Wenn Sie auf Ihre Vertriebspartner blicken, gibt es da Unterschiede, wie gut die Hersteller wieder aus der Pandemie herausgekommen sind? Wenn ja, worauf führen Sie das zurück? Hat das Einfluss auf Ihr Geschäft?
Mean Well ist da sicher die Ausnahme. Es ist der einzige Stromversorgungs-Hersteller, der mir bekannt ist, der firmenintern ein Drei-Monats-Lager vorhält! Mean Well konnte auf diese Weise länger als die Wettbewerber die Kunden mit den gewohnten Lieferzeiten bedienen. Gleichzeitig hat man dort von Beginn an eine ganz klare Allokationspolitik betrieben – jeder Kunde bekam nur das 1,1-Fache seiner bisherigen Bestellungen. Eine ähnliche Politik hat auch Cincon betrieben und seine Kunden weiterhin mit sechs bis acht Wochen beliefert und weiterhin wie angekündigt neue Produkte auf den Markt gebracht. Bei börsennotierten Unternehmen fast nicht vorstellbar. Wenn ich mir die japanischen Hersteller ansehe, dann haben sie sich mit dem Management der Situation deutlich schwerer getan, und einige haben auch heute noch Lieferzeiten von bis zu einem Jahr.
Noch eine Frage zum Geschäftsmodell: Sie haben im letzten Jahr den Vertrieb für Pulsiv übernommen, ein britisches Startup, das Halbleiter für ein optimiertes Stromversorgungsdesign anbietet. Sie treten dabei nicht als reiner Distributionspartner auf, Sie übernehmen auch das Design-in. Funktioniert das, wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen?
Der Osmium-Chip, die Entwicklung des Pulsiv-Gründers Dr. Mohammed Zaki Ahmed, verbessert Fly-Back-Designs, und das über den vollen Lastbereich. Damit bieten sich dem Anwender deutliche Vorteile gegenüber herkömmlichen LLC-Designs. Wir haben inzwischen erfolgreich erste Design-ins durchgeführt, die entsprechenden Produkte werden wohl 2024 auf den Markt kommen.
Der einzige Haken daran ist bisher die Beschränkung auf Ausgangsleistungen bis 300 W. Aber wir sind zuversichtlich, dass sich die Limitierung der Ausgangsleistung der mit Osmium-Chips realisierbaren Stromversorgungen zeitnah in den Bereich 600-W-plus verschieben wird. Mit dem Vertriebskonzept, das wir im Fall Pulsiv verfolgen, bringen wir uns direkt in die Entwicklungsabteilungen bei Kunden ein, das könnte eine Blaupause für ähnliche Vertriebsvereinbarungen in Zukunft sein. Unser Feedback ist bislang auf jeden Fall durchgehend positiv!
Eine Frage zu den Folgen der Corona-Pandemie: Wie haben diese Jahre die Branche der Stromversorgungs-Distribution verändert? Welche Veränderungen haben sich als zukunftsfähig erwiesen?
Der Kommunikationsanteil ist deutlich nach oben gegangen. Allerdings ging es zeitweise nur noch um Krisenmanagement, zukunftsgerichtete Aktionen traten fast völlig in den Hintergrund. Interessant ist auch zu beobachten, dass unsere Mitarbeiter deutlich lieber wieder ins Büro kommen, als die Möglichkeit zum Homeoffice wahrzunehmen. Wenn es aufgrund privater Termine notwendig ist, nimmt man das gerne in Anspruch, aber ganz offensichtlich fehlt vielen, speziell nach der Pandemie, doch der direkte kollegiale Austausch in der Teeküche oder auf dem Gang. Das hybride Arbeiten scheint sich zum New Normal zu entwickeln und wird von uns voll unterstützt.
Aktuell wird vor einer weiteren Corona-Welle in diesem Herbst/Winter gewarnt. Befürchten Sie dadurch wieder Einschränkungen Ihrer Geschäftstätigkeit in den nächsten Monaten?
Sollte da irgendwas kommen, sehe ich uns bestens vorbereitet. Wie sind mit zwei Präsenztagen pro Woche schon heute sehr flexibel, und wenn es wieder zu Hygienevorschriften kommt, können wir ganz schnell auf einen Zweischichtbetrieb umstellen.
In der Distribution wurde beklagt, dass in der Pandemie das Neugeschäft fast völlig zum Erliegen gekommen ist. Es ging fast nur noch um Redesign, Dual Source und Requalifizierungen. Wie stellt sich Ihr Geschäft inzwischen dar?
Es gab Zeiten, da lag der Zeitaufwand für Requalifizierungs-Maßnahmen, die Suche nach Second Sources und Ähnlichem bei 60 bis 80 Prozent unserer täglichen Arbeit. Seit etwa drei Monaten beginnt sich das in meiner Wahrnehmung wieder zu verändern. Die Entwicklungsabteilungen haben wieder Zeit und Geld für uns. Schließlich muss der, der sich jetzt auf die sichere Seite begeben will, Entscheidungen darüber treffen, was er in Zukunft ordern will, und entsprechend bestellen.
Inzwischen sind die Lager wieder voll, die Außendienstmitarbeiter sind wieder im Land unterwegs. Gleichzeitig ist Deutschland in eine technische Rezession gerutscht. Spüren Sie das? Wie äußert sich der Marktumschwung konkret für Sie?
Was wir sehen, sind Auftragsverschiebungen. Wir bekommen zwar auch Stornierungsanfragen, aber das lässt sich gar nicht umsetzen, die Ware ist schließlich bezahlt und liegt bei uns auf Lager. Unser Lager hat sich gegenüber dem Jahr 2019 verdoppelt! Wenn der Kunde verschieben will, müssen wir über externe Lager sprechen und er muss den Palettenplatz dort bezahlen. Da werden Lagerzinsen fällig; würden wir das nicht tun, bestünde irgendwann die Gefahr eines Cash-Flow-Problems. Natürlich hat das dann wieder Auswirkungen auf die gesamte Lieferkette. Wie bereits angesprochen beginnen die ersten Hersteller in Asien, ihre Produktion zurückzufahren und Personal abzubauen.
Seit dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine haben Deutschland und Europa ihre militärischen Grundeinstellungen und Strategien überdacht. Hat sich das Thema »gehärtete Elektronik« in den letzten eineinhalb Jahren für Sie spürbar verändert? Wenn ja, in welcher Form? Gehen Sie davon aus, dass diese Veränderung nachhaltig sein wird?
In unserem Fall sind die Auftragsvolumina in diesem Bereich um den Faktor fünf bis sechs nach oben gegangen. Normalerweise betrugen die Design-in-Zyklen in diesem Bereich drei bis fünf Jahre – ich würde sagen, die Veränderung in diesem Bereich ist für die Branche weltweit spürbar, und sie wird meiner Einschätzung nach nachhaltig sein.