Das Potenzial der Vitalparameter-Messung

»Riesig, wenn Consumer-Elektronik auf Medizintechnik trifft«

23. August 2023, 9:00 Uhr | Von Ute Häußler
Dr. Markus Arzberger, Bereichsleiter Vital Signs bei ams Osram, sieht ein großes Potenzial, wenn Consumer-Elektronik und Medizintechnik verschmelzen.
© ams osram / WFM

Die personalisierte Medizin der Zukunft basiert auf dauerhaft gemessenen Vitaldaten. Dr. Markus Arzberger, Bereichsleiter Vital Signs bei ams Osram, prognostiziert das Marktpotenzial und gibt einen Überblick zum technischen Status quo sowie den Herausforderungen in der Medizingeräteentwicklung.

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Herr Dr. Arzberger, die Vitalzeichenmessung ist mit Smartwatches nahezu an jedem Handgelenk: Wie schätzen Sie das Marktpotenzial auf die nächsten fünf Jahre ein?

Dr. Markus Arzberger: Wir sehen zwei große Trends und daraus erwachsend ein sehr großes Potenzial. Der erste Trend ist das sogenannte »Quantified Self«. Begonnen hat das vor ein paar Jahren mit dem einfachen Zählen von Schritten und wurde dann sehr schnell um die Herzfrequenz und weitere Messungen ergänzt, die heute Standard in Smartwatches und Fitnesstrackern sind. Es geht darum, umfassende Daten über sich selbst zu sammeln und mehr über den eigenen Körper und seine Gesundheit zu lernen. Dieser Markt wächst weiter und wird hauptsächlich von den smarten Uhren und Trackern angetrieben, die zusätzliche Vitaldaten und Funktionen bereitstellen. Aber auch andere Geräte wie Smart Patches oder medizinische Wearables, die weitere Daten liefern können, sind relevant.

Der zweite Trend kommt aus dem Gesundheitswesen selbst, wo wir eine große, auch digital getriebene Transformation auf mehreren Ebenen beobachten und erwarten – hin zur Prävention. Dazu müssen Daten von Menschen erfasst werden, bevor sie zum Patienten werden, also solange sie noch gesund sind. Dafür braucht es Geräte, die zum einen erschwinglich sind und trotzdem eine gute Messqualität liefern, um den Patienten besser einschätzen zu können. Diese Art Geräte wird möglicherweise nie allen von Ärzten geforderten medizinischen Standards entsprechen – aber dennoch liegt in der Vitalparametermessung aus dem Gesundheitsbereich heraus ein deutliches Wachstumspotenzial.

Der zweite von Ihnen angesprochene Trend weist auf die P4-Medizin (Personalisiert, Prädiktiv, Präventiv und Partizipativ) hin.

Wenn wir über Prävention nachdenken, spielt es eine große Rolle, so viele Vitaldaten wie möglich über den Patienten zu sammeln, solange er noch gesund ist. So sind zum Beispiel kardiovaskuläre Erkrankungen erkennbar, bevor jemand Bluthochdruck entwickelt oder lange vor einem Herzinfarkt. Mithilfe dieser Messungen werden Menschen in die Lage versetzt, frühzeitig mit kleineren Maßnahmen wie mehr Bewegung oder einer Ernährungsumstellung ihre Gesundheit langfristig zu verbessern. Es reicht eben nicht, einmal im Jahr zum Arzt zu gehen oder vielleicht nur alle fünf Jahre in jungen Jahren. Wenn wir über personalisierte Medizin reden, müssen Patientendaten erfasst werden und daher brauchen wir Geräte und Technologien, die dies ermöglichen.

Zum anderen ist es gewollt, dass die Patienten selbst mehr an ihrer Gesundheit teilhaben – an der Behandlung und Vorbeugung. Dazu braucht es Feedbackschleifen und Daten, die dem Arzt und dem Patienten helfen einzuschätzen, ob sein Verhalten in Bezug auf seinen Gesundheitszustand richtig ist oder nicht. Wir sehen für P4 einen großen Bedarf an zusätzlichen Sensoren. Prinzipiell entwickelt sich der Medizintechnikmarkt langsamer als der Consumer-Bereich, aber langfristig wahrscheinlich auf nachhaltigere Weise.

