In den letzten Jahren wurde vor allem auch am Standort Nürnberg einiges investiert. Wollen Sie den Standort noch weiter ausbauen, oder richten sich Ihre Anstrengungen in Zukunft vor allem auf die Entwicklungs- und Produktionsstandorte im Ausland?
Wir beschäftigen heute rund 1300 Mitarbeiter in Nürnberg. Wir haben noch gewisse räumliche Möglichkeiten für innovative Produktionslinien, viele der neuen Standardmodule werden aber am Standort Semikron Slowakei laufen. Als Entwicklungszentrum behält Nürnberg natürlich die zentrale Bedeutung für die gesamte Firmengruppe. Mit unserer 6-Zoll-Bipolar-Chip-Fertigung sind wir aktuell sehr zufrieden, weitere massive Investitionen in die eigenen Halbleiterfertigungs-Aktivitäten sind aber nicht geplant. Wir investieren stattdessen stark in F&E für neue Lösungen im Bereich Aufbau- und Verbindungstechnik sowie in Automatisierung. Semikron ist einer der Pioniere im Einsatz von Sintertechnologien für Leistungselektronikmodule. Bereits 2007 haben wir das erste Produkt basierend auf Sintertechnologie vorgestellt. In diese Technologie wird auch weiterhin stark investiert. Daneben planen wir unsere Kernkompetenzen im Bereich SKAI Komplettumrichter für den Bus- und Nutzfahrzeugbereich weiter stark auszubauen. Der größte Anteil unsere Umsätze mit SKAI liegt aktuell aber ganz klar im extrem schnell wachsenden chinesischen Markt.
Wie im IGBT-Bereich erhöht sich auch die Zahl der Anbieter bei den Wide-Band-Gap-Materialien wie SiC und GaN. Wie weit ist die Integration dieser Technologien in Semikron-Lösungen bislang gediehen?
Für die SiC-Player sind wir als Kunde mit großem Einkaufsvolumen natürlich äußerst attraktiv. Ein simpler Ersatz von IGBT durch SiC in einem klassischen Leistungshalbleitermodul kann das Potenzial allerdings nicht heben, das in diesem Material steckt. Unser Fokus bei den SiC-Modulen liegt daher auf Lösungen, die mit klassischen Modulaufbauten nicht machbar sind. Die notwendigen Produktionsverfahren für extrem niederinduktive und zuverlässige Modulaufbauten sind bei uns verfügbar. Der Einsatz dieser Module lohnt sich aufgrund der hohen SiC-Chipkosten heute nur dort, wo sie über Systemvorteile wirklichen Mehrwert für den Kunden bieten. Ich gehe vor diesem Hintergrund davon aus, dass es sicher noch einige Jahre dauern wird, bis Full SiC-Module eine Normalität auch in Standard-Umrichtern sein werden.
Und wie beurteilen Sie die zahlreichen Anstrengungen im GaN-Bereich?
Hier hat sich technologisch in den letzten sechs bis neun Monaten einiges getan. Vom Potenzial her sehe ich GaN vor allem in schneller schaltenden Solarinverter- und USV-Anwendungen. Wir stehen in Kontakt mit verschiedenen Herstellern und beschäftigen uns in der Entwicklung auch mit für GaN geeignete Lösungen. Auch hier gilt wie bei SiC: Ein simples „Replacement“ bringt wenig, die Möglichkeiten von GaN kann ich nur dann wirklich ausschöpfen, wenn ich dieses Material in den Systemansatz meiner Lösung einbeziehe.
Semikron selbst scheint sich dagegen von einem Spezialisten immer mehr in Richtung eines Broadliners zu entwickeln. Warum haben Sie diesen Weg eingeschlagen?
Nach wie vor ist Semikron anerkannter Spezialist für innovative Produkte und Technologien in der Leistungselektronik. Das ist unabdingbare Basis für die Entwicklung von kostengünstigen und zuverlässigen Komponenten und Modulen. Allerdings fordert der Markt heute eben auch verstärkt austauschbare Standardprodukte. Ein Effekt eines zunehmend großen Nachfragemarktes – diesem Trend stellen wir uns und haben daher in den letzten 2-3 Jahren eine allseits begrüßte Portfolio-Erweiterung vollzogen. Wir kommen viel besser mit dem Kunden ins Geschäft, wenn wir neben Single-Source Produkten eben auch Standardprodukte im Programm haben. So gesehen entwickeln wir uns Schritt für Schritt zu einem Vollsortimenter und bauen natürlich auch weiterhin auf hohe Kompetenz für kundenspezifische oder eben auch Single-Source Lösungen.
Semikron hat sich in der Vergangenheit in Zusammenarbeit mit Magna stark im Forschungsbereich Automotive engagiert. Liegt der Bereich Automotive nach wie vor in Ihrem Fokus?
Semikron ist nach wie vor stark im Bereich Automotive engagiert. Für EV/HEV-PKW bieten wir heute allerdings keine Komplettumrichter mehr an - als Tier 1 für diese Kunden ist Semikron sicherlich nicht groß genug. Unser Produktprogramm erstreckt sich hier auf einige gesinterte Modultypen, die in Europa aber auch in China erfolgreich eingesetzt werden. Großen Erfolg verzeichnen wir im Bereich Komplettumrichter für den Einsatz in Elektro- und Hybridbussen. Das Stückzahlvolumen ist im Vergleich mit PKW-Großserien sicherlich sehr viel kleiner, sorgt aber für uns für einen deutlichen Umsatzschub und bietet auch weiterhin großes Potenzial. Bus- und Nutzfahrzeuge-OEMs sowie Systemintegratoren nutzen unsere Stückzahlbündelungseffekte und unsere freigegebene Serienproduktionslinie. An dieser Stelle können wir dann das ganze Spektrum unserer Kompetenzen nutzen, über die Semikron verfügt. So fällt in diesem Bereich die Make-or-Buy Entscheidung dann eben doch häufig pro Semikron aus.
Ein anderes Thema sind Kooperationen im Bereich Gehäusetechnik. Hier hat es in den letzten Jahren viel Bewegung gegeben. Wird sich dieser Trend fortsetzen?
Wir stehen hier der kürzlich vorgestellten Open-Source-Initiative von ABB und Siemens offen gegenüber. Hier geht es um Leistungshalbleiter-Module im MV-Bereich für Applikationen im Leistungsbereich von 50 bis 500 kW. Definiert sind Gehäuseform, Abmessungen und die Schnittstellen zum Zwischenkreis und zur Ansteuerelektronik.Die Differenzierung der Modulhersteller kann dann über die unterschiedlichen Schaltungskonzepte sowie die Aufbau- und Verbindungstechnik erfolgen, die im Modul realisiert wird. Letztlich kann der Kunde eine Standardkomponente, die sich in Performance und Reliability aber durchaus von Anbieter zu Anbieter unterscheiden kann. Ein in unseren Augen absolut unterstützenwertes