Herzmuskelreparatur aus dem Labor

Herzpflaster aus Stammzellen soll schwere Herzschwäche kurieren

3. Februar 2025, 15:37 Uhr | Elektronik Medical (uh), mit Material der dpa
Aus Stammzellen gezüchtetes Herzmuskelgewebe wird als eine Art Pflaster für die OP und Implantation vorbereitet - es soll Menschen mit schwerer Herzschwäche helfen.
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Herzschwäche ist eine Volkskrankheit. Bei schweren Formen könnte künftig ein im Labor gezüchtetes Pflaster aus Stammzellen helfen und heilen. Eine Machbarkeitsstudie der Uniklinik Göttingen ist zuversichtlich - allein in Deutschland kämen rund 200.000 Menschen für eine Therapie in Frage.

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Etwa zwei Millionen Deutsche leiden unter einer Schwäche des Herzens. Dabei vermindert sich allmählich die Pumpleistung - meist als Folge anderer Erkrankungen wie koronarer Herzkrankheit, Bluthochdruck oder einer Herzmuskelentzündung. Die meisten Betroffenen verlieren einen Teil ihrer Leistungsfähigkeit oder leiden unter Atemnot. Derzeit lindern oft nur Medikamente die Beschwerden, zusätzlich empfehlen Mediziner regelmäßige körperliche Aktivität und eine ausgewogene Ernährung.

Ein aus eigenen Stammzellen gezüchtetes »Kardiopflaster« könnte Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz unterstützen. Dies belegt eine kürzlich in »Nature« publizierte Machbarkeitsstudie, welche den Einsatz des künstlichen Herzmuskelgewebes unter Leitung der Universitätsklinik Göttingen am Menschen untersuchte. Laut den Forschenden kämen in Deutschland circa 200.000 Patienten für die neuartige Behandlung in Betracht.

Herzmuskelgewebe aus dem Labor

Der neue Ansatz wurden von einem Team um Wolfram-Hubertus Zimmermann vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Uniklinik Göttingen entwickelt und geprüft, unter Beteiligung der Uniklinik Schleswig-Holstein in Lübeck. Er beruht auf Körperzellen, die im Labor in das Stammzell-Stadium überführt werden. Diese sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) können sich dann wieder zu verschiedenen Körperzellen entwickeln. 

Für das »Herzpflaster« wird aus den iPS-Zellen Herzmuskelgewebe gezüchtet, das sowohl Herzmuskelzellen enthält als auch Bindegewebszellen. Die Herstellung dauert laut Zimmermann etwa drei Monate. Das aus mehreren Teilen zusammengesetzte und nach Forscherangaben etwa 100 Kubikzentimeter große Implantat wird auf den geschwächten Herzmuskel aufgebracht und soll die Pumpleistung dauerhaft erhöhen.

Zunächst wurde das »Herzpflaster« an Ratten und Rhesusaffen getestet. Diese Versuche, die über drei bis sechs Monate liefen, bestätigten, dass die aus 40 bis 200 Millionen Herzzellen bestehenden Implantate die Herzfunktion verbessern. »Wir konnten im Tiermodell zeigen, dass die Implantation von »Herzpflastern« zum dauerhaften Aufbau des Herzmuskels bei Herzinsuffizienz geeignet ist«, wird Zimmermann in einer Mitteilung der Uniklinik zitiert. Nach diesen Resultaten genehmigte das Paul-Ehrlich-Institut den weltweit ersten Test dieses »Pflasters« am Menschen.

Medizintechnik Pflaster Herzschwäche Operation Herzmuskelgewebe Uniklinik Göttingen
Ein Herzpflaster wird aus mehreren sechseckigen Teilen zusammengesetzt.
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Implantat erhöht Pumpleistung des Herzens

In «Nature» beschreibt das Team eine Patientin: Die 46-Jährige hatte eine fortgeschrittene Herzschwäche mit Begleiterkrankungen wie etwa Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck. Sie hatte im Jahr 2016 einen Herzinfarkt, entwickelte dann eine Herzschwäche und bekam im Sommer 2021 das aus 400 Millionen Herzzellen bestehende «Herzpflaster» implantiert. 

Als die Frau sich im folgenden Oktober einer Herztransplantation unterzog, konnte das Team das entnommene Herz samt Implantat genau untersuchen. Schon in diesen drei Monaten war die Pumpleistung der linken Herzkammer - die bei gesunden Menschen laut Zimmermann bei etwa 60 Prozent liegt - von 35 auf 39 Prozent gestiegen. 

Die Analyse belege erstmals, »dass Herzmuskelreparatur durch Herzmuskelwiederaufbau auch im Menschen möglich ist«. Angesichts der Resultate sei die Dosis pro Pflaster von 400 Millionen auf 800 Millionen Herzzellen erhöht worden.

Über 50 Probanden in klinischer Studie

Inzwischen wurde die klinische Studie ausgedehnt: Bislang erhielten bereits 15 Menschen nach Angaben der Uniklinik ein solches Implantat. Insgesamt sollen 53 Menschen ein «Herzpflaster» bekommen. Erste klinische Daten werden demnach Ende 2025 erwartet.

Medizintechnik Pflaster Herzschwäche Operation Herzmuskelgewebe Uniklinik Göttingen
Bei einer Operation setzen Ärzte ein Herzpflaster ein.
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Eigentlich soll das Implantat bei Betroffenen die Zeit überbrücken, bis - wie bei der beschriebenen Patientin - ein Herztransplantat verfügbar ist, als Alternative zu einer mechanischen Pumpe. Doch Zimmermann kann sich vorstellen, dass das Implantat auch eine dauerhafte Lösung sein könnte. Zwar müssen die Behandelten nach dem Eingriff lebenslang Immunsuppressiva einnehmen, Hinweise auf größere Nebenwirkungen oder gar ein erhöhtes Tumorrisiko sieht Zimmermann aber nicht. Bisher habe man Nachbeobachtungszeiten von bis zu knapp vier Jahren.

Die zur Herstellung der iPS-Zellen genutzten Körperzellen stammten nicht von den Patienten selbst. Dafür wäre der Aufwand nach Angaben der Forscher zu hoch. Zudem gebe es auch bei der Nutzung von eigenen Körperzellen für das Verfahren Abstoßungsreaktionen, wie Affen-Versuche der Studie gezeigt hatten. 

Dauerhafte Therapie für rund 200.000 Patienten

Infrage für eine solche Therapie kommt laut Zimmermann etwa jeder zehnte Mensch mit einer Herzschwäche - das wären bundesweit etwa 200.000 Menschen. Derzeit plane man eine Zulassungsstudie für das Verfahren, die eventuell schon 2026 starten könnte. Zudem beantrage man eine Ausnahmegenehmigung für Krankenhäuser, die es ermöglichen würde, weitere Patienten auch schon vor einer offiziellen Zulassung des Verfahrens zu behandeln.

Stammzell-basierte Therapieverfahren könnten in Zukunft möglicherweise auch bei anderen Erkrankungen helfen, etwa bei der Parkinson-Krankheit, bei Typ-1-Diabetes oder bei Netzhauterkrankungen wie der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD). (uh)


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