Wie KMU die EU-Richtlinie umsetzen

»Der EU Data Act ist keine Datenspende«

11. November 2025, 9:30 Uhr | Ute Häußler
Gerd Ohl ist Geschäftsführer des mittelständischen EMS-Dienstleisters Limtronik.
© Limtronik

Der EU Data Act sorgt im Mittelstand wie bei Limtronik für Unsicherheit und hohe Kosten – zugleich eröffnet er neue Wege in die Digitalisierung. Wir sprechen mit Geschäftsführer Gerd Ohl, wie der EMS-Dienstleister künftig Daten gezielt monetarisieren und KI-basierte Geschäftsmodelle entwickeln will.

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Herr Ohl, wie ist der Status des EU Data Acts bei Limtronik?

Aktuell ist der EU Data Act unser Kernthema und sorgt für viel Nervosität. Limtronik ist ein mittelständischer EMS-Dienstleister, entstanden aus einem ehemaligen Bosch-Werk. Mit Automatisierung und Elektronik kennen wir uns aus. Wir haben den Aufstieg und Fall ganzer Branchen miterlebt – von Solar bis Telekommunikation. Wir sind also einiges gewöhnt. Aber der EU Data Act überfordert den Mittelstand. Uns stellt er gerade vor massive Herausforderungen in Bezug auf die rechtlich-korrekte Datennutzung und Digitalisierung. 

»Der EU Data Act überfordert den Mittelstand.«

Wie nutzen Sie Daten bereits im Fertigungsalltag?

Als Gründungsmitglied des Smart Electronic Factory e.V. (SEF) haben wir uns sehr früh mit Datenanalysen und später auch mit Künstlicher Intelligenz auseinandergesetzt, immer mit dem Fokus »Was ist machbar und leistbar für den Mittelstand«. Vom ersten Leitstand für die Fertigungssteuerung vor fast 30 Jahren, über die automatische optische Inspektion bis hin zu Datenanreicherung wie der Lagertemperatur der Lötpasten – alles wurde direkt bei uns und den Partnern in der Praxis getestet. Zunächst haben wir die Fertigungsdaten aus Robotik und Bestückung per Hand gesammelt, mit jeder neuen Maschine wurden entsprechende Sensoren und Schnittstellen in Betrieb genommen. Das ist ein wahnsinniger Aufwand, jede Schnittstelle und die Software dazu kostet Geld. Dieses Invest ist notwendig, um bestimmte Kunden überhaupt bedienen zu können. Das Erfassen von Daten ist zum Standard geworden.

Bei Künstlicher Intelligenz haben wir klassisch mit den MES-Daten angefangen, die optische Inspektion arbeitet seit 2018 schon mit KI; anfangs haben wir mit AWS experimentiert, nach kurzer Selbstprogrammierung arbeiten wir nun mit einem Münchner Anbieter zusammen. Heute setzen wir auch bei den Bestückungsautomaten bereits auf Algorithmen zur Inspektion bzw. Wartung von Feeder und Nozzle. 

Was bedeutet der EU Data Act für Limtronik?

Zunächst einmal Unsicherheit. Machen wir das alles richtig? Wenn wir Daten an der Maschine sammeln, überlegen wir dreimal ‚Sind das personenbezogene Daten‘, ‚Gibt es Konflikte mit der Verordnung‘? Für eine exakte Analyse dessen bräuchte es fast eine Rechtsabteilung. 

Aktuell informieren wir uns daher umfassend. Vor kurzem gab es an der TU Darmstadt einen Vortrag zu den rechtlichen Rahmenbedingungen des EU Data Act. Allerdings war die Verwirrung hinterher fast größer. Tun wir zu viel oder noch zu wenig? Es gibt keine klaren Richtlinien, alles ist sehr vage. Der wesentliche Punkt ist jedoch: Wir sind verpflichtet, demjenigen Daten rauszugeben, dem sie gehören. Und als Unternehmer stelle ich mir die Frage: Das Sammeln kostet immens viel Geld; mein Gegenüber veredelt im Idealfall damit seine Geschäftsprozesse – was ist er bereit dafür zu zahlen?

Wie sieht ein konkretes Beispiel aus?

