Halbleiter-Forum der Markt&Technik

Zweifel an Wachstumsprognose

18. Dezember 2023, 14:00 Uhr | Iris Stroh
Die Teilnehmer des Halbleiter-Forums: Georg Steinberger, Vorstandsvorsitzender beim FBDi // Jens Drews, Director Communications/Government Relations bei Globalfoundries // Hans Adlkofer, Senior Vice President und Head of Automotive System Group bei Infineon Technologies // Thomas Rothhaupt, Director für Marketing und Vertrieb bei Inova Semiconductors // Rayk Blechschmidt, European Segment Manager Transportation and Automotive bei Microchip Technology // Carsten Jauch, Vice President Automotive Sales Global Key Accounts bei Renesas Electronics // Frank Bösenberg, Geschäftsführer bei Silicon Saxony // Robert Weichert, Arbeitskreisleiter bei Silicon Saxony // Philippe Prats, Head of Automotive Marketing & Application EMEA bei STMicroelectronics
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Der WSTS hat in seiner Herbstprognose seine Vorhersage für das weltweite Halbleiterwachstum im nächsten Jahr leicht angehoben. Statt bisher 11,9 Prozent sollen es jetzt 13,1 Prozent sein, was einem Volumen von 588 Mrd. Dollar entspricht; der Treiber sollen Speicher sein.

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Diesem Produktbereich wird ein riesiges Plus zugesprochen. 

Europa wird laut WSTS (World Semiconductor Trade Statistics) die einzige Region sein, die in diesem Jahr zulegen konnte. Hier soll ein Plus von 5,9 Prozent zu Buche schlagen; Americas, Japan und Asia Pacific hingegen sollen schrumpfen, um 6,1 bzw. 2,0 respektive 14,4 Prozent. 2024 sieht das Bild wieder ganz anders aus, denn im kommenden Jahr soll insbesondere die Region Americas wachsen, und zwar um satte 22,3 Prozent, gefolgt von Asia Pacific mit 12,0 Prozent. An dritter Stelle folgt Japan mit einem Plus von 4,4 Prozent. Europa wiederum wird laut Prognose im nächsten Jahr an letzter Stelle stehen; hier wird nur noch ein Zuwachs von 4,3 Prozent gegenüber diesem Jahr (2023) erwartet.

Auf die verschiedenen Produktgruppen bezogen prognostiziert der WSTS für Speicher (ein Teil vom IC-Bereich, zu dem auch Analog, Micro und Logic gehören) im nächsten Jahr ein enormes Umsatzplus von 44,8 Prozent, allerdings soll dieser Bereich in diesem Jahr auch am stärksten schrumpfen, nämlich um 31 Prozent. Das zweitstärkste Wachstum wird den Logik-ICs (auch ein Teil vom IC-Bereich) mit 9,6 Prozent zugesprochen; hier erwartet der WSTS für dieses Jahr ein Minus von 0,9 Prozent. In diesem Jahr soll lediglich ein Produktsegment wachsen: diskrete Halbleiter um 5,9 Prozent – alle anderen Produktgruppen (Optoelektronik, Sensorik und ICs) sollen dagegen umsatztechnisch zurückfallen. Nächstes Jahr wiederum sollen die diskreten Halbleiter um 4,2 Prozent wachsen, die Optoelektronik um 1,7 Prozent und die Sensorik um 3,7 Prozent. Analog und Micro, beides Teilbereiche aus dem IC-Segment, sollen um 3,7 bzw. 7,0 Prozent an Umsatz gewinnen. Georg Steinberger, Vorstandsvorsitzender beim FBDi, kommentiert: »Ich glaube, dass der WSTS mit seiner Prognose für das nächste Jahr zu optimistisch ist. Ich gehe davon aus, dass es eher +5 Prozent werden. Denn die Rückkehr des Consumer-Marktes, des Kommunikationsmarkts mit Riesenwachstum im Speicherbereich bei High-Bandwidth-Memory, sehe ich derzeit noch nicht.«

Und was passiert im Automotive-Markt?

Die Prognosen für das Automotive-Segment als Absatzmarkt für Halbleiterhersteller sind durchaus positiv. Der ZVEI beispielsweise geht davon aus, dass der Automotive-Bereich 2030 mit 170 Mrd. Dollar der drittgrößte Absatzmarkt für Halbleiter sein wird (ist er heute schon), nach der Kommunikation mit 300 Mrd. Dollar und der Datentechnik mit 170 Mrd. Dollar.