Auf der DMEA in Berlin war u. a. Garmin auf der Suche nach Partnern aus dem Gesundheitsbereich, also z. B. Krankenkassen und Forschungsinstituten.

Exakt. Diese Entwicklung ist in vollem Gange. Stand heute reden wir über zwei Märkte, die erstmal unabhängig erscheinen, aber die Lücke wird sich schließen. Letztlich bewegt sich sowohl der Consumer-Bereich in Richtung Medizin, wie es auch im MedTech-Bereich Firmen gibt, die sich in Richtung Consumer ausdehnen.

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Die personalisierte Medizin der Zukunft basiert auf dauerhaft gemessenen Vitaldaten. Dr. Markus Arzberger prognostiziert das Marktpotenzial und gibt einen Überblick zum technischen Status quo und den Herausforderungen in der Medizingeräteentwicklung
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Welche Rolle spielt die Medizintechnik bei ams Osram?

Neben den Komponenten für die Vitalparametermessung haben wir auch weitere MedTech-relevante Produkte im Portfolio. Dazu gehören u. a. Detektoren für CT-Scanner, aber auch kleine Kameramodule, die in der Medizintechnik Anwendung finden. Der gesamte Sektor Medizin und Gesundheit ist ein wichtiger Markt für uns.

Über welche Komponenten reden wir in den Anwendungen genau?

Für die Vitalparameter- und deren Erfassung gibt es verschiedene Verfahren. Wir unterstützen heute vor allem die PPG-Messung (Photoplethysmographie), eine in großen Teilen optische Messung, mit der man die Herzfrequenz messen kann sowie SpO2 – also die Blutsauerstoffsättigung. Außerdem Themen wie Heart Rate Variability (HRV), woraus Kunden von uns u. a. auf Stress schließen. Da lassen sich viele Dinge ableiten, aus dem PPG-Signal z. B. auch der Gesundheitszustand des Arteriensystems.

Unsere Komponenten unterstützen zudem die EKG-Messung (Elektrokardiogramm) sowie eine Messung namens Galvanic Skin Response. Dabei geht es darum, Rückschlüsse aus der Leitfähigkeit der Haut zu ziehen. Außerdem haben wir Produkte für die Bio-Impedanz-Messung, welche auf die Zusammensetzung des Körpers abzielt, also beispielsweise die Analyse von Muskel- und Körperfettanteil.

Außerdem haben wir noch Temperatursensoren im Portfolio, die auch für die Hauttemperaturmessung herangezogen werden, welche wiederum als ein Parameter für den Gesundheitszustand dient.

Die neue Fotodiode TOPLED D5140, SFH 2202 wurde dezidiert für die Pulsmessung am Handgelenk entwickelt
Die neue Fotodiode TOPLED D5140, SFH 2202 wurde dezidiert für die Pulsmessung am Handgelenk entwickelt.
© ams Osram

Wie unterstützen Sie Entwickler und Ingenieure für Medizingeräte in der Entwicklungsphase?

Für den Projekteinstieg bieten wir neben den reinen Komponenten Evaluation-Kits an. Speziell für die IC-basierten Produkte gibt es auch Software-Development-Kits. Dazu bieten wir optische Simulationen an, auch inklusive des Einbaus und der Implementierung. Wir liefern Basisalgorithmen und haben natürlich auch Referenzdesigns, die der Kunde als Anhaltspunkt hernehmen kann. Speziell für die PPG-Messung spielt das optische Design eine wichtige Rolle, für die rein elektrischen Messungen unterstützen wir beim Schaltungsaufbau, damit Fehler von vornherein vermieden werden. Doch der optische Aufbau des PPG-Systems ist meist das komplexere Thema.

Zusätzliche Anforderungen entstehen später in der Algorithmenentwicklung und bei der Validierung des Gesamtsystems, welches medizinischen Normen und Standards entsprechen muss. Der Hauptaufwand liegt im Nachweis und der Dokumentation. Hier unterstützen wir unsere Kunden beispielsweise mit Vortests.


  1. »Riesig, wenn Consumer-Elektronik auf Medizintechnik trifft«
  2. Welche Herausforderungen haben die verschiedenen Messverfahren?

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