Der Softwarekonzern präsentiert auf der DMEA die KI-Dienste aus der Azure-Cloud als »Therapie für das Gesundheitswesen«. Das Potenzial in den Kliniken sei riesig und Sprachdienste versprächen Medizinern Erleichterung. Wie steht es um die Sicherheit im Praxiseinsatz des Treibstoffs Gesundheitsdaten?
Microsofts KI-Strategie ließe sich frei nach Leonard Cohen mit: »First we took the office, now we take OR« übersetzen - wobei OR ganz bescheiden für das gesamte Gesundheitswesen steht. Basierend auf der Azure Cloud-Plattform sollen KI-Applikationen aus Seattle quasi jeden Klinik-Workflow durchdringen, insbesondere die Spracherkennung soll eine tragende Rolle bei der Entlastung von Medizinern spielen.
»KI kann der entscheidende Katalysator für fast alle Abläufe im Krankenhaus sein,« sagt Steffen Grebner, IT-Leiter des Klinikums Hannover und Microsoft-Nutzer aus Krankenhaus-Perspektive. Auf der Microsoft-Satellitenveranstaltung »AI – the big relief?« im Vorfeld der Digital Health-Messe DMEA trafen sich Ärzte, KI-Experten und IT-Kliniker in Berlin zum Austausch.
Laut Dr. Markus Vogel, Medical-Evangelist bei Microsoft, soll in Zeiten, in denen »Ärzte und Schwestern ausgebrannt« seien, die automatisierte Dokumentation von unstrukturiertem Text über KI-gestützte Sprachassistenten helfen – und z.B. als Co-Pilot bisher zeitaufwändige, händische und papierbasierte Prozesse übernehmen oder als Suchmaschinen-Ersatz Fachwissen liefern. Dr. Vogel demonstrierte in Berlin mit seinem Kollegen Dr. Jeffrey Cleveland sehr anschaulich, wie einfach und präzise die auf Nuance-Technologie beruhenden Sprach-Applikationen wie Dragon Medical One mittlerweile Patientengespräche dokumentieren – für den Arzt genügt im Nachgang ein kurzer Freigabe-Check.
"KI ermöglicht es uns Ärzten, den zwischenmenschlichen Austausch in der Medizin wieder in den Vordergrund zu stellen." |
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Dr. Jeffrey Cleveland, Facharzt für Pädiatrie und klinische Informatik & CMIO Atrium Health |
Für die Entwicklung der mithörenden, Siri-ähnlichen und chat-basierten Assistenten bietet Microsoft Entwicklern im Gesundheitswesen den Azure AI Health Bot an. Der auf das Gesundheitswesen adaptierte Software-Stack beinhaltet auch Triage-Protokolle.
Über all diesen Visionen aus der Cloud steht die Frage nach der Sicherheit der Patientendaten und der Qualität und Verlässlichkeit der KI-basierten Entscheidungen. Hadas Bitran stellt als Leiterin des Health AI-Entwicklungsteams bei Microsoft den »verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie« in den Vordergrund, insbesondere mit Hinblick auf generative KI. Sogenannte Clinical Safeguards würden extra dafür entwickelt, Software-Halluzinationen oder fehlende Daten im klinischen Umfeld aufzudecken. Compliance Safeguards helfen Patientenrechte und -einwilligungen einzuhalten und Chat Safeguards sollen die evidenzgetragene Antwortqualität der Co-Piloten verlässlich überwachen. Aber, und dieser Aspekt zieht sich trotz aller KI-Euphorie durch die gesamte Veranstaltung, mit »KI als Tool« bleibt der Mensch mit seinem ärztlichem Fachwissen, Erfahrung und Urteilskraft als finaler Entscheidungsträger das Maß aller Dinge.
Auf Infrastrukturebene will Microsoft die Sicherheit der Azure Health Data Center neben allen üblichen Daten- und Healthcare Safety- und Security-Standards zukünftig vor allem über das »Confidential Computing« definieren. Die Cloud-Computing-Technologie isoliert vertrauliche Daten während der Verarbeitung in einer verschlüsselten CPU-Enklave. Basierend auf dem FHIR-Standard (Fast Healthcare Interoperability Resources) wirbt der Softwareriese mit einem »ready-to-use« Backend und fertigen Templates, damit Medizintechnik-Firmen recht schnell eigene Datencenter mit Azure bauen und proprietäre KI-Dienste installieren können.
Das passende Praxisbeispiel aus der Ophthalmologie stellt Leo Lindhorst, Head of Innovation bei Carl Zeiss Digital Innovation, am Microsoft-Stand auf der DMEA am nächsten Tag vor. Der Optik-Experte sendet die digitalen Daten seiner eigenen Medizingeräte wie auch die von Drittanbietern an eine Azure-basierte »Health Data Platform«, die in der Cloud die Daten als KI-Futter zusammenführt. Zeiss stellt den Big Data-Schatz anschließend über Applikationen zur Verfügung: für KI-basierte Analysen, eine optimierte klinische Planung, Workflow-Verbesserungen, die Interaktion mit Patienten, medizinische Weiterbildung und weitere Daten-Services.
Für Zeiss war dabei wichtig, offen und transparent mit seinen Daten und der KI zu arbeiten. Das flexible und skalierbare Technologie-Modell waren für den jetzigen Microsoft-Partner einer der Gründe, diesen Digitalisierungsschritt mit der Azure Cloud zu bewerkstelligen - so setzen u.a. auch Epic, Siemens Healthineers, Smartify und weitere Healthcare-Kunden auf die Azure-Cloud und KI-Services von Microsoft. Für Zeiss sollte neben den internen Applikationen auch die Vernetzung und vor allem die Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Kliniken und Praxen wie auch Patienten auf neue Füße gestellt werden. U.a. müssen Praxen mit der Cloud-Lösung ihre Daten nicht mehr lokal verwalten.
Ein flächendeckender Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) über die Azure-Cloud im Bereich Medizin und Gesundheitswesen scheint nicht unrealistisch, wenn man den Zeiss’schen Anwendungsfall weiterdenkt, die bestehende OpenAI-Partnerschaft einbezieht und Parallelen zum Aufstieg von Microsoft Office in der Bürowelt sowie die aktuelle Marktdominanz berücksichtigt. Das passt zur Vision von CEO Satya Nadella, der KI-Services über Azure als Grundausstattung im Gesundheitswesen (und in jeder anderen Branche) etablieren möchte, ähnlich wie es mit Office-Diensten im Büro gelungen ist. Wie weit das Gates’sche Imperium am Ende wirklich in den klinischen Alltag und mit »KI ans Krankenbett« vordringt, wird die Zeit zeigen – und die hält in Bezug auf Künstliche Intelligenz derzeit oft unvorhersehbare Überraschungen bereit. (uh)