Drews Jens
Jens Drews, Globalfoundries: »Je mehr die Amerikaner versuchen, die Chinesen von den kleinen Strukturgrößen mit Single-Digit-Nanometern fernzuhalten, desto mehr wird China in die Märkte mit größeren Strukturgrößen einsteigen und damit in die direkte Konkurrenz zu den Unternehmen gehen, die hier am Tisch sitzen.«
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Dass der Automotive-Markt sich zu einem wichtigen Absatzmarkt für die Halbleiterindustrie gemausert hat, ist bekannt, aber das ist erst der Anfang, denn in der ZVEI-Analyse heißt es auch, dass der Automotive-Markt zwischen 2021 und 2030 die größte durchschnittliche Wachstumsrate aufweisen soll, sprich: +11 Prozent pro Jahr sollen möglich sein – alle anderen Märkte sollen in diesem Zeitraum zwischen 2 (Konsumelektronik) und 8 Prozent (Industrieelektronik) wachsen.

Und auch die jüngsten Zahlen vom VDA sind positiv. So hieß es im Oktober dieses Jahres, dass die internationalen Automobilmärkte in den ersten drei Quartalen des Jahres 2023 einen Anstieg der Neuzulassungen verzeichnen konnten; dementsprechend fallen die Wachstumsraten überall positiv aus. Die konkreten VDA-Zahlen zu den Neuzulassungen von PKWs sehen für den Zeitraum Januar bis September 2023 im Vergleich zum Vorjahr folgendermaßen aus:

  • Europa (EU, EFTA & UK): +17 Prozent
  • China: +7,1 Prozent
  • USA: +14,1 Prozent
  • Mexiko: +25,4 Prozent
  • Japan: +17,7 Prozent
  • Indien: +8,1 Prozent
  • Brasilien: +9,8 Prozent

Der VDA erklärt allerdings auch: Die Automobilkonjunktur entwickelt sich in den verschiedenen Kernmärkten weitestgehend stabil, allerdings dürften die kumulierten Wachstumsraten bis zum Jahresende noch etwas abschmelzen. Zu einer gedämpften Nachfrage kommen geopolitische und gesamtwirtschaftliche Unsicherheiten und nach wie vor hohe Energie- und Verbraucherpreise, sodass auch in den kommenden Monaten und im nächsten Jahr ein herausforderndes Umfeld für die Automobilwirtschaft besteht.

Steinberger Georg
Georg Steinberger, FBDi: »Egal ob Automotive oder Industrial, die langfristige Sichtbarkeit ist momentan sehr schlecht, und man hört viel über den wiederkehrenden Opportunismus im EMS-Bereich - sprich: jeder Kunde geht dort shoppen, wo es billiger ist.«
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Gleichzeitig gibt es auch Negativmeldungen vom Markt. Beispielsweise war im Herbst zu hören, dass VW seine Produktion in verschiedenen Werken drosselt, einerseits wegen anhaltendem Teilemangel, andererseits (Zwickau und Dresden) wegen schwacher Nachfrage nach E-Autos.

Wie beurteilen die Halbleiterhersteller derzeit die Situation auf dem Automotive-Markt? Zusammengefasst lässt sich sagen: Die meisten haben ein zum Teil gigantisches Wachstum hinter sich und sind dennoch von einem weiteren Wachstum überzeugt – auch wenn es derzeit zu Korrekturen bei den Lagerbeständen kommt.

So erklärt beispielsweise Rayk Blechschmidt, European Segment Manager Transportation and Automotive bei Microchip Technology, dass Microchip bis zu diesem Jahr sehr starke Quartale verbuchen konnte. Jetzt zeichne sich eine gewisse Schwäche ab, und zwar weil die Endkundennachfrage nachlasse. Blechschmidt betont aber weiter: »Durch die Streuung der Absatzmärkte, die Microchip bedient, sprich: Industrie, Automotive und Datacenter, haben sich die Rückgänge relativ gut ausgeglichen.« Dazu kommt noch ein weiterer Vorteil: Aufgrund der Tatsache, dass die Automobilindustrie besonders schwer mit der Halbleiterkrise zu kämpfen hatte, ist sie das Problem proaktiv angegangen. Dementsprechend fügt Blechschmidt hinzu: »Wir haben sehr langfristige Abkommen und Vereinbarungen mit den Kunden getroffen, die Microchip natürlich auch dabei geholfen haben, im Automotive-Umfeld etwas länger stabil zu bleiben.«

Blechschmidt Rayk
Rayk Blechschmidt, Microchip Technology: »Schauen wir, was das nächste Jahr bringt. Der Ausblick sieht derzeit etwas schwächer aus als in den letzten Quartalen, aber immer noch positiv.«
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Doch nachdem die Halbleiterkrise überwunden wurde, stellt sich die Frage, inwieweit diese Vereinbarungen heute noch gelten. »Sie gelten noch«, so Blechschmidt. Natürlich werde mit jedem Kunden individuell überprüft, was möglich ist, denn natürlich steht auch Microchip dem Problem gegenüber, dass »Lagerbestände bestehen, und die drücken im Moment auf den aktuellen Umsatz«, so Blechschmidt weiter. Diese Lagerbestände müssten verbraucht werden, und dementsprechend würde Microchip mit jedem Automotive-Kunden individuell an Lösungen arbeiten, wie das in irgendeiner Weise abgefedert werden kann.

