie in Israel deutlich höher, die Auswirkungen komplexer.

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Israel war und ist ein High-Tech-Standort. Etwa 14 Prozent aller Arbeitsplätze entfallen auf die High-Tech-Branche, die knapp ein Fünftel der gesamten Wirtschaftsleistung und ein Viertel der Einkommensteuer-Einnahmen des Landes repräsentiert. Dass fast die Hälfte der Exporte Israels auf die High-Tech-Branche entfallen, komplettiert das Bild.

»Israel ist bemerkenswert widerstandsfähig«, beschreibt Raz Peleg, Vice President Business Development beim 2016 gegründeten Sensorspezialisten Adasky, die Situtation. Knapp zwei Wochen nach dem Überfall von Hamas-Terroristen auf die umliegenden Gebiete des Gaza-Streifens und dem seither geltenden Kriegszustand in Israel seien die Auswirkungen auf die High-Tech-Branche bislang kaum wahrnehmbar.

Auch als die Hamas im Mai 2021 begann, Israel mit Raketen aus dem Gazastreifen zu beschießen, rückte die Situation des israelischen High-Tech-Sektors und seiner Lieferketten auch für die weltweite Elektronikindustrie schnell in den Fokus. Doch anders als vor knapp zweieinhalb Jahren gehen die Auswirkungen der Hamas-Attacke dieses Mal deutlich tiefer; die Zahl der getöteten Israelis liegt inzwischen bei über 1400, und Israel bereitet sich dieses Mal nach der Mobilisierung von über 300.000 Reservisten auf einen militärischen Einmarsch in den Gazastreifen vor.

Doch der Krieg fordert nicht nur Menschenleben in Israel und unter der seit zwei Wochen unter Beschuss stehenden Zivilbevölkerung des Gazastreifens, er hat zwischenzeitlich die kritische Infrastruktur in der Region nahezu lahmgelegt, mit starken Auswirkungen auf die internationale Logistik, wie das Beratungsunternehmen Everstream Analytics ermittelte. »Mehr als 350 Zulieferer befinden sich in der Kriegszone nahe dem Gazastreifen«, so Mirko Woitzik, Director Intelligence Solutions bei Everstream Analytics. »Diese Lieferanten stellen Waren für die Medizintechnik, industrielle Maschinen, Elektronik, Chemikalien sowie Komponenten für die Automobilindustrie und andere Fertigungsbranchen her.«

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Dieter Liesabeths, VisIC Technologies: »Da wir hier in Israel ausschließlich entwickeln, unsere GaN-Leistungshalbleiter aber von einer Foundry außerhalb Israels produziert werden, wird es für unsere Kunden zu keiner Verzögerung in der Lieferkette kommen.«
© Wolfspeed

Waren im Chaos der ersten Kriegstage die Verbindungen in den Süden Israels noch weitgehend offen, so ist die kritische Straßeninfrastruktur zu und von Standorten in den Industriezonen der Städte und Dörfer entlang der Region des Gazastreifens inzwischen geschlossen, teilweise handelt es sich um militärisches Sperrgebiet. »Auf absehbare Zeit wird dies zu Werksschließungen führen«, so die Einschätzung von Woitzik.

Eine aktuelle Umfrage unter Unternehmen aus der Elektronikbranche, die in Israel beheimatet sind oder dort Entwicklungs- und Fertigungsstätten unterhalten, zeigt ein deutlich anderes Bild als im Mai 2021, als das öffentliche Leben in Israel trotz Raketenbeschuss fast unbeeinträchtigt weiterging. Aktuell wird in vielen Unternehmen in Israel, dort wo es möglich ist, die Arbeit von zu Hause aus akzeptiert. Adasky-Manager Peleg weist in diesem Zusammenhang darauf hin, »dass die Herausforderung dieses Mal noch komplexer ist, dass das Bildungssystem nicht funktioniert und die Kinder daher zu Hause sind. Als Konsequenz wird darum die Arbeit von zu Hause aus akzeptiert«.

Überraschend hingegen, dass trotz der sehr hoch erscheinenden Zahl von über 300.000 eingezogenen Reservisten die High-Tech-Branche davon wenig betroffen zu sein scheint. Peleg erläutert, »dass Ingenieure nicht in Kampfeinheiten eingesetzt werden dürfen; andere sind zu alt, um nach aktuellem Stand einberufen werden zu können«. Ein Umstand, den auch verschiedene andere Unternehmen bestätigen, auch wenn manche davon nicht namentlich genannt werden wollen oder wie Infineon Technologies keine Angaben dazu machen wollen, wie viele Kollegen und Kolleginnen bisher möglicherweise zur Armee eingezogen wurden.

Infineon bestätigt auf jeden Fall, dass derzeit etwa 80 Angestellte in Israel für das Unternehmen tätig sind, an einem Standort in Netanya sowie in einem Büro in Tel Aviv. Diese Niederlassungen seien im Bereich R&D tätig, eine Fertigung fände in Israel nicht statt. Infineon hat seine Beschäftigten in Israel gebeten, aus Sicherheitsgründen von zu Hause aus zu arbeiten. »Zum aktuellen Zeitpunkt«, so das Unternehmen, »erwarten wir keine Beeinträchtigung unserer Lieferrouten, abgesehen vom Warenverkehr von und nach Israel.«

Woitzik Mirko
Mirko Woitzik, Everstream Analytics: »Kritische Infrastruktur ist in der Region des Gazastreifens nahezu lahmgelegt; da sich mehr als 350 Zulieferer in der Kriegszone nahe dem Gazastreifen befinden, hat das starke Auswirkungen auf die internationale Logistik.«
© Everstream Analytics

Sehr kurz fällt die offizielle Antwort von Intel aus. »Intel beobachtet die Situation in Israel mit Sorgfalt und unternimmt die notwendigen Schritte, um unsere Mitarbeitenden zu unterstützen und zu schützen.« Intel ist seit den 1970er-Jahren in Israel aktiv. Seine Fab 18 steht in Kirjat Gat, einer Stadt etwa 56 km südlich von Tel Aviv. Erst vor Kurzem hatte das Unternehmen bekannt gegeben, 25 Milliarden Dollar in den Bau einer neuen Fab in Kirjat Gat zu investieren. Intel beschäftigt derzeit knapp ein Zehntel seiner weltweit 130.000 Mitarbeiter in Israel. Mit der Übernahme von Mobileye, einem Unternehmen, das Technologie für selbstfahrende Fahrzeuge liefert, im Jahr 2017 für rund 15 Milliarden Dollar ist Intel auch über seine eigenen Produkte hinaus in Israel präsent.

Marc Henn, Application Engineering Manager and Sales bei Tadiran Batteries, ist es wichtig zu betonen, »dass keiner der Mitarbeiter oder deren Familien bisher zu Schaden gekommen ist«. Das Unternehmen ist in Kiryat Ekron südwestlich von Tel Aviv beheimatet und unterhält eine Battery-Assembly in Kiryat Shmona. Die Produktion sei wieder voll aufgenommen, und auch die Rekrutierungsmaßnahmen würden nur Einzelne betreffen. »Da der Cargo-Luftverkehr nur bedingt eingeschränkt ist, können die Produkte wie gewohnt versendet werden«, versichert Henn und fügt hinzu: »Wir rechnen aktuell auch bei einer Intensivierung der Handlungen mit keinen gravierenden Folgen für unser Werk.«

Der GaN-Leistungshalbleiter-Pionier VisIC-Technologies ist in Ness Ziona etwa 50 km von Gaza entfernt und 10 km südlich von Tel Aviv beheimatet. »Zur Sicherheit haben wir auf Homeoffice für die Mitarbeiter umgestellt, wo ein Arbeiten von zu Hause aus möglich ist«, so Dieter Liesabeths, Senior Vice President of Product bei VisIC Technologies. »Da wir keine Produktion in Israel haben, hat der Krieg für uns auch keine Auswirkungen auf die Lieferkette.« Kunden erhalten ihre Produkte direkt von der Foundry des Unternehmens.

Die Zahl der eingezogenen Reservisten liegt laut Liesabeths bei unter 10 Prozent der Mitarbeiter. »Die Arbeit wurde von Kollegen übernommen, sodass es zu keinerlei Verzögerungen im Design-Bereich kommt«, versichert Liesabeths; »die Bereitschaft der Mitarbeiter ist extrem groß, in dieser schwierigen Situation zusätzliche Aufgaben zu übernehmen«. Inwieweit neue Entwicklungen durch den Krieg verzögert werden, lasse sich derzeit noch nicht abschätzen, es könne sein, so Liesabeths, »dass es für Prototypen, die über unser Office in Israel gehen, vielleicht ein, zwei Wochen Verzögerung gibt, aber wir versuchen das durch unsere Locations in Phoenix, Arizona und Wien so gut wie möglich abzufangen«.

Wie sich die Situation in Israel vor allem nach dem angekündigten Vorstoß der israelischen Armee in den Gazastreifen entwickeln wird, wenn unter anderem die Hisbollah im Libanon mit ihrem Waffenarsenal in den Konflikt einsteigt, dürfte sich aktuell kaum seriös abschätzen lassen. 


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