Medtech im Gespräch | Sebastian Hilke

»Innovation nicht nur fördern, sondern zur Marktreife bringen«

22. Mai 2025, 13:00 Uhr | Ute Häußler
Sebastian Hilke hat zum 1. Mai 2025 von Dr. Jörg Traub den Bereich Gesundheit bei Bayern Innovativ übernommen.
© Bayern Innovativ / Componeers

Sebastian Hilke ist neuer Leiter Gesundheit bei Bayern Innovativ. Wir sprechen mit ihm über die Elektronische Patientenakte, den Status Quo der bayerischer Medizintechnik und der Integration digitaler Technologien sowie seine Ziele für die Weiterentwicklung der bayerischen Gesundheitswirtschaft.

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Herr Hilke, erstmal »Herzlichen Glückwunsch«! Wie waren die ersten Tage?

Es ging gleich richtig los! Der Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee war gleich in der ersten Woche ein sehr spannender und wichtiger Austausch – denn ganz klar gehört die Zukunft der Gesundheitsversorgung auf die große Bühne gesellschaftlicher Transformation.

Ein brandaktuelles Thema ist auch die Elektronische Patientenakte. Wir betreuen als Bayern Innovativ die Telematik-Infrastruktur Modellregion hier in Franken und da gibt es Einiges zu tun. Die Hinweise vom Chaos Computer Club zur Sicherheit der ePA sind wichtig, um die Akte noch sicherer zu machen. Im Juni steht dann die HIMSS Europe in Paris an – das ganze Thema Gesundheitsdaten, der European Health Data Space nimmt gerade deutlich an Fahrt auf – dies weiter zu begleiten, darauf freue ich mich schon sehr.

Wie schätzen Sie den aktuellen Stand der ePA ein?

Aktuell wird die ePA leider teilweise noch unterschätzt, dabei bietet sie perspektivisch einen großen Mehrwert für die Patienten und eine aufgeklärtere, ja souveräne Versorgung. Die Patienten werden mehr involviert und bekommen einen besseren Überblick über die Dokumentation und die eigenen Befunde. Die Medikationsliste verhindert bereits jetzt bisher übersehene Wechsel- und Nebenwirkungen. Ein Knackpunkt sind jedoch die überhöhten Erwartungen.

Was meinen Sie konkret?

Die Mehrwerte der ePA sind da, aber grundsätzlich gesunde Menschen, die vielleicht nur einmal im Jahr zur Impfung oder zum Checkup gehen, werden diese nicht direkt bemerken. Chronisch Kranke und andere Patienten, die sehr oft und zu verschiedenen Ärzten müssen, werden die Vorteile einer zentralen digitalen Patientenakte dagegen recht schnell spüren. Bei gesunden Menschen vergehen möglicherweise Jahre bis zu einem »Aha-Moment«.

Und natürlich ist die Sicherheit wichtig: die entsprechenden Lücken müssen und werden adressiert und behoben. Vieles wird medial leider sehr überspitzt dargestellt, wir sind da auf einem guten Weg. Dazu kommt, dass wir aktuell eine eher rudimentäre Version der ePA nutzen: Wir legen PDFs ab, wir haben die Medikationsliste sowie Befunde und Arztbriefe. Die richtig spannenden Funktionen werden wir in der Zukunft sehen, wenn Schritt für Schritt weitere Versorger eingebunden werden und wir die Impfpässe, Untersuchungshefte, Mütterpässe und weitere strukturierte Informationen inkludieren. Damit wird der Mehrwert für alle Seiten wirklich begreifbar. Momentan haben wir eine sehr gute Grundbasis.

Wie steht es aus Ihrer Sicht aktuell um die bayerische Medizintechnik und Gesundheitswirtschaft?

Bayern steht im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr gut da. Wir haben gerade in der Medizintechnik viele innovative KMU hier sitzen, zahlreiche weltweit tätige Unternehmen sind im Freistaat aktiv und rund um München gibt es eine sehr spannende Startup-Szene, wo insbesondere Richtung Digital Health viel vorangetrieben wird – da können wir uns durchaus mit Berlin messen.

