Geht Gesundheit nachhaltig & ökonomisch?

PFAS-Ersatz: Hürdenlauf als Chance

29. Januar 2025, 14:43 Uhr | Von Sophia Wenzel, Bayern Innovativ Gesundheit
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Die Medizintechnik und das Gesundheitswesen vor einem Dilemma: Sie verursachen 4,5 Prozent aller CO₂-Emissionen. Nachhaltige Praktiken und Produkte werden unausweichlich - von PFAS-Alternativen bis zu Biokunststoffen. Doch wie gelingt der Spagat zwischen Heilung, Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit?

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Nachhaltigkeit ist längst zu einem zentralen Thema unserer Gesellschaft geworden. Die Medizin- und Gesundheitsbranche ist einer der ressourcenintensivsten Sektoren weltweit und steht damit vor besonderen Herausforderungen. Es geht nicht nur um die Reduzierung von CO₂-Emissionen und Abfall, sondern auch darum, wie Unternehmen nachhaltig wirtschaften können, ohne die Qualität in der Gesundheitsversorgung zu beeinträchtigen. Dabei spielen u.a. Stoffe wie PFAS eine wichtige Rolle, deren schädliche Auswirkungen immer stärker in den Fokus rücken. Doch die Gesundheitsbranche besitzt auch ein großes Potenzial, mit innovativen Praktiken und alternativen Materialien einen erheblichen Beitrag für die Nachhaltigkeit zu leisten.

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Balanceakt zwischen Ökonomie und Verantwortung

Nachhaltigkeit bedeutet, Ressourcen so zu nutzen, dass auch zukünftige Generationen noch davon profitieren können. Der Begriff umfasst dabei nicht nur ökologische, sondern auch soziale und ökonomische Aspekte. Insbesondere im Gesundheitswesen, das weltweit für rund 4,5 Prozent der CO₂-Emissionen verantwortlich ist, ist der Wandel hin zu nachhaltigeren Praktiken von entscheidender Bedeutung.

In Deutschland trägt die Gesundheitsbranche mit etwa 12 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei und ist somit ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Dennoch verbraucht und produziert der Sektor auch viele Ressourcen und Abfall, insbesondere durch den hohen Bedarf an Hygiene- und Einwegprodukten, die in Krankenhäusern und Arztpraxen täglich anfallen. Wie Julian Lotz, Geschäftsführer von Biovox, einem hessischen Hersteller von Biokunststoffen, sieht einen Wandel: »Es gibt bereits Unternehmen, die an ihre Produkte selbst herangehen, an die Medizinprodukte und an die Verpackung. […] Sei es, beispielsweise Fluorpolymere zu reduzieren oder eben auf Biokunststoffe zu setzen, um den CO2-Fußabdruck zu reduzieren sowie auch Rücknahmesysteme und Recyclingverfahren einzuführen.«

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Bild 1. Julian Lotz, Geschäftsführer Biovox
© Biovox

Laut Lotz geht es vor allem darum, Materialien zu ersetzen und den Ressourcenverbrauch zu reduzieren, ohne die Sicherheit und Funktionsweise medizinischer Produkte zu gefährden. Dabei sei es von zentraler Bedeutung, den ökologischen Fußabdruck zu minimieren und trotzdem die Funktionsfähigkeit von Medizinprodukten zu gewährleisten. So könnten die Herstellung von Verpackungen aus Recyclingmaterialien und die Reduzierung von Fluorpolymeren in Produkten dazu beitragen, den CO₂-Ausstoß zu senken, ohne die Qualität der Medizinprodukte zu beeinträchtigen.

PFAS in der Medizin: unverzichtbar, aber problematisch

Ein wichtiger Bestandteil vieler medizinischer Produkte sind die sogenannten PFAS (per- und polyfluorierte Alkylverbindungen), die aufgrund ihrer wasser-, fett- und schmutzabweisenden Eigenschaften in einer Vielzahl von Anwendungen von medizinischen Geräten bis hin zu Verpackungen eingesetzt werden. Doch PFAS sind auch als »Ewigkeitschemikalien« bekannt, weil sie in der Umwelt nahezu nicht abbaubar sind und potenziell zu schädlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit führen könnten. Die langlebigen Chemikalien geraten zunehmend unter regulatorischen Druck, da ihre schädlichen Eigenschaften immer besser dokumentiert werden.

Julian Lotz sagt: »Man kann nicht auf der einen Seite Menschen heilen, aber auf der an-deren Seite den Planeten kaputt machen, was in der Folge auch wieder zu Leiden und Beschwerden führt.« Die Aussage unterstreicht den Balanceakt, den die Gesundheitsbranche vollziehen muss: Sie ist verpflichtet, sowohl für die Gesundheit der Menschen als auch unseres Planeten zu sorgen. Die Reduzierung von PFAS in Medizinprodukten ist daher ein notwendiger Schritt, dieser Verantwortung gerecht zu werden und nachhaltig zu handeln.

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Es geht auch Bio: Kunststoffe für die Medizin ohne PFAS sind mit ähnlichen Eigenschaften möglich.
© Biovox

Chancen und Hürden von PFAS-Alternativen

Eine Lösung könnte die Umstellung auf Biokunststoffe sein, die auf Pflanzenbasis statt auf Erdöl basieren. Pflanzenbasierte Materialien stellen vielversprechende Alternativen dar, die ähnliche Eigenschaften wie PFAS aufweisen, jedoch ohne schädliche Umweltauswirkungen. Dabei wird das Ziel verfolgt, sowohl die Funktionalität der Produkte zu erhalten als auch den CO₂-Fußabdruck zu verringern. Dies erinnert an die erste Generation von Kunststoffen, die ebenfalls pflanzlich basiert war, bevor günstigere Erdölprodukte den Markt dominierten.

