Die AFIR-Verordnung

Chancen eines europaweiten E-Mobilitätskonzepts

24. September 2025, 13:45 Uhr | Autor: Johannes Sell, Redaktion: Irina Hübner
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Mit dem Inkrafttreten der EU-Verordnung zur Alternative Fuels Infrastructure Regulation (AFIR) steht die elektromobile Ladeinfrastruktur in Europa vor einem Wandel. Ziel der Regulierung ist es, Elektromobilität auch grenzüberschreitend zuverlässig, transparent und nutzerfreundlich zu gestalten.

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Bis Ende dieses Jahres sollen so beispielsweise entlang der TEN-T-Hauptverkehrsachsen alle 60 km Ladepunkte mit mindestens 150 kW Leistung verfügbar sein. Beim Schwerlastverkehr sind 350 kW vorgesehen, die es bis spätestens 2030 zu erreichen gilt. Ladeinfrastrukturbetreiber wie Mer, sogenannte Charge Point Operator (CPO), stehen deshalb unter dem akuten Zugzwang, strategische Entscheidungen neu zu verhandeln, um allen Regularien bestmöglich gerecht werden zu können.
Herausforderungen im Spannungsfeld von Regulierung und Realität

Die AFIR bringt für CPOs nämlich eine Reihe von Verpflichtungen mit sich, die auch bestehende Prozesse betreffen. Besonders der Netzanschluss bleibt hier eine der größten Hürden. Gerade im ländlichen Raum oder entlang von Autobahnen hängt der erfolgreiche Aufbau leistungsstarker Ladepunkte stark von der Qualität der Zusammenarbeit mit Netzbetreibern ab. Ein Faktor, den CPOs nur begrenzt beeinflussen können und einer der größten Engpässe beim Ausbau von Ladeinfrastruktur. Hinzu kommen umfassende technologische Nachrüstpflichten für bestehende Standorte. Offene Bezahlverfahren, transparente Preisinformationen und die Kompatibilität mit ISO 15118 müssen umgesetzt werden, was Ressourcen bindet und eine Neubewertung der Wirtschaftlichkeit bestehender Infrastrukturen erforderlich macht.

Erschwerend wirkt sich zudem die rechtliche Fragmentierung aus. Die Harmonisierung der AFIR mit nationalem Recht, etwa der deutschen Ladesäulenverordnung oder den unterschiedlichen Fördermechanismen in Österreich und Deutschland, gestaltet sich komplex und teils noch unklar und widersprüchlich. Nicht zuletzt deshalb entstehen auch auf technischer Ebene weitere Anforderungen. So müssen neben einem stabilen Backend auch Echtzeitinformationen, Roaming-Transparenz und AFIR-konforme Reporting-Standards gewährleistet werden für den zuverlässigen und regularienkonformen Betrieb.

Chancen für Qualitätsanbieter

So groß die Herausforderungen auch sind, eröffnet die AFIR zugleich konkrete Entwicklungs- und Positionierungschancen für Ladeinfrastrukturbetreiber. International aufgestellte CPOs werden in die Lage versetzt, ihre Skalierungsvorteile durch bereits vorhandene ISO-15118-Strategien, starke Partner im Energiesektor und bestehende – TEN-V-relevante – Standorte auszuspielen und die anstehende Marktkonsolidierung aktiv mitzugestalten.

Auch Anbieter, die früh genug auf Plug & Charge, transparente Preise und einfache Bezahlprozesse setzen, können sich über das angebotene Kundenerlebnis differenzieren und nachhaltig Vertrauen und Bindung schaffen. Förderprogramme wie KsNI (Klimaschonende Nutzfahrzeuge und Infrastruktur) in Deutschland oder die E-Mobilitätsstrategie in Österreich eröffnen zusätzliche finanzielle Spielräume, um den Ausbau AFIR-konformer Infrastruktur gezielt voranzutreiben. Besonders das Segment des Schwerlastverkehrs gilt hierbei als Wachstumsmarkt. In diesem Segment wird die Ladeinfrastruktur regulatorisch klar priorisiert und CPOs, die frühzeitig in HPC-Standorte investieren, haben die Möglichkeit, sich eine aussichtsreiche First-Mover-Position zu sichern. 

Es geht um mehr als Regulierung

Die AFIR adressiert zentrale Probleme des europäischen Lade-Ökosystems, indem sie für mehr Interoperabilität sorgt, durch Ad-hoc-Zahlungsmöglichkeiten mehr Freiheit für Nutzende bietet und Betreiber zu umfassender Daten- und Preistransparenz verpflichtet. Dennoch ist die EU-Verordnung kein Allheilmittel.

Während der Schwerpunkt klar auf den Hauptverkehrsachsen liegt, bleibt etwa die Ladeinfrastruktur an Urlaubszielen, in Ferienanlagen oder auf Campingplätzen weitgehend ungeregelt. Gerade dort entscheidet sich jedoch häufig, wie komfortabel länderübergreifende Elektromobilität von EU-Bürgern tatsächlich wahrgenommen wird. Für Ladeinfrastrukturbetreiber ergibt sich daraus ein zusätzliches Handlungsfeld, das touristische Regionen stärker in die Mobilitätswende einbindet und zugleich neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnet.

Für CPOs wie Mer bedeutet die AFIR daher zweierlei: kurzfristig steigenden Druck durch regulatorische Pflichten, aber langfristig auch die Chance, sich als Qualitätsanbieter mit zukunftssicherer Infrastruktur im europäischen Markt zu etablieren. Entscheidend wird sein, die Anforderungen nicht bloß reaktiv umzusetzen, sondern sie proaktiv in die eigene Produktentwicklung, Standortstrategie und Partnerpolitik einzubetten.

 


Der Autor

Johannes Sell
ist Product Development Manager Public bei Mer.


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