Deutsche KI im Schockraum

Priorisieren und dokumentieren: Sprach-KI in der Notaufnahme

10. Dezember 2025, 6:30 Uhr | Elektronik Medical (uh)
Die KI erkennt, welche Befunde, Maßnahmen und Entscheidungen genannt werden. Spricht der Arzt von einem »grobblasigen Rassel-Geräusch« bei der Atmung, ermittelt der KI-Agent die Kategorie und erstellt ein Live-Bild in Ampellogik nach dem ABCDE-Schema. Darüber hinaus überführt der KI-Agent die Daten automatisch in die Formulare für Dokumentation und Qualitätssicherung.
© IAIS, Telekom et all: Bild erstellt mit GPT-5

Die Telekom, das Fraunhofer IAIS und die Kölner Kliniken entwickeln einen KI-Agenten für die Notfallmedizin. Das System erfasst alle Schockraum-Gespräche, strukturiert diese nach medizinischen Prioritäten und automatisiert die Dokumentation - es soll zudem als Blaupause für sichere Klinik-KI dienen.

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Alltag in der Notaufnahme: Bis zu zehn Fachkräfte drängen sich um die Bahre, jede Sekunde zählt. »Grobblasiges Rasselgeräusch bei der Atmung«, ruft der Notarzt während der Übergabe. Die Pflegekraft protokolliert gleichzeitig Vitalwerte, während der leitende Arzt bereits die nächsten Schritte koordiniert. Im Schockraum des Krankenhauses Merheim der Kliniken der Stadt Köln werden jährlich 600 Schwerverletzte versorgt – unter immensem Zeitdruck und mit verbaler Kommunikation als entscheidendem Informationskanal.

Strukturierte Dokumentation durch Multi-Agenten-System

An diesem Szenario setzt ein aktuelles Forschungsprojekt an. Die Deutsche Telekom, das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS und die Kliniken der Stadt Köln entwickeln seit September 2024 eine KI-gestützte Live-Anzeige für Notaufnahmen. Das System erfasst die Gespräche des medizinischen Personals automatisch, wertet sie in Echtzeit aus und ordnet die Informationen nach dem etablierten ABCDE-Schema ein. Dieses priorisiert lebensbedrohliche Zustände nach Atemwegen (Airways), Beatmung (Breathing), Kreislauf (Circulation), neurologischem Defizit (Disability) und erweiterten Informationen (Exposure).

»Mit der Entwicklung eines vielseitig einsetzbaren Multi-Agenten-Frameworks und seiner Anpassung an die Notfallmedizin schaffen wir die Grundlage für eine Entlastung des Klinik-Personals bei der Versorgung Schwerstverletzter«, sagt Stefan Rüping vom Fraunhofer IAIS. Der KI-Agent erstellt eine laufend aktualisierte Liste in Ampellogik und überführt die Daten automatisch in Formulare für Dokumentation und Qualitätssicherung.

Cloud-Edge-Kontinuum für maximale Datensicherheit

Das einjährige Entwicklungsprojekt basiert auf dem vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Vorgänger „TraumAInterfaces", das bereits ein KI-basiertes Spracherkennungssystem für die Polytraumaversorgung entwickelte. Die technische Architektur ist auf höchste Verfügbarkeit und Sicherheit ausgelegt:

Das System kann sowohl lokal über den Nvidia DGX Spark Minicomputer vollständig offline als auch über die »AI Foundation Services« in der Open-Cloud der Telekom betrieben werden. »Für uns hat die Resilienz der KI-Assistenz oberste Priorität – sie muss auch in der Cloud und lokal, also offline, absolut zuverlässig und sicher funktionieren«, betont Thorsten Tjardes, Direktor der Klinik für Unfallchirurgie am Bundeswehrkrankenhaus Berlin, das als beratender Partner beteiligt ist.

Die Lösung entsteht im Rahmen des europäischen Förderprogramms IPCEI-CIS (Important Project of Common European Interest – Next Generation Cloud Infrastructure and Services). Mit einem Gesamtvolumen von 3,5 Milliarden Euro und 150 Partnern soll ein interoperables Multi-Provider Cloud-Edge-Kontinuums für Europa entwickelt werden.​

Jerome Defosse, Leitender Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin der Kliniken der Stadt Köln, hebt die praxisnahe Entwicklung hervor: »Indem wir medizinisches Fachwissen und realistische Schockraum-Simulationen einbringen, verzahnen wir Forschung und Praxis«. Ein vor Ort im Krankenhaus laufender Prototyp soll voraussichtlich im Sommer 2026 einsatzfähig sein. (uh)

AI Foundation Services - Modulare Plattform für sichere KI-Anwendungen

Die AI Foundation Services der Deutschen Telekom bilden eine zentrale Plattform, um KI-Anwendungen unter europäischen Datenschutzstandards zu betreiben. Firmen können aus zahlreichen Open-Source- und kommerziellen KI-Modellen wählen.

Technische Infrastruktur: T-Systems betreibt die Open-Source-Modelle nach höchsten Sicherheitsstandards in eigenen europäischen Rechenzentren. Die Plattform ist wesentlicher Bestandteil des T-Cloud-Angebots und entspricht sämtlichen europäischen Datenschutzvorgaben.

Modularer Baukasten: Das System umfasst einen modularen Software-Baukasten für KI-Lösungen, ein Edge-Agent-Framework, schlanke KI-Modelle sowie automatisierte Workflows für Datenverarbeitung und Training. Diese Komponenten können bei der Entwicklung anderer KI-Agenten-basierter Cloud-Edge-Infrastrukturen wiederverwendet werden.

Cloud-Edge-Kontinuum: Die Architektur ermöglicht den flexiblen Betrieb von KI-Anwendungen sowohl in der Cloud als auch lokal am Netzwerkrand (Edge) – mit minimaler Latenz und hoher Ausfallsicherheit. Dies ist besonders für sicherheitskritische Anwendungen wie die Notfallmedizin und weitere medizinische Szenarien relevant, wo auch bei Netzausfall eine ununterbrochene Funktionalität gewährleistet sein muss.

 

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