Mit dem Ziel, die Umwelt weniger zu belasten, geht der Trend nun wieder hin zu pflanzlichen Rohstoffen. Doch die Umstellung auf nachhaltige Materialien ist nicht trivial, sie erfordert Investitionen. Vor allem die höheren Kosten für nachhaltige Materialien müssen durch langfristige Einsparungen und bessere Kreditkonditionen ausgeglichen werden. Lotz hebt hervor: »Wichtig zu beachten ist das taxonomiefähige Geschäft. Unsere Kunststoffe zum Beispiel sind taxonomiekonform, d.h. man erhält bei Banken bessere Kreditkonditionen. Das ist heute schon ein Prozent weniger Zinsen gegenüber einem nicht taxonomiefähigen Geschäft«. Diese steuerlichen und finanziellen Anreize könnten Medizintechnikfirmen helfen, nachhaltigere Materialien zu finanzieren, ohne die Wirtschaftlichkeit zu gefährden.

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Dr. Jörg Traub, Leiter Bayern Innovativ Gesundheit
© Bayern Innovativ

Ökonomische, soziale und ökologische Nachhaltigkeit

Die ökonomische Nachhaltigkeit ist eng mit der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit verknüpft. So können die ökologischen Vorteile zur Reduzierung von Emissionen auch zu finanziellen Einsparungen führen. Zudem hat eine nachhaltige Gesundheitsversorgung nicht nur positive Auswirkungen auf die Umwelt, sondern auch auf die Arbeitsbedingungen. Gute Arbeitsbedingungen in der Gesundheitsbranche – von der Bezahlung bis hin zu psychologischer Unterstützung – fördern die langfristige Zufriedenheit der Mitarbeiter und tragen so zur Stabilität bei.

Dr. Jörg Traub, Leiter des Bereichs Gesundheit bei Bayern Innovativ, hebt hervor: »Soziale Nachhaltigkeit bedeutet für uns, dass medizinische Produkte nicht nur innovativ, sondern auch für alle zugänglich und fair produziert werden. Gerade in der Medizintechnik tragen wir eine besondere Verantwortung, die Arbeitsbedingungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu verbessern und den Zugang zur Gesundheitsversorgung für die gesamte Bevölkerung zu erleichtern«. Auch dieser Aspekt ist für die langfristige ökonomische Nachhaltigkeit von Bedeutung, denn wenn Unternehmen auf faire Arbeitsbedingungen und den Zugang zu Gesundheitsversorgung achten, wird dies nicht nur den Mitarbeitern zugutekommen, sondern auch die Akzeptanz von nachhaltigen Medizinprodukten fördern.

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Bild 3. Julian Rudat, Nachhaltigkeitsberater bei Seleon
© Seleon

Ökonomische Nachhaltigkeit für langfristigen Markterfolg

Der langfristige Markterfolg in der Medizin- und Gesundheitsbranche ist auch davon abhängig, wie gut Unternehmen, die sich wandelnden Anforderungen an Nachhaltigkeit umsetzen. Julian Rudat, Consultant Sustainability beim Engineering-Dienstleister Seleon erklärt: »Wir sehen, dass sich im Krankenhaus die Ausschreibungen für Produkte hinsichtlich ihrer Kriterien verändern und entsprechend neue Produktanforderungen entstehen. Wichtig ist es, diese Anforderungen in das Unternehmen hineinzutragen, Kommunikationsprozesse zu entwickeln und am Ende auch zu kalkulieren, was für ein monetärer Verlust oder Mehrwert durch die Umstellung von Beschaffungspraktiken entsteht?«

Dieses Umdenken sei von großer Bedeutung für den ökonomischen Erfolg. Unternehmen, die frühzeitig auf nachhaltige Praktiken setzen, werden dementsprechend nicht nur regulatorische Anforderungen erfüllen, sondern sich auch Wettbewerbsvorteile verschaffen. Die Umstellung auf nachhaltige Materialien und Prozesse ist nicht nur eine Pflicht, sondern auch eine Chance, sich auf dem Markt zu behaupten.

Der Weg zu nachhaltiger Gesundheit

Der Weg zu einer nachhaltigeren Gesundheitsbranche verlangt Mut und Weitblick. Es ist notwendig, dass Unternehmen nicht nur die ökologischen, sondern auch die sozialen und ökonomischen Auswirkungen ihrer Entscheidungen berücksichtigen. Die Umstellung auf nachhaltige Materialien wie PFAS-Alternativen und die Integration von Energiespartechnologien sind entscheidend, um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben. Dabei kann der Übergang durch gesetzliche Anreize und finanzielle Förderungen erleichtert werden. Julian Lotz konstatiert: »Es braucht einfach das Engagement zu sagen: Hey, das ist eine Investition in die Zukunft und das machen wir jetzt«. Die Zeit zum Handeln ist gekommen, und nur wer jetzt in nachhaltige Lösungen investiert, wird langfristig von den positiven Effekten auf die Umwelt und die Wirtschaft profitieren. (uh)


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