Bekanntermaßen gab es schon früher die Diskussionen darüber, wie man die europäische Halbleiterindustrie stärken kann. Drews: »20 Prozent, das hatten wir schon mal mit Neelie Kroes, 2013/2014. Ich war dabei, als sie das 20-Prozent-Ziel verkündet hat, seitdem sind wir von 10 auf 8 Prozent runtergegangen. Ich denke, dass das, was derzeit an Projekten geplant ist, lediglich ausreicht, damit Europa nicht noch weiter zurückfällt. Wir können froh sein, wenn wir auf der Stelle schwimmen und nicht sozusagen mit der Strömung noch weiter nach hinten gerissen werden.« Außerdem befürchtet Drews, dass die Bundesregierung glaubt, dass man jetzt mit den 10 Milliarden Euro für Intel, den 5 Milliarden Euro für TSMC und den 4 Milliarden für IPCEI das Thema abhaken und sich anderen Themen zuwenden kann.
Das hieße, dass die drei ganz Großen am Markt abkassieren und viele andere, große und kleine Unternehmen in Deutschland nicht mehr zum Zug kommen. Und Bösenberg bestätigt: »Das Geld ist aufgebraucht«, wobei er noch anmerkt, dass dabei ja auch noch das Problem besteht, dass selbst diese Projekte noch nicht sicher sind.
Bösenberg weiter: »Hinter alledem fehlt die Strategie – und zwar auf der EU-Ebene sowie auf der Bundesebene. Es gibt das Ziel von 20 Prozent, aber keiner weiß genau, wovon.« Es kursieren die unterschiedlichsten Zahlen. Hinzu käme noch, dass es beim IPCEI ME/CT wenigstens noch einen Call der Bundesregierung gab; die Einreichungsfrist belief sich auf zwei Wochen. Bösenberg: »Da konnte theoretisch jedes KMU, so praktikabel wie das in 14 Tagen überhaupt ist, einen Vorschlag einreichen. Für den EU Chips Act mit 20 Milliarden gab es nie einen offiziellen Aufruf.« Dementsprechend wären die KMUs an Silicon Saxony herangetreten und hätten gefragt, wie sie sich am Chips Act beteiligen können. Dabei ging es nicht um Projekte von einer Mrd. Euro, eher um 100 Mio. Euro.
Aber auch diese Unternehmen würden gerne finanziell unterstützt werden, und sie hätten auch gut in die Wertschöpfungskette gepasst. Bösenberg: »Das ist der Status quo. Ich habe auch der Bundesregierung schon erklärt: Wir haben eine Raumfahrtstrategie, wir haben eine Nachhaltigkeitsstrategie, wir haben eine Wasserstoffstrategie, alle mit wenig Geld ausgestattet. Wir hingegen haben 20 Milliarden Euro für die Halbeiterindustrie, aber ohne Strategie.«
Wobei er anmerkt, dass es besser ist, Geld zu haben ohne Strategie als eine Strategie ohne Geld, »aber idealerweise bräuchte man beides«, so Bösenberg. Wobei das mit der Strategie nicht ausschließlich ein deutsches und europäisches Problem ist. Adlkofer verweist in diesem Zusammenhang auf die Schwierigkeiten, die TSMC mit seiner Fab in Arizona hat. TSMC hatte im Juli dieses Jahres angekündigt, dass der Produktionsstart seiner Fab auf 2025 verschoben werden muss, unter anderem wegen fehlender Fachkräfte.
Wenn alle Fabs, die in den USA und in Europa angekündigt wurden, wirklich produzieren, dann dürften in fünf, sechs Jahren Überkapazitäten das Problem werden. Steinberger merkt an: »Es gibt eine Studie, die besagt, dass wir 2027 230 300-mm-Fabs haben werden. 2027 dürfte der Halbleitermarkt wahrscheinlich bei 750 Milliarden Dollar liegen, das heißt, pro Fab 3 Mrd. Dollar Umsatz. Das ist viel zu wenig, um profitabel zu sein.«
Dass die Situation nach dem Karlsruher Urteil nicht einfacher geworden ist und dass sich damit wichtige Entscheidungen noch weiter verzögern, ist klar, weshalb Bösenberg abschließend betont: »Bislang gibt es fast nur Ankündigungen, und wenn diese Ankündigungen so umgesetzt werden, dann ist alles super. Aber da ist noch ein ganz großes Wenn davor.«
Böses Erwachen
Aus der Sicht von Bösenberg ist die Telekom-Industrie in Europa bei Halbleitern blind. Die Automotive-Industrie hat schmerzlich lernen müssen, was es heißt, wenn die Halbleiter auf einmal knapp sind. Dementsprechend hat sich die Automobilindustrie auch mit der Lieferkette auseinandersetzen müssen. Bösenberg: »Das ist bei der Telekommunikation mitnichten der Fall. Der Telekom-Chef weiß gar nicht, wo die Halbleiter herkommen, die seine 5G-Basisstation bedienen.« Sollte jetzt doch irgendwann Huawei als Lieferant verbannt werden, gebe es erst mal ein böses Erwachen. Wobei ja schon seit Längerem darüber diskutiert wird, ob Huawei nicht mehr liefern darf. Bösenberg: »Und hat sich etwas geändert?« Drews: »Nichts!«