Unser Pluspunkt in Bayern ist ein sehr starkes Netzwerk und Ökosystem; die Akteure kennen, unterstützen und bereichern sich gegenseitig – dieses Zusammenspiel stützt die Versorgung massiv, begleitet die Prozesse in Krankenhäusern hautnah – und macht schließlich die ganzen Innovationen erst möglich. Aber der Schritt in die Realität, die Systeme wirklich zu integrieren, an bestehende Prozesse anzudocken – Stichwort Schnittstellen, Standards, Interoperabilität – da wird durch fehlende verbindliche regulatorische Vorgaben leider auch viel wieder ausgebremst.

Eine Herausforderung sind nach wie vor die Zulassungsprozesse. Klinische Studien und Zertifizierungen sind immer noch zu langwierig und viel zu komplex. Hier setzen wir uns Richtung Bundesebene für ein einfacheres, verlässlicheres Rahmenwerk ein. Es dauert Stand jetzt einfach zu lange, bis Studien aufgegleist sind, bis Ethikvoten kommen, bis Prüfungen zum Datenschutz durch sind und so weiter. Da müssen wir deutlich schneller werden, andere Länder schaffen das unter den gleichen Voraussetzungen auch.

Was sind Ihre Ziele als neuer Leiter Gesundheit bei Bayern Innovativ?

Mein Hauptziel ist es, die Forschung und die unternehmerische Innovation effektiv zusammenzubringen. Wir können hier bereits in frühen Entwicklungsphasen ansetzen – besonders spannend sind dabei neue Technologien wie die Künstliche Intelligenz, neuartige Materialien in der Medizintechnik und auch der 3D-Druck, der sowohl der Industrie wie auch der klinischen Versorgung spannende Möglichkeiten eröffnet – von personalisierten Implantaten bis hin zum Druck von Biogewebe.

Entscheidend ist für mich, dass wir diese Innovationen nicht nur fördern, sondern sie auch auf ihrem Weg zur Marktreife begleiten. Das übergeordnete Ziel all unserer Bemühungen muss sein, einen spürbaren Mehrwert für die Patienten zu schaffen und mit Innovationen wirklich die Versorgungsqualität zu verbessern.

Ganz persönlich möchte ich meine Expertise in der klassischen Medizintechnik vertiefen. Mein Hintergrund liegt primär im Digitalbereich, aber genau diese beiden Themen verschmelzen über die voranschreitenden Technologien mehr und mehr. Ich sehe ein sehr großes Potenzial mit Hinblick auf eine Digitalisierung der Medizintechnik und möchte diesen Bereich bei Bayern Innovativ weiter ausbauen.

Mittelfristig kann ich mir vorstellen, auch die Pharma wieder stärker in unsere Aktivitäten einzubeziehen. Zunächst gilt es, interne Kompetenzen dazu aufzubauen. Aus dem ursprünglichen Forum Medtech Pharma existieren bereits Ansätze, die wir wiederaufnehmen können. Im Zuge des oben beschriebenen Verschmelzens von Medizintechnik und Digital Health nimmt auch die Pharma eine wichtige Rolle in der integrierten Versorgungskette ein. (uh)

Der berufliche Werdegang von Sebastian Hilke

Sebastian Hilke, Jahrgang 1981, startete zunächst mit dem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens, bevor er sich für ein BWL-Studium mit Schwerpunkt Gesundheitsmanagement an der FAU Nürnberg entschied. Sein Interesse galt insbesondere den digitalen Gesundheitsthemen und er verfasste eine der damals ersten Diplomarbeiten zum Status Quo der »Telemedizin in Deutschland«.

Nach dem Abschluss stieg Hilke im Projektmanagement eines Telemedizinunternehmens ein und leitetet dort ein Kooperationsprojekt mit IBM, das in Südtirol die Betreuung älterer Menschen über Smart-Home-Technologien untersuchte. Seine Karriere führte ihn anschließend zur Bayerischen-Telemedizin-Allianz und von dort weiter zum Medical Valley, wo er die Themenplattform Digitale Gesundheit / Medizin am Zentrum Digitalisierung Bayern leitete. Nach einem Sabbatical kehrte Hilke 2021 in seine Position beim mittlerweile fusionierten, neuen Arbeitgeber Bayern Innovativ zurück. Bis April 2025 verantwortete er dort den Bereich Digitale Gesundheit und wirkte u.a. federführend am TEAM-X-Projekt sowie der TI-Modellregion Franken mit.


 

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