Hans Adlkofer wiederum, Senior Vice President und Head of Automotive System Group bei Infineon Technologies, betont, dass es wichtig sei, sich die Zahlen genau anzuschauen. Es gibt die Kurve, die die gesamte Entwicklung des Halbleiterumsatzes beschreibt, und diese weise einen Knick auf. »Das gilt aber nicht für den Automotive-Markt, dieser Bereich wächst«, so Adlkofer weiter. Infineon konnte mit bis zu 17 Prozent zulegen, das heißt, »der Automotive-Halbleitermarkt hat eine gute Zeit hinter sich und definitiv auch vor sich«, so Adlkofer. Klar: Der eigentliche Markt mit Fahrzeugen wächst nicht, ein bereits seit Jahren bestehendes Problem – aber nicht für die Halbleiterhersteller, »denn der Halbleiter-Content im Fahrzeug hat im Vergleich zu der Zeit vor vier bis fünf Jahren deutlich zugelegt. Wir kommen heute schon in den Bereich von 700 Euro, die im Durchschnitt im Fahrzeug verbaut werden«.

Und der Anteil steige weiter, das stehe im krassen Gegensatz beispielsweise zum Speicherbereich. »Die DRAM-Preise sind fast um 50 Prozent eingebrochen, und das ist genau das, was diesen Knick der Gesamtkurve verursacht hat, es ist definitiv nicht der Automotive-Markt«, erklärt Adlkofer. Dementsprechend ist er überzeugt, dass auch nächstes Jahr der Umsatz mit Automotive-Halbleitern wachsen wird. »Die Aussichten für die Halbleiterhersteller, die den Automotive-Markt bedienen, sind im nächsten Jahr nicht so rosig, wie es teilweise dargestellt wird, aber sie sind durchaus positiv«, so Adlkofers Überzeugung.

Lagerbestände kosten Geld

Die Halbleiterkrise hat der Automobilindustrie bekanntermaßen sehr zugesetzt. Dementsprechend lautete die Devise: kaufen, kaufen, kaufen. Carsten Jauch, Vice President Automotive Sales Global Key Accounts bei Renesas Electronics: »In der kritischen Zeit wurde alles genommen, was die Hersteller bekommen konnten, die Zulieferer mussten ihre Lagerbestände hochhalten, und dennoch fehlte oft trotzdem ein Teil, sodass Fahrzeuge nicht fertiggestellt werden konnten – alles andere war dafür in Unmengen vorhanden.« Ähnliches ist auch von Philippe Prats, Head of Automotive Marketing & Application EMEA bei STMicroelectronics, zu hören: »Die Knappheit war da, und keiner wollte nochmals in die Situation kommen, dass er Autos nicht fertigbauen kann, weil ein Bauteil fehlt, also wurden die Lager aufgefüllt.

STMicroelectronics hat im Jahr 2022 ein Umsatzwachstum von 35 Prozent im Automotive-Bereich erzielt. Das geht natürlich nicht jedes Jahr.« Und Thomas Rothhaupt, Director für Marketing und Vertrieb bei Inova Semiconductors, ergänzt, dass die Zulieferer von den OEMs angehalten wurden, ebenfalls entsprechende Puffer aufzubauen, was dann auch im großen Umfang passiert sei. Rothhaupt: »Ich glaube, dass sich ziemlich viel Ware, Produkte und halbfertige Produkte in der Lieferkette befinden.« Und Steinberger kommentiert: »Die Automobilindustrie muss sich gerade mit einem Thema beschäftigen, das sie die letzten Jahre überhaupt nicht kannte, sprich: Excess-Management bei Halbleitern.« Und schaut man im Internet nach, stellt man fest, dass einige Unternehmen der Automobilindustrie ihre Dienste anbieten, um Halbleiterüberbestände zu reduzieren.

Wie lange die Lagerbereinigung dauern wird, weiß keiner genau. Jauch wagt eine Prognose: »Die Lagerbereinigung läuft bereits, und das hat Auswirkungen auf das vierte Quartal 2023, wohl auch noch auf das erste 2024 und vielleicht noch auf das zweite Quartal.« Wobei Adlkofer darauf hinweist, dass die Lagerbereinigung natürlich nicht alle Produkte betrifft. »Die Verfügbarkeit von SiC wird auch noch die nächsten Jahre noch schwierig bleiben.«


  1. Zweifel an Wachstumsprognose
  2. Der Automotive-Markt ist weiterhin intakt

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