Ein Wearable gegen Krebs

Diagnose-Pflaster erkennt Organversagen per Ultraschall

20. Februar 2024, 14:15 Uhr | Ute Häußler
Der briefmarkengroße Klebe-Patch soll zunächst auf Intensivstationen nach der Transplantation von Organen zum Einsatz kommen, später ist die Wearable-Integration als Teil der dauerhaften Vitaldatenüberwachung zu Hause geplant.
© MIT

Ein kleiner Ultraschallaufkleber, der auf der Haut getragen wird, kann die Steifigkeit von Organen im Körperinneren überwachen. Der hauchdünne Sensor erkennt dank Piezoelektronik die Anzeichen von Leber- und Nierenversagen sowie den Fortschritt von Tumoren.

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Das tückische an Krankheiten wie Leberkrebs oder anderen Tumoren im Körper ist der schleichende Krankheitsverlauf. Bevor ein Patient Anzeichen spürt oder zum Arzt geht, ist seine Krankheit womöglich schon weit vorangeschritten - je später die Diagnose, desto schwieriger die Heilung. Ein neues Diagnose-Pflaster soll dies jetzt ändern.

Ein in dem Hautaufkleber integrierter Mini-Sensor schickt Schallwellen durch die Haut in den Körper. Die Wellen werden dort von den inneren Organen reflektiert und zurück zum Patch gesendet. Das Muster der reflektierten Wellen kann als Signatur der Organsteifigkeit gelesen werden, die das Diagnose-Pflaster messen und verfolgen kann.

»Mit dem Ultraschall-Aufkleber können wir Veränderungen der Steifigkeit kontinuierlich und über lange Zeit überwachen - das ist für die frühzeitige Diagnose von z.B. Organversagen von großer Bedeutung,« sagt Xuanhe Zhao, Professor für Maschinenbau am Bostoner Massachusettes Institut of Technology, wo das dünne Wearable entwickelt wurde. Der Sensoraufkleber erkennt subtile Veränderungen bei fortschreitenden Krankheiten, bei Ratten bemerkte er frühe Anzeichen von akutem Leberversagen.

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»Eine gesunde Leber ist so wabbelig wie ein weich gekochtes Ei, eine kranke Leber ähnelt eher einem hart gekochten Ei. Sobald die Leber versagt, nimmt die Steifigkeit des Organs um ein Vielfaches zu. Der Aufkleber kann diese Unterschiede tief im Körper erkennen und einen Alarm auslösen.«

Xuanhe Zhao, Professor of Mechanical Engineering am MIT

Organversagen früh erkennen

Der Aufkleber wird gerade für den Einsatz am Menschen angepasst und soll zunächst auf Intensivstationen für die Nachsorge von Organtransplantationen zum Einsatz kommen. Die ersten 72 Stunden nach dem Einsetzen eines neuen Organs sind am kritischsten, die Wissenschaftler versprechen sich von der kontiniuerliche Überwachung der Organwerte via Patch eine schnellere Reaktion bei Komplikationen. Unmittelbar nach einer Leber- oder Nierentransplantation analysiert das Klebe-Wearbale durchgehend, wie sich die Steifigkeit des betroffenen Organs im Laufe der Tage verändert.

»Wenn es eine frühe Diagnose von akutem Leberversagen gibt, können Ärzte sofort handeln, anstatt zu warten, bis der Zustand schwerwiegend wird.«
Erstautor Hsiao-Chuan Liu

Derzeit messen Kliniker die Steifigkeit von Organen mit Hilfe der Ultraschall-Elastographie - die Methode, bei der per Hand eine Sonde oder einen Stab über die Haut geführt wird, ähnelt der Ultraschallbildgebung. Die Sonde sendet Schallwellen durch den Körper, die dazu führen, dass die inneren Organe leicht vibrieren und Wellen zurücksenden. Die Sonde erfasst die induzierten Vibrationen eines Organs, und das Muster der Vibrationen kann in die Weichheit oder Steifheit des Organs übersetzt werden. Auf Intensivstationen wird die Ultraschallelastographie nach Transplantationen genutzt, um Anzeichen von Versteifung und potenziellem akutem Versagen oder Abstoßung zu erkennen.

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Noch ähnelt der Ultraschall-Aufkleber eher einer Studie. Er ist aber voll funktionsfähig und soll neben der Nutzung im Krankenhaus bald als geschlossenes Wearables für die Vitaldatenüberwachung zu Hause verfügbar sein.
© MIT

Piezoelektronik für Mini-Ultraschall-Sender

Der neuartige Aufkleber arbeitet nach dem selben Prinzip wie Ultraschallelastographie, nur auf Briefmarkengröße - der Chip misst gerade einmal 25 Quadratmillimeter. Trotz des kleinen Formfaktors wurde die Empfindlichkeit kommerzieller Handsonden beibehalten: Die 128 piezoelektrischen Wandler wandeln jeder ein eingehendes elektrisches Feld in ausgehende Schallwellen um.

»Wir haben fortschrittliche Herstellungstechniken verwendet, um kleine Wandler aus hochwertigen piezoelektrischen Materialien für die miniaturisierten Ultraschallaufkleber zu entwerfen«, sagt Xuanhe Zhao. Die Unterseite des Chips ist mit einem Klebstoff aus Hydrogel beschichtet. Das dehnbare Material aus Wasser und Polymer ermöglicht eine fast verlustfreie Übertragung der Schallwellen.

Tragbare Technologie gegen Krebs

»Die eigentliche Schönheit des Systems liegt darin, dass es jetzt tragbar ist und eine leichte, flexible und kontinuierliche Überwachung über einen längeren Zeitraum ermöglicht«, sagt Shrike Zhang, Professor für Medizin an der Harvard Medical School als externe Stimme. Patienten müssten weniger zu leiden und könnten nahezu in Echtzeit ein evntuelles Fortschreitens ihrer Krankheit erreichen. Gleichzeitig wird durch den Wegfall der Untersuchungen das Krankenhauspersonal entlastet.

Die Forscher wollen den Aufkleber aber auch außerhalb von Krankenhäusern einsetzen und arbeiten an einem geschlossenen Version als Patch-Wearable. Der Aufkleber soll ähnlich wie heutige Blutzucker-Patches zu Hause getragen werden und bei Patienten mit Leber- oder Nierenproblemen den Organzustand kontinuierlich und dauerhaft überwachen. Auch bei Krebs soll der Patch helfen: Tumore, die mit zunehmender Schwere verhärten, könnten so engmaschig überwacht werden.

Die MIT-Forscher glauben, dass die Technologie des Ultraschall-Aufklebers lebensrettend ist und ein weiterer Baustein der Standard-Vitaldatenmessung werden kann. So wie Smartwachtes bereits Herz- und Blutwerte überwachen könnten zukünftige Wearbales auch die Gesundheit weiterer wichtiger Organe im Körper zu erfassen und verfolgen.


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