Medizingerät des Monats »Vivally«

Wearable senkt Inkontinenz am Knöchel

27. Februar 2024, 7:00 Uhr | Ute Häußler
30 Minuten Nervenstimulation pro Woche reichen - die Therapie mit dem am Knöchel getragenen Wearable gegen Inkontinenz bei überaktiven Blasen kann zu Hause durchgeführt werden.
© Vivally

Das Wearbale »Vivally« sieht aus wie eine Orthese und wird am Knöchel getragen. Per Nervenstimulation beruhigt das FDA-zertifizierte Medizingerät eine überaktive Blase und wirkt so gegen Dranginkontinenz.

Diesen Artikel anhören

Patienten mit Dranginkontinenz fühlen einen plötzlichen, starken Harndrang - auch wenn die Harnblase nur wenig gefüllt ist. In der Folge entleert sich die Blase unkontrolliert. In Deutschland sind mehr als sechs Millionen Menschen von einer überaktiven Blase (ÜAB) betroffen. Die Häufigkeit in der erwachsenen Bevölkerung beträgt zwischen 11 bis 16 Prozent und steigt mit zunehmendem Alter an. Jede dritte Person über 80 leidet daran, Frauen und Männer sind etwa in gleichem Maße betroffen.

Bisher helfen bei dieser Form der Inkoninenz nur Beckenbodentraining oder Medikamente. Neuromodulation gilt auch als wirksam, muss aber ambulant oder über einen stationären Eingriff vorgenommen werden. Im Frühjahr kommt in den USA ein medizinisches Wearable auf den Markt, das die überaktive Blase per Neuromodulation zu Hause beruhigt.

Wöchentliche Neuromodulation zu Hause

Das Vivally-System wird am Knöchel getragen und ist eine wirkliche Neuerung für die Behandlung von Patienten mit Dranginkontinenz und Harndrang aufgrund einer überaktiven Blase. Das Wearable-System kombiniert eine äußerliche, nicht-invasive Neuromodulationstherapie zur Blasenkontrolle mit einer digitalen App zur Verhaltensunterstützung. Erstmals können Betroffene eine effektive Neuromodulationstherapie zu Hause durchgeführen - ohne Operation, Nadeln oder Medikamente.

Mithilfe proprietärer Algorithmen und elektromyografischer Sensoren erkennt und kalibriert das System die Energiemenge, die während der Stimulation an den Schienbeinnerv abgegeben wird, um eine maßgeschneiderte Echtzeit-Therapie im geschlossenem Regelkreis sicherzustellen. Für die einfache Anwendung muss nur für rund 30 Minuten pro Woche das orthesenähnliche Medizingerät eingeschaltet werden, eine wöchentliche Sitzung gilt als ausreichend.

Wie Neuromodulation gegen Inkontinenz wirkt

Therapeutische Neuromodulation ist als »die Veränderung der Nervenaktivität durch gezielte Stimulation bestimmter neurologischer Stellen im Körper, wie z.B. elektrische Stimulation« definiert. Seit den 1980er Jahren wird die Neuromodulationstherapie klinisch eingesetzt und kann dazu beitragen, Muskelfunktionen bei nervenbedingten Lähmungen wiederherzustellen oder die Symptome chronischer Erkrankungen zu lindern. Neuromodulation ist keine Heilung, bietet aber Linderung der Symptome und damit Lebensqualität.

Durch die gezielte Abgabe elektrischer Energie an Nervenbahnen stimuliert die Neuromodulation die afferenten Nervenfasern einer Nervenbahn und steuert so die Hirnsigale. Bei unwillkürliche Körperfunktionen wie Inkontinenz, die durch eine überaktive Blase verursacht werden, soll die Neuromodulation den Einfluss des Gehirns auf den Detrusormuskel der Blase verändern. In den letzten 20 Jahren konnten die ÜAB-Symptome bereits klinisch sehr erfolgreich behandelt werden, die Neuro-Therapie gilt als sichere und effektive Behandlungsoption.

Für die Neuromodulation der überaktiven Blase wurden mehrere Nerven-Gehirn-Bahnen beschrieben, darunter der sakrale Spinalnerv, der pudendale Nerv und der tibiale Nerv. Vivally konzentriert sich auf den tibialen Nerv.

