Früher bestand die Supply-Chain im Automotive-Bereich im Wesentlichen aus OEMs, Tier-Ones und Tier-Twos; der Tier-Two sprach mit dem Tier-One, der Tier-One interagierte mit dem OEM. Lowe: »Die Elektrifizierung wird sicherlich eine der größten Veränderungen in der Supply-Chain zur Folge haben.« Das hat viele Gründe. Fällt beispielsweise der Verbrennungsmotor weg, fehlt den OEMs eine Domäne, mit der sie sich über viele Jahre differenzieren konnten. Jetzt muss sich erst einmal zeigen, wie sich der OEM in Zukunft vom Wettbewerb differenzieren kann, denn E-Motor, Inverter und Batterie gehören nicht unbedingt zur Kernkompetenz der OEMs. Fetzer weist beispielsweise darauf hin, dass in Zukunft die Batteriehersteller zu neuen Tier-Ones werden. Fetzer weiter: »Die Hersteller von Leistungshalbleitern werden in Zukunft ebenfalls eine ganze andere Rolle in der Automobilindustrie spielen als bisher.«
Wird ein Unternehmen wie Infineon also langfristig zum Tier-One? Schiefer verneint hier ganz klar und betont, dass das Unternehmen nicht zum Konkurrenten der eigenen Kunden werden wird. Er erklärt außerdem, dass heute zwar durchaus direkte Gespräche zwischen OEM und Tier-Two stattfinden, dass das aber nicht automatisch heißt, dass der Tier-One außen vor bleibt. Denn es ist durchaus auch möglich, dass der OEM, nachdem er sein Know-how mit dem Tier-Two in einem Segment aufgebaut hat, dann wieder auf seinen Tier-One zurückgreift. Darüber hinaus ist Grasshoff der Meinung, dass die oben beschriebene Supply-Chain – OEM, Tier-One, Tier-Two und die damit verbundene Gesprächskette – auch regional unterschiedlich ist. In China sei es beispielsweise schon seit langem durchaus üblich, dass der OEM direkt mit dem Tier-Two interagiert.
Wer also in Zukunft mit wem redet und wer bei E-Fahrzeugen was genau liefern wird, muss sich noch zeigen. Aber in einem Punkt ist heute schon klar, dass sich etwas grundlegend ändert: Die Versorgungssicherheit wird wichtiger. Es kann sich wahrscheinlich keiner daran erinnern, dass es zu einer spürbaren Allokation auf der mechanischen Seite kam und Fahrzeuge deshalb nicht ausgeliefert werden konnten. »Aber bei den Batterien wissen wir heute schon, dass die Versorgung knapp ist«, so Schiefer. Und das könnte auch bei der Leistungselektronik der Fall sein, »dementsprechend wird die Security of Supply in Zukunft eine viel größere Rolle spielen«, ist sich Schiefer sicher.
Rollt China den E-Mobilitäts-Markt auf?
Drei der fünf größten Smartphone-Hersteller kommen mittlerweile aus China, ein europäischer Anbieter ist nicht mehr vorhanden. Wenn jetzt immer davon geredet wird, dass das Fahrzeug zum Smart-Phone auf Rädern wird, besteht die Gefahr, dass in Zukunft China auch diesen Markt dominieren wird? Nach Ansicht der Podiumsdiskussionsteilnehmer ist dies der Fall. Und sie sind sich auch darin einig, dass das Wachstum in China allen Beteiligten, auch nicht-chinesischen Anbietern, Vorteile bringt.
Fetzer: »China ist sicherlich ein Konkurrent, aber in Europa verstärken wir unsere Anstrengungen und wenn wir die Investitionen hochhalten, bin ich zu 100 Prozent überzeugt, dass wir konkurrenzfähig bleiben.« Ähnlich argumentiert auch Lowe und verweist auf die Tatsache, dass in Europa inzwischen deutlich mehr Geld in die Elektrifizierung gesteckt wird als in China, wobei er schon den Vergleich mit Smartphone auf Rädern für unsinnig hält, denn die Anforderungen an die Zuverlässigkeit eines Fahrzeugs sind überhaupt nicht vergleichbar mit denen an ein Smartphone.
Klar, die Elektromobilität hat den Markt verändert. Über Jahrzehnte hat sich die Anzahl der Anbieter nicht groß geändert. Die E-Mobilität bietet jedoch die Möglichkeit, dass auch Neueinsteiger im Automotive-Markt Fuß fassen können. Tesla ist nur ein Beispiel dafür. Aber Tesla zeigt auch, dass es gar nicht so einfach ist, Fahrzeuge in hohen Stückzahlen zuverlässig zu produzieren. Aus der Sicht von Schiefer kommt noch ein weiterer Faktor hinzu, der dagegenspricht, dass in Zukunft eine Region den Automotive-Markt beherrschen wird: die geopolitische Lage. »Außerdem haben die europäischen und amerikanischen OEMs ihre Lektion gelernt«, davon ist Grasshoff überzeugt.