Von einer Stunde auf fünf Minuten: Ein neuer TUM-Roboter überwindet eine alte Hürde der Roboterchirugie und verkürzt die Vorbereitung für Augen-OPs gegen altersbedingte Makuladegeneration drastisch. Per KI-Navigation landet die Spritze mit dem AMD-Medikament auf 15 Mikrometer genau in der Netzhaut.
Es ist die altersbedingte Makuladegeneration (AMD), die Menschen über 60 Jahren am häufigsten erblinden lässt – nahezu jede zehnte Erblindung in dieser Altersgruppe geht auf die chronische Augenkrankheit zurück. Bei der AMD wird die Netzhaut im Bereich der Makula, dem Ort des schärfsten Sehens, geschädigt. Besonders die feuchte Form der Erkrankung kann innerhalb weniger Wochen zu irreversiblen Sehverlusten führen, wenn krankhafte Blutgefäße unter der Netzhaut wuchern und Flüssigkeit austritt.
Die Standardtherapie der feuchten AMD basiert seit 2005 auf Anti-VEGF-Injektionen, die seitlich ins Auge und in den Glaskörper eingebracht werden. Die sogenannten VEGF-Hemmer verhindern das Wachstum neuer, schädlicher Blutgefäße und dichten undichte Gefäße ab, sodass weniger Flüssigkeit oder Blut austritt. Die Behandlung muss regelmäßig wiederholt werden – meist alle vier bis acht Wochen – und ermöglicht bei vielen Patienten eine Stabilisierung oder sogar Verbesserung der Sehschärfe.
Prof. Mohammad Ali Nasseri vom Munich Institute of Robotics and Machine Intelligence (TUM MIRMI) geht nun einen revolutionären Schritt weiter: Sein neu entwickelter Roboter-Assistent injiziert das Medikament nicht in den Glaskörper, sondern direkt in die nur 200 Mikrometer dicke Netzhaut – mit einer Abweichung von lediglich 15 Mikrometern. Damit landet der Wirkstoff präzise am richtigen Ort und kann dort einen Wachstumsfaktor blockieren, der ungebremst zur Erblindung von Betroffenen führen würde.
Der entscheidende Durchbruch liegt jedoch in der Geschwindigkeit: Während herkömmliche Roboter-OPs bis zu eine Stunde Vorbereitungszeit benötigen, ist Nasseris System in weniger als fünf Minuten einsatzbereit. »Wir haben die neuronalen Netze entsprechend trainiert, damit der Roboter die für die Operation perfekte Position in weniger als fünf Minuten einnehmen kann«, erklärt Nasseri. Die fahrbare Plattform mit Drehscheibe und hochsensiblem Roboterarm lokalisiert automatisch Auge und Iris.
Die eigentliche Herausforderung liegt in der Präzision: Der Roboter muss zentimetergenau an das Behandlungsbett heranfahren, millimetergenau die Instrumente positionieren und schließlich mikrometergenau operieren. »Der letzte Schritt ist die größte Herausforderung«, sagt Nasseri. Sein in Kooperation mit einem japanischen Fertigungsunternehmen entwickelter Manipulator platziert die Spritze mit einer Abweichung von nur 15 Mikrometern in die 200 Mikrometer dicke Netzhaut.
Unwillkürliche Augenbewegungen während der Operation stellten das Team vor eine zusätzliche Hürde. Die Lösung: Ein optischer Kohärenztomograph (OCT) liefert kontinuierlich Netzhautbilder. In Simulationen mit sinusartigen Bewegungen eines künstlichen Auges folgte der Roboter über eine Minute hinweg präzise – mit einer finalen Abweichung von 25 Mikrometern. »Das ist immer noch völlig ausreichend für solche Einsätze«, so Nasseri.
Klinischer Bedarf treibt Entwicklung
Prof. Peter Charbel Issa, Direktor der Augenheilkunde am TUM Klinikum, sieht in dem System großes Potenzial. Er setzt darauf, Komplikationen wie Entzündungen zu vermeiden, die bei manueller Medikamenteninjektion auftreten können. Angesichts von weltweit 200 Millionen AMD-Patienten – bis 2040 prognostiziert auf über 280 Millionen – ist der Bedarf enorm.
Der Weg zur klinischen Anwendung verläuft schrittweise: Nach Tests an Schweine-Augen sind Anfang 2026 erste Versuche an lebenden Tieren geplant. Bis Patienten in klinischen Studien behandelt werden, dürften noch einige Jahre vergehen. (uh)