Besonders kritisch ist die Frage: Wem gehören die Daten überhaupt? Wenn bei uns auf der Fertigungslinie eine Platine gefertigt wird, entstehen dabei Daten. Und hier beginnt die Diskussion: Sind das Prozessdaten? Dann würden sie uns gehören. Oder kann ich sie direkt dem Produkt zuordnen? Dann gehören sie unter Umständen dem Kunden. Hier zeigt sich, wie tiefgreifend die neuen Vorgaben wirken: In diesem Moment entsteht die Basis für einen digitalen Zwilling der Produktion. Prüfzeiten, Prüfergebnisse, Produktionsereignisse, Umgebungstemperatur, Temperatur im Ofen etc. Diese Daten zu teilen, hieße auch Geschäftsgeheimnisse preiszugeben.

Können Sie das genauer ausführen?

Müssten wir diese sehr individuellen Fertigungsinformationen herausgeben, verlören wir einen Wettbewerbsvorteil. Wenn der EU Data Act eine Datenfreigabe so definiert, sehe ich nicht nur unser Geschäftsmodell in Deutschland existenziell bedroht, diese Art der Datenfreigabe wäre eine Datenspende.

Können Sie die Kosten des EU Data Act beziffern?

Das ist aktuell ein größerer fünfstelliger Betrag im Jahr bei uns, Serverinfrastruktur und Personalkosten kommen noch obendrauf. Diese reinen Datenkosten entstehen zu Lasten unserer Wirtschaftlichkeit. Aktuell trägt der Mittelstand die Kosten des EU Data Act allein.

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Wird auf einer Fertigungslinie eine Platine gefertigt, entstehen Daten. Diese bilden die Basis für den Digital Twin - und sollten laut Gerd Ohl einen Preis bekommen.
Wird auf einer Fertigungslinie eine Platine gefertigt, entstehen Daten. Diese bilden die Basis für den Digital Twin - und sollten laut Gerd Ohl einen Preis bekommen.
© Limtronik

»Daten sind ein wichtiger Wettbewerbsvorteil - und brauchen einen Preis.«

 

Der EU Data Act erlaubt eine Vergütung der Daten.

Es gibt diesen geflügelten Spruch: Daten sind das Gold der Zukunft. Der Wert der Daten ist also entscheidend. Leider erkennen unsere Kunden diesen oft noch nicht an. Auch ohne den EU Data Act war die Bereitschaft der meisten Kunden für Produktionsdaten zu zahlen bisher schlicht nicht vorhanden. Im Gegenteil: Die Daten waren in Verhandlungen eher ein Druckmittel: Ohne Daten, kein Auftrag – die fallen ja eh bei euch an. 

Nur das wir die ganze Infrastruktur dafür aufbauen und in Betrieb halten. Daran ändern auch gemeinsame Datenräume wie Gaia-X oder Catena-X für die Automobilindustrie nichts. Die Infrastruktur muss bezahlt und weiterverrechnet werden, die geteilten Daten müssen entsprechend monetarisiert werden. Was ich aus dem Vortrag in Darmstadt mitgenommen habe: Wir müssen unsere Art der Datensammlung einzigartig machen und in digitale Geschäftsmodelle umwandeln. Kurz gesagt: den Digital Twin kann es nicht zum Nulltarif geben.

Gibt es dazu bereits erste Ansätze?

Wir haben 2018 gemeinsam mit dem Vorläufer der heutigen German Edge Cloud (GEC) eine Systematik entwickelt, bei der unsere Anomalie-Detektion dazu beiträgt, mögliche Ausfälle an Leiterplatten vorherzusagen. Diese Plattform haben wir damals am AWS-Stand der Hannover Messe gezeigt und dafür auch gute Rückmeldungen bekommen. Die Idee dahinter war, dass OEM ihre Logistikstrukturen damit komplett anpassen können, die Produkte verbessern und auch die Rework-Kosten enorm reduzieren. Damals war allerdings noch die Frage: »Warum macht ihr als EMS-Dienstleister das überhaupt?«
Weil wir es können: Die Wurzeln von Limtronik liegen in der Telekommunikation. Wir haben bereits damals in unserem Repair Center anhand von Analysen die gesamte Prozesskette überprüft, um die Produktion zu optimieren. Durch die stetige Optimierung von Produkt und Prozess stand am Ende die Entscheidung, das Repair Center zu schließen, da mit der guten Produktqualität eine Reparatur unwirtschaftlich wurde. Dank der Analysen haben wir für unsere Kunden Kosten und Aufwand gespart und deren Profitabilität gesteigert.