Klinische Wirksamkeit dauerhaft bestätigt

Die Behandlung der Symptome einer überaktiven Blase mit Neuromodulation hat bisher auf Arztbesuchen oder invasiven chirurgischen Eingriffen beruht. Dadurch konnten weniger als 10 Prozent der Patienten, die sich behandeln lassen wollten, davon profitieren. Das bereits durch die FDA-zertifizierte Medizingerät Vivally bietet nun die Möglichkeit, bereits in einem frühen Stadium der Behandlung eingesetzt zu werden und somit die rund sechs Millionen Menschen zu erreichen, die jährlich wegen ihrer Symptome ärztliche Hilfe suchen.

In zwei klinischen Studien an mehreren Standorten wurde gezeigt, dass das Vivally-System die Anzahl der täglichen Toilettengänge, Inkontinenz- und Harndrang-Episoden signifikant reduziert und die Lebensqualität der Patienten verbessert. Zudem konnte eine Therapietreue von 88 Prozent erreicht werden. Die Symptomreduktion konnte bis zu einem Jahr lang nachgewiesen werden, selbst wenn die Therapiehäufigkeit abnahm.

Eigenkapital für die Markteinführung

Der Hersteller Avation Medical mit Sitz in Ohio hat bekannt gegeben, dass das Unternehmen in seiner Serie-C-Finanzierungsrunde eine Eigenkapitalfinanzierung von über 22 Millionen US-Dollar erhalten hat. Die Runde wurde von den neuen Investoren ShangBay Capital und Asahi Kasei angeführt, zu denen auch Angelini Ventures, JobsOhio Growth Capital Fund und andere gehören. Zusätzlich haben auch bestehende Investoren wie Arboretum Ventures, Tonkawa, Medtronic und Avestria Ventures weitere Investitionen getätigt. Die Mittel aus dieser Finanzierungsrunde werden für die Markteinführung des Vivally-Systems in den USA verwendet.


Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Case Study Mobile Medizingeräte

Digitialer Visitenwagen mit lüfterloser Stromversorgung

Diagnose per Videoauswertung

Künstliche Intelligenz erkennt Herzfehler bei Neugeborenen

Automatisierte MS-Diagnose

Neue Philips-Kooperation integriert KI in MRT-Geräte

Patientensicherheit in Echtzeit

Die Bedeutung elektrischer Steckverbinder in der Medizinrobotik

Delo erweitert Portfolio

Neuer Klebstoff für Biosensoren in der Medizinelektronik

Digitales Netzwerk als Messe-Erweiterung

Die neue MedtecLIVE Community ist gestartet

Einfache PACS-Integration

Diagnose-KI gegen Prostata-Krebs bekommt MDR-Zertifizierung

Veranstaltung »Medtec-Summit im Fokus«

Bayern Innovativ zeigt klinische Robotik beim DLR

STMicroelectronics

Sichere Wireless-Mikrocontroller für smarte Medizingeräte

Rechen-Power für die Gesundheit

Zehn neue KI-Module für die Medizingeräte-Entwicklung 2024

Neue Einordnung der Aorta

Die Hauptschlagader wird eigenständiges Organ

Hoffmann + Krippner

»Tactile Key« bringt neue Funktionen für kapazitive Tasten

Wendepunkt im 3D-Bioprinting

3D-Druck von funktionellem Gewebe verändert regenerative Medizin

Medizingeräte für die Notfallversorgung

Medtronic will keine Beatmungsgeräte mehr herstellen

Ein Wearable gegen Krebs

Diagnose-Pflaster erkennt Organversagen per Ultraschall

Chirurgie im Weltraum

Ärzte steuern erste Roboter-OP auf der ISS von der Erde

Mit XR-Brille in den OP

»Die Apple Vision Pro revolutioniert AR/VR in der Chirurgie«

KI checkt Glukosespiegel am Steuer

Autos messen Blutzucker beim Fahren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Componeers GmbH

Weitere Artikel zu Medizintechnik

Weitere Artikel zu eHealth / Medizin 4.0

Weitere Artikel zu Neurostimulatoren