Aber auch seitens der Halbleiterhersteller ist zu hören, dass der Lernprozess anscheinend in dieser Krise in dem einen oder anderen Fall doch wieder ganz von vorne gestartet werden musste. Viele in der Automobilindustrie wüssten zwar, was Halbleiter sind, aber leider nicht, wie sie gefertigt werden. Dementsprechend wäre die Überraschung groß ausgefallen, als klar wurde, dass es bei leeren Lagern einfach eine ganze Weile dauert, bis nach der Bestellung des Halbleiters auch wirklich ausgeliefert und damit beim OEM verbaut werden kann. Von anderer Seite hieß es: »Die Automobilindustrie hat in Summe in den letzten zehn Jahren einiges gelernt, aber längst nicht genug.«
Doch scheint die Dauer der Krise zumindest dazu beigetragen zu haben, dass das Vergessene mittlerweile wieder ins Gedächtnis zurückgeholt wurde, sodass auch zu hören ist, dass sich dieses Problem inzwischen entschärft hat.
Daneben gibt es aber auch andere Punkte, die dafürsprechen, dass der Lernprozess zu weitreichenden Erkenntnissen geführt hat. Beispielsweise hat Renault mit STMicroelectronics eine Kooperation vereinbart, die Design, Entwicklung, Produktion und Lieferung von STMicroelectronics-Produkten und -Packaging-Lösungen für die Leistungselektroniksysteme der Batterie- und Hybridfahrzeuge von Renault betreffen. Hier ist von einem Lieferzeitraum zwischen 2026 und 2030 die Rede, die Renault ST zusichert. Aus der Sicht von Armin Derpmanns, Head of Semiconductor Marketing & Operations von Toshiba Electronics Europe, ist solch ein Vorgehen als positives Zeichen zu werten. Er hofft, dass damit der Anfang gemacht ist, dass die Automobilindustrie nicht mehr in Zeiträumen von sechs Monaten denkt, sondern in deutlich längeren. Derpmanns: »Das ist auch entscheidend, denn die momentane Krise macht es notwendig, dass wir von Just-in-Time-Lieferungen weggehen und gemeinschaftlich über Bedarfsentwicklung und Liefersteuerung sprechen.«
Wobei nicht alle so optimistisch wie Derpmanns sind. Bröckelmann beispielsweise merkt an, dass jetzt zwar alle hoffen, dass sich das Thema mit den »Just-in-Time-Lieferungen« etwas erledigt hat und etwas mehr Lagerhaltung Einzug hält, »aber sobald das wieder einer durchrechnet, wird das wieder abgeschafft, da habe ich keine große Hoffnung.« Und mit der Skepsis steht er nicht allein. Bereits 2020 war beim ifo Institut zu lesen, dass die Corona-Pandemie zwar die meisten Unternehmen dazu bewegt, »ihre Lieferkettenabhängigkeiten zu überdenken. Ob sich Resilienzerwägungen jedoch tatsächlich gegenüber den Effizienzbestrebungen durchsetzen, bleibt abzuwarten.« Auch Wiese teilt die Bedenken. Er hält es zwar theoretisch für möglich, dass diese Über- und Unterversorgung mit Halbleitern zumindest deutlich abgemildert werden könnten, aber das gehe nur, wenn alle daran interessiert sind. Sobald es darum geht, den letzten halben Cent sparen zu wollen, werde es nicht funktionieren.
Wann kommt der Umschwung?
Jeder, der schon etwas länger mit der Halbleiterindustrie zu tun hat, kennt die ewigen Schweinezyklen, das Auf und Ab und auch, dass immer wieder die Frage auftaucht, ob der Schweinezyklus nicht dieses Mal ausgesetzt ist. Die Analysten von IDC jedenfalls glauben an die Schweinezyklen und haben im September dieses Jahres bereits erklärt, dass sich Angebot und Nachfrage für ICs Mitte nächsten Jahr treffen und 2023 bereits Überkapazitäten bestehen könnten.
Das mit den Überkapazitäten ist sicherlich nicht vollkommen aus der Luft gegriffen. Denn laut SEMI wird bis Ende dieses Jahres weltweit mit dem Bau von 19 neuen Hochvolumen-Fabs begonnen und bis 2022 der Grundstein für zehn weitere gelegt. Die Zahl stammt von Mitte dieses Jahres, danach kamen noch weitere Ankündigungen hinzu, also in der Summe werden die Fertigungskapazitäten deutlich ausgeweitet.
Philippe Prats, Head of Automotive Marketing & Application EMEA bei STMicroelectronics, erklärt beispielsweise, dass ST allein 1,5 Mrd. Dollar in die Kapazitätserweiterung steckt, ein Rekordwert für ST. Aber er ist überzeugt, dass weltweit genügend Bedarf vorhanden ist, denn auch wenn momentan aufgrund der letzten zwei Jahre vielleicht Unsicherheit besteht, »die Megatrends haben weiterhin Bestand. Digitalisierung, Smart Mobility, Connectivity, Smart City, IoT, alles Anwendungen, die stark wachsen und Halbleiter werden in all diesen Bereichen gebraucht. Wenn man allein den Trend hin zu Batteriefahrzeugen betrachtet, dann multipliziert sich der Halbleiterbedarf. Wir sind sehr optimistisch, dass die Nachfrage auch in den nächsten Jahren bestehen bleibt.«
Auch Raphael Hrobarsch, European Regional & Automotive Sales Manager bei Diodes, ist der Meinung, dass der Bedarf erst einmal nicht runtergeht. Er verweist neben den bereits von Prats erwähnten Trends auch auf 5G. Alleine 5G-Telefone benötigen laut seiner Aussage statt fünf sieben PMICs, plus der Tatsache, dass die Anzahl der Basisstationen deutlich nach oben geht. Hrobarsch weiter: »Früher wurden Werkzeuge mit Kabel verkauft, heute sind diese Maschinen fast alle mit Akkus ausgestattet und damit werden sie zu einem großen Verbraucher von Halbleitern.
Ähnlich argumentiert Wiese: »Der Halbleiter-Content geht massiv nach oben, und das betrifft ja nicht nur die Autos, der geht überall hoch.« Prats verweist außerdem darauf, dass auch andere Industrien neben der Automobilindustrie verstärkt darauf achten müssen, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Prats: »Energie wird uns viel beschäftigen, und eine höhere Energieeffizienz in der Leistungswandlung geht nur über Halbleiter. Auch wenn wir mit diesem Thema momentan in der Automobilindustrie besonders aktiv sind, wird das auch in anderen Bereichen kommen, egal ob es um Fabriken oder zuhause geht.« Auch Hrobarsch ist überzeugt, dass Leistungshalbleiter in Zukunft stärker als die anderen Produktgruppen wachsen werden und erklärt abschließend. »Wir hatten in den letzten 20 Jahren bei den MOSFETs durchschnittlich ein Wachstum von zwei bis drei Prozent, jetzt sind wir bei zehn/zwölf Prozent. Dieses Wachstum wird auch so schnell nicht weniger, denn Leistungshalbleiter stecken in immer mehr Systemen.«
»Danke!«
»Dank an alle unsere Mitarbeiter, und das gilt sicherlich auch für unsere mitbewerbenden Firmen. Die Leistung, die unsere Mitarbeiter erbracht haben, um unsere Kunden mit Komponenten zu versorgen, war wahnsinnig groß. Aber auch an die, die sich darum gekümmert haben, unsere Fabs wieder in Schuss zu bringen, gilt der Dank«, erklärt Peter Wiese, Vice President und General Manager Automotive Sales EMEA von NXP Semiconductors.
Dem schließt sich Carsten Jauch, Vice President Sales Automotive Europe & General Manager Renesas Electronics EMEA, an und fügt hinzu: »Nach dem Feuer in unserer Naka-Fab war es beeindruckend zu sehen, wie viel Hilfe von allen Seiten geleistet wurde. Keiner, der Bilder von dem zerstörten Teil der Fab gesehen hat, hätte geglaubt, dass die Fab nach 1,5 Monaten wieder gelaufen ist.«