Der Megatrend Medizinrobotik verändert die Chirurgie grundlegend. Big Data, KI und neue Goldstandards treiben die Transformation im OP. In der Entwicklung jedoch klafft eine riesige Lücke zwischen Industrie und Klinik. Ideen und Ansätze zum Brückenschlag brachte der Workshop »Klinische Robotik«.
Lange Schlangen am Eingangstor des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt: Rund 85 Teilnehmende kamen am 19. März zum Workshop »Klinische Robotik« von Bayern Innovativ nach Wessling mit Besuch des Miro Innovation Lab. An der deutschen Geburtsstätte der klinischen Robotik begrüßten Prof. Dr. Alin Albu Schäffer, Leiter des DLR-Instituts für Robotik und Mechatronik, Dr. Jörg Traub, Leiter Gesundheit Bayern Innovativ und Dr. Manfred Wolter, Abteilungsleiter Innovation, Forschung, Technologie, Digitalisierung am Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, die im neuen Laborgebäude so zahlreich erschienenen Gäste aus Wirtschaft, Wissenschaft und Klinik.
Bereits seit Anfang der 2000er wird in Wessling an MedTech-Robotern geforscht, die Liste der Ausgründungen wie Kuka‘s LBR Med, Franka Emika, Medtronic, Agile Robotics, Roboception und Sensodrive liest sich wie ein Who is Who der deutschen Medizin-Robotik. Und dennoch hakt es laut Prof. Schäffer am Technologietransfer in die herstellenden Unternehmen und folgend den klinischen Alltag. Allein die Resonanz auf die Netzwerk-Veranstaltung machte deutlich, wie groß der Bedarf der Forschung, der Ärzte und auch der Industrie für einen Austausch und Kooperationen ist. »Innovation klappt nur mit Partnerschaften,« hob Dr. Traub hervor. Die größte Herausforderung sei es, hochkomplexe Technologie-Lösungen tatsächlich auf den Markt zu bringen.
Das erste Panel des Tages veranschaulichte aus Sicht der Ärzte, wie schwierig und langwierig der Technologietransfer tatsächlich ist. Prof. Dr. Dr. med univ. Arkadiusz Miernik, Geschäftsführender Oberarzt und Leiter der Sektion Urotechnologie am Universitätsklinikum Freiburg, beschrieb als »Enthusiast der chirurgischen Robotik« u.a. dass die Urologie schon sehr weit robotisch betrieben wird und weiter ein »Megatrend« sei. Alle 16 Sekunden wird weltweit ein robo-chirurgischer Eingriff durchgeführt, angeführt vom Da Vinci-System. Für die Zukunft sieht er mit Hinblick auf Ärzte- und Schwesternmangel automatisiertes Wundmanagement und assistierte Solo-Operationen als Aufgabe der medizinischen Roboter. »Die Akzeptanz ist da, heute geht es um Exzellenz.«
»Robotik ist sehr teuer, sie muss ihren Nutzen beweisen,« |
---|
meint dagegen Dr. med Claudio Glowalla, Oberarzt der Klinik für Orthopädie und Sportorthopädie und Forschungsleiter Roboter-assistierte Endoprothetik am Klinikum rechts der Isar der TU München. |
Zwar könnten beispielsweise Kniegelenke heute sehr sicher und komplikationsfrei per Roboter ersetzt werden, die Kosten für Anschaffung, Wartungsverträge und Einmalinstrumente spiegelten jedoch kaum die Erstattungssätze wider. Zudem seien hinsichtlich des Datenschutzes und der vielfältigen Schnittstellen klinische Partnerschaften mit der Industrie unerlässlich. »Wir müssen von Eminenz zu Evidenz kommen,« so Dr. Glowalla. Für ihn sind die Roboter Teil der Digitalisierung der Medizin; sie brächten ihren Nutzen vor allem durch die von ihnen gelieferten »objektiven Messwerte der digitalen Datenerfassung im Operations- und Heilungsprozess«.
Der Wirbelsäulen-Spezialist PD Dr. Med. Klaus Schnake sieht Cobots als »dritten Arm des Chirurgen«. Der Chefarzt des Malteser Waldkrankenhauses Erlangen setzt beim Einsatz von OP-Robotern auf die Präzision und vorhersagbare Ergebnisse, so ließen sich via Robotik Fehllagen beim Einsetzen von Schrauben von 30 % auf bis zu 3 % senken. Für Dr. Schnake gewinnt damit auch die KI-basierte OP-Planung an Relevanz, da insbesondere bei patientenindividuellen Implantaten das OP-Ergebnis optimiert werden kann. Doch es sei ein langer Weg: »Evidenz braucht ca. 17 Jahre in den klinischen Standard,« bemängelt Schnake die fehlende Kassenleistung für Robotik-Eingriffe in der Endoprothetik und Vorbehalte von Chirurgen. »Der Facharzt-Standard wird als ausreichend angesehen«. Das Waldkrankenhaus ist jedoch gerade wegen der roboterassistierten Knie-OPs auch wirtschaftlich erfolgreich: In Erlangen stiegen die Patientenzahl und der Umsatz jeweils um 15 Prozent dank der hervorragenden Roboter-Reputation und besseren Heilung. Die Robotik-Entwicklung müsse sich daher laut Schnake auf »messbare, geldwerte Vorteile fokussieren,« um eine Chance im deutschen Gesundheitssystem zu haben.