Auf der einen Seiten helfen uns die Daten also Prozesse und Kosten zu optimieren, auf der anderen Seite können wir so Mehrwertdienste wie Echtzeit-Tracking und Analyse-Pakete in digitale Geschäftsmodelle umwandeln – kostenpflichtig, aber transparent. Aktuell setzen wir das bereits mit dem Auftragsstatus um: Ein Kunde kann mit einem Blick in unser Webportal seine Produkte und Bauteile sowie seinen Produktionsstatus direkt im System abrufen.

»Den Digital Twin kann es nicht zum Nulltarif geben.«

Ist der EU Data Act also ein Vehikel zu digitalen Geschäftsmodellen?

So könnte man das trotz des gesamten bürokratischen Chaos und der aktuellen Unsicherheit wohl sehen. Auf jeden Fall ist er für uns bei Limtronik der Aufhänger, uns noch mehr innerhalb der Branche auszutauschen. In der SEF arbeiten wir derzeit stark am Thema Künstliche Intelligenz, was originär mit dem Datensammeln verbunden ist. Neben der EU Data-konformen Nutzung geht es dort in gemeinsamen Workshops auch um Sicherheit und organisationale Resilienz. 

Wir arbeiten zudem in einer Arbeitsgruppe hier in Mittelhessen mit anderen Unternehmen aus der Region daran, einen Prozess aufzusetzen, wie wir Daten in der Produktion besser nutzen können: Ein Kollege hat beispielsweise die Kaufversion von ChatGPT hinter seiner Firewall installiert. Die KI wird mit seinen eigenen Daten gefüttert, also Managementhandbüchern, Auditberichten, Produktionsergebnissen, Erkenntnissen etc. Dank Arbeitsanweisungen durchsucht die KI bei Anfragen die eigenen Informationen und geht nicht ins Netz. Die Firma zieht ein unheimliches Optimierungspotenzial aus diesen Berichten – ohne das sonst übliche externe Sicherheitsrisiko. 

Diese Beispiele helfen extrem, gerade weil unterschiedlichste Unternehmen aus der Region zusammentreffen und gemeinsam diskutieren: ‚Wie genau setzen wir KI ein?‘, ‚Wie können wir uns verbessern und zusammenarbeiten?‘ Die Monetarisierung ist dort ebenfalls Thema. Wir werden uns jetzt regelmäßig austauschen, Lessons Learned besprechen etc. Der EU Data Act, KI und die Digitalisierung betrifft ja die ganze Branche, alle haben ähnliche Schwierigkeiten, Herausforderungen und auch die gleichen Unsicherheiten. Für eine einzelne mittelständische Firma ist es quasi unmöglich, sich allein mit so einer komplexen Thematik auseinanderzusetzen. Dafür haben wir weder die Kapazitäten noch die Mittel.

Welche Maßnahmen sehen Sie für Fertiger und KMU als »Must Have« an?

Künstliche Intelligenz und der Nutzen von KI wird zur Überlebensfrage in der Organisation. KI ist der einzige Hebel – kein Nice-to-Have, sondern Voraussetzung für unsere künftige Wettbewerbsfähigkeit. Nicht allein auf dem Shopfloor, in der Produktion sind wir gut durchoptimiert. Aber an die administrativen Bereiche, da müssen wir jetzt ran. Wenn die Babyboomer in Rente sind, werden uns dort die Menschen fehlen. Jetzt gilt es, mit KI die Systematik der Prozesse abzubilden. Wir müssen das Wissen der Mitarbeiter konservieren und später abrufbar machen. KI muss an dieser Stelle übernehmen, da weniger Leute für die Wertschöpfung da sein werden.

»KI ist kein Nice-to-Have, sondern Voraussetzung für künftige Wettbewerbsfähigkeit. Wir müssen das Wissen der Mitarbeiter konservieren.«

Bestes Beispiel: Eines unserer Mitgliedunternehmen in der Smart Electronic Factory hat gerade ein KI-Unternehmen gekauft, mit richtig vielen Mitarbeitern. Die haben damit jetzt ihre eigene KI-Abteilung. Das wird der Weg sein. Mit den KI-generierten Einsparungen lassen sich die Datenkosten kompensieren – und mit den resultierenden Datenservices neue Einnahmeströme erdenken. Daraus kann meiner Meinung nach ein Baustein für die Zukunft des Mittelstands entstehen. (uh)


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