Nachdem das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass die 60 Milliarden Euro nicht genutzter Corona-Kredite nicht in den KTF (Klima- und Transformationsfonds) fließen dürfen, stellt sich natürlich die Frage, was das für die Mikroelektronik heißt.
Frank Bösenberg, Geschäftsführer bei Silicon Saxony, erklärte im Rahmen des Markt & Technik Halbleiterforums: »Mit dieser Entscheidung ist ein gutes Drittel der Ausgaben nicht finanziert. Welches Drittel das ist, muss sich zeigen, es geht ja um ganz viele verschiedene Projekte.« Ob die 20 Milliarden Euro für die Mikroelektronik wegfallen, hält er für eher unwahrscheinlich. Aber: »Es kommen jetzt natürlich alle Ausgaben auf den Prüfstand und deren Finanzierung und das erzeugt eine Unsicherheit und Klärungsbedarf und das kostet Zeit«, so Bösenberg.
Einfach dürfte die Diskussion in der Ampel nicht werden, der Streit ist vorprogrammiert – dennoch fordert Bösenberg, dass noch vor Weihnachten eine Entscheidung getroffen werden muss. Wobei er überzeugt ist, dass zumindest die großen Schlüsselprojekte – Intel und TSMC – nicht in Frage gestellt werden können, aber auch hier ist eine zeitnahe Entscheidung wichtig. Bösenberg: »Für diese Entscheidung wäre das ›Deutschlandtempo‹ angesagt, bei den LNG-Terminals hat es funktioniert, jetzt können wir beweisen, dass es auch ein zweites Mal funktioniert.«
Dass die zwei genannten Vorzeigeprojekte aus der Sicht von Bösenberg auf keinen Fall rausfliegen können, begründet er damit, dass sich Deutschland sonst vom Anspruch verabschieden würde, im Halbleitermarkt eine gewichtige Rolle mitzuspielen. Er betont: »TSMC und Intel sind keine rein deutschen Themen, sondern wir reden über ein großes Investment aus den USA und ein großes Investment aus Taiwan. Und damit stellt sich die Frage: kann Deutschland auf der internationalen Bühne in der Halbleiterindustrie mitspielen? Diese Frage wird jetzt entschieden, und jeder Tag, den es länger dauert, marginalisiert Deutschland.« Robert Weichert, Arbeitskreisleiter bei Silicon Saxony, merkt außerdem an, dass mit einer Abkündigung der beschlossenen Projekte auch ein erheblicher Vertrauensverlust einhergehen würde.
Der ZVEI argumentiert in dieselbe Richtung. So erklärt Wolfgang Weber, Vorsitzender der ZVEI-Geschäftsführung, in einer offiziellen Stellungnahme: »Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts muss die Politik nun dafür Sorge tragen, Planungssicherheit für die Umsetzung der im Klima- und Transformationsfonds zugesagten Maßnahmen zu garantieren. Dazu muss die Politik ihre Zusagen bezüglich der Fördermittel für die gesellschaftlich und wirtschaftlich hoch relevanten Maßnahmen für die Transformation weiterhin einhalten. Dabei geht es unter anderem um die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit inklusive der Investitionsanreize im Bereich des Mikroelektronik-Ökosystems. Diese Schlüsseltechnologie ist sowohl für den Industriestandort, unsere Resilienz, die Energiewende als auch das Erreichen unserer Klimaziele höchst relevant.
Mit dem EU Chips Act und den IPCEI-Projekten haben die EU und Deutschland wirksame Instrumente entwickelt, um die technologische Souveränität nachhaltig zu stärken und die Wertschöpfungskette resilienter zu machen. Viele Länder der Welt beobachten die angekündigten Investitionen sehr aufmerksam. Deutschland würde sich international unglaubwürdig machen, wenn diese nicht wie vereinbart umgesetzt werden könnten. Das Gleiche gilt für andere vereinbarte Maßnahmen in anderen Sektoren und Technologien. Die Bundesregierung ist jetzt aufgefordert, den Industriestandort sowie die damit verbundenen Arbeitsplätze nachhaltig zu sichern und die Reputation Deutschlands als verlässlichen Investitionsstandort zu erhalten.«
Weichert betont ebenfalls, dass innerhalb der Branche ganz genau darauf geschaut wird, wie die verschiedenen Unternehmen in den verschiedenen Regionen vorankämen. Beispielsweise war erst vor kurzem zu lesen, dass TSMC mit seinen geplanten Kapazitätserweiterungen in den USA bislang nicht besonders schnell vorankommt. Der eigentlich für nächstes Jahr geplante Start der Produktion wurde jetzt erst einmal auf 2025 verschoben, der Grund: Es mangelt an Fachpersonal. Das heißt: Wenn Deutschland es jetzt schafft, schnell die Entscheidung zu treffen, könnte dieses überraschend aufgeklaffte Finanzierungsloch sogar noch positive Auswirkungen haben. Bösenberg: »Das könnte dann nämlich auch der Beweis sein, dass wir leistungsfähig sind und dass es wirklich eine Zeitenwende mit einem Deutschlandtempo gibt.«
Aus der Sicht von Thomas Grasshoff, Senior Director Stratey Semikron Danfoss, sind die Auswirkungen auf die geplanten Maßnahmen, die aus dem KTF finanziert werden sollten, noch unklar. Er verweist aber darauf, dass das BMWK bekräftigt habe, dass alle geplanten Fördermaßnahmen im Bereich der Mikroelektronik auch weiterhin umgesetzt werden sollen. Grasshoff: »Die Bundesregierung steht hinter dem ChipsAct und den IPCEI-Projekten. Die Industrie bestärkt die Bundesregierung dabei und bekräftigt, dass die bisherigen Entscheidungen notwendig und richtig waren. Für uns gibt es erstmal kein geändertes Vorgehen, da die Thema Resilienz und Investitionen in den Halbleitersektor auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aktuell bleiben.«
Infineon hat in Dresden schon mit dem Bau seines neuen Fertigungsmoduls begonnen. Das BMWK hatte noch im Februar 2023 stolz erklärt: »Noch bevor die Beihilfeentscheidung der Europäischen Kommission zur hierfür angestrebten Förderung durch die Bundesregierung vorliegt, kann das Unternehmen jetzt mit den Baumaßnahmen beginnen. Das ermöglicht das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit einer Ausnahmegenehmigung für den beschleunigten Projektstart.« Und jetzt? Infineon verweist zunächst darauf, dass die Europäische Union sich zum Ziel gesetzt hat, den Anteil an der weltweiten Chipfertigung auf 20 Prozent zu steigern, das hat sich ja zumindest nicht geändert.
»Damit soll die technologische Souveränität sowie Unabhängigkeit von internationalen Lieferketten gesteigert werden. Die Investitionen in Dresden stehen im Einklang mit diesem Ziel und stärken die Bedeutung des Silicon Saxony als Europas größten Halbleiterhub. Über mögliche Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts können wir nicht spekulieren. Wir werten das Urteil aus und stehen diesbezüglich auch im Austausch mit der Bundesregierung«, so Fabian Schiffer, Senior Manager Media Relations bei Infineon Technologies.
Von Anne Proch, Tech PR Manager bei Nexperia, heißt es: »Konkrete Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November auf Nexperia sehen wir derzeit nicht.« Und Alastair Whitehead, Vice President Regional Marketing Europe bei Vishay Intertechnology, wiederum betont: »Das Gerichtsurteil hat keine Auswirkungen auf die Expansionspläne von Vishay in Itzehoe. Das Projekt ist nicht von staatlichen Mitteln abhängig.« Es bleibt also weiter spannend.