Der Nutzen für den Patienten steht für Dr. med. Florian Sommer, dem Geschäftsführenden Oberarzt der Klinik für Allgemein- Viszeral- und Transplantationschirurgie am Uniklinikum Augsburg im Mittelpunkt des Robotereinsatzes. Auch wenn die Evidenz noch hinterherhinke, schätzt er, dass perspektivisch bis zu 60 % aller Kolon- und Rektal-Operationen robotergestützt durchgeführt werden. »Die hochauflösende 3D-Visualisierung beeinflusst nicht das Überleben des Patienten,« so Dr. Sommer, wohl aber «eine bessere Qualität der Tumorresektion, geringere OP-Traumata und eine verbesserte Erholung«. Seiner Einschätzung nach wird die Robotik sich insbesondere bei komplexen Indikationen durchsetzen, u.a. getrieben durch 5G / 6G und KI-Technologie.
Die Ärzte sind sich einig, dass der klinische Mehrwert viel stärker erforscht werden müsse. Kürze Operations- und Liegezeiten sowie weniger Personal- und Ressourceneinsatz sind klinische Pluspunkte für die Robotik, makro-ökonomisch könnten mit verbesserten Knie- und Hüft-Operationen deutlich mehr Patienten wieder dauerhaft gesund und damit arbeitsfähig werden.
Im zweiten Panel des Tages erörterten Prof. Dr. Nassir Navab, Leiter des Lehrstuhls für Computer Aided Medical Procedures & Augmented Reality an der Technischen Universität München, Prof. Dr. Franziska Mathis-Ullrich, Professorin für Surgical Robotics, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Julian Klodmann, wissenschaftlicher Leiter des Miro Innovation Lab am DLR und Prof. Dr. Nicolas Padoy, Professor für Computer Science und Leiter der Forschungsgruppe Computational Analysis and Modeling of Medical Activities am IHU Strassbourg den Status Quo und die Perspektiven aus Wissenschaft und technologischer Forschung. Letzterer verwies auf die immense Wichtigkeit (und das Fehlen) von Daten, insbesondere mit Hinblick auf Künstliche Intelligenz: »Mit einem Mehr an Daten kann KI richtig reagieren, auch in Nicht-Standard-Situationen«.
»Robotik in der Medizin ist Computer Vision, Kinematik, Kontrolle, Antriebe und Anatomie,« fasst Prof. Mathis-Ullrich die vielfältigen Forschungsfelder zusammen, Machine Learning und KI unterstützen dabei bereits kräftig den Weg zu intuitiven Roboterassistenzen, die für Ärzte erklärbar bleiben. Diese Vielfalt bedinge eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, sie mahnt die Wissenschaft, ihre Komfortzone zu verlassen und für die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Kommunikation zu gehen. Forschungsprojekte wie »FoNeRo« für nahtlose und ergonomische Integration der Robotik in den klinischen Arbeitsablauf und »Koala Grasp«, ein lernendes robotisches Assistenzsystem für chirurgische Greif- und Halteaufgaben könnten die Möglichkeiten der diversen in der Robotik vereinten Technologien aufzeigen, um Aufgaben von Chirurgen zu übernehmen. Am Ende stehen aber eben keine Produkte, so Prof. Mathis-Ulrich: »das bleibt Aufgabe der Industrie.«
Was kann medizinische Robotik zur Verbesserung der Patientenversorgung beitragen? »Heute, nicht viel,« räumt Dr. Joachim Haes vom Da Vinci-Hersteller Intuitive Robotics. Aber sie sei »die Basis für morgen« und könne helfen OP-Dokumentation und Chirurgie über Standardisierung transparent zu machen. Er mahnt das interdisziplinäre Dreieck aus Ärzten, Ingenieuren und Anwendern zur Zusammenarbeit an.
Einen Weg, dieses Dreieck zu schaffen und für innovative Medizinrobotik-Entwicklung zu nutzen, zeigen Dr. Ing. Cyrill von Tiesenhausen von B. Braun New Ventures und Daniel Ostler-Mildner von Karl Storz Venture One. Die beiden Traditionsfirmen der Medizintechnik haben für die Transformation zu Medizin-Technologieunternehmen Start-Ups ausgegründet, die mit agilen Entwicklungsmethoden, kurzen Feedbackschleifen und vor allem »user centered« arbeiten. So gibt es bei B. Braun New Ventures Simulations-OPs im Büro, wo gemeinsam mit Ärzten industrielle Forschung, Testing und sofortige Auswertung stattfinden. »Ingenieure in den OP,« sagt auch Ostler-Mildner. »Das, was die Technik kann, ist nicht unbedingt das, was Ärzte wollen.« Für ihn sind Mock-Ups, klinisches Testing und UX so essentiell wie die Entwicklern-Nähe zur Klinik und auch den Krankenschwestern. Für ihn müssen Medizintechnik-Unternehmen ihr R&D-Abteilungen »für die letzte Meile« bereit machen - »von der Werkbank ans Krankenbett«.
Dr. Martin Bauer von Smith & Nephew Robotics bestätigt: »Die Entwicklung obliegt der Industrie«. Dennoch helfe insbesondere bei medizin-robotischer Software eine frühe Translation aus der Forschung und universitäre Kollaboration. Es ginge dann vielmehr darum, wie Gewinne verteilt werden und wie die IP unter den Akteuren abgesichert werde, gegebenenfalls auch mit höheren Ausgleichszahlungen an die Universitäten.
Bayern ist für Dr. Bauer ein gutes Beispiel für die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Medizinrobotik. »Elektronik, Mechanik, Optik, Software und KI – alles an einem Ort, München und Bayern sind quasi ein One-Stop-Shop.« Und auch wenn Da Vincis Augen aus Baden-Württemberg kommen, sei der Medizinrobotik-Markt eben nicht lokal, es werden weltweite Stückzahlen benötigt. Klinisch relevant seien lediglich die unterschiedlichen Anforderungen der Ärzte in den einzelnen Ländern und Regionen. Auch die MDR ist für den Software-Experten »kein Show-Stopper mehr«. Zwar habe es die regulatorische Triage – gerade für KMUs – schwerer gemacht, aber jetzt sieht er keinen hindernden Einfluss mehr auf Innovationen aus Deutschland und Europa.
»Aktuatorik ist nicht interessant, Sensorik, Daten und Vernetzung sind dagegen relevant,« schließt Dr. Bauer. Er hofft auf ein medizinisches Gaia-X für einen neutralen Gesundheitsdatenzugriff auf breiter Basis und plädiert für ein »Recht an Daten statt Datenschutz«, um die allgemeine Versorgung zukünftiger Patienten damit zu verbessern.
Die abschließende Podiumsdiskussion unterstrich die zentrale Rolle der medizinischen Robotik als Megatrend in der Chirurgie. Die Kliniker forderten vor allem einen »Need Pull statt Technologie-Push«, Unternehmen sollten ihre Entwickler auf Ärzte-Kongresse schicken und über Machbarkeitsstudien, Doktorandenstellen und Post-Doc-Arbeiten auch frühzeitig mit der Forschung zusammenarbeiten – und so die Lücke zwischen klinischer Forschung und MedTech-Entwicklung im Unternehmen schließen.
»Momentan wird viel Fördergeld versenkt, weil Forschung nie in der Praxis ankommt,« bedauert Prof. Miernik die aktuelle Lage. Aus seiner Sicht müssten auch Kliniken aktiv Firmen ansprechen und wirtschaftliche Verantwortung übernehmen. Als Beispiel nannte er langwierige CE-Zulassungen: »Am Ende geht es darum, ob der der Arzt an die Innovation und damit auch den wirtschaftlichen Erfolg glaubt oder nicht«.
Für fruchtbare Kooperationen müssen »wir an den Schnittstellen arbeiten,« meint Dr. Haes. Julian Klodmann setzt auf den Austausch auf Events wie Fachmessen und Kongressen, auch sollten MedTech-Unternehmen den klinischen Nutzen von vornherein mit Medizinern validieren. Axel Weber, VP Medizinische Robotik bei Kuka, setzt auf den gegenseitigen Support und gemeinsame Visionen zwischen Klinik, Forschung und Industrie – auch müssten die entwickelten Systeme skalierbar sein, um effektiv und wirtschaftlich erfolgreich in den Kliniken zum Einsatz zu kommen.
Die Diskussionen betonten die Wichtigkeit einer verbesserten Datenbasis und einer verstärkten Nutzung von Datenanalytik, um die Patientenversorgung zu verbessern. Es wurde deutlich, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen Kliniken, Forschung und Industrie sowie eine Anpassung der gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen notwendig sind, um Fortschritte in der medizinischen Robotik zu erzielen. Die Teilnehmer honorierten den Workshop und seinen Netzwerk-Charakter sehr und sahen darin einen Startschuss für ein verbessertes »Miteinander« der Akteure aus Klinik, Forschung und Industrie in der Medizinrobotik-Entwicklung, speziell am Standort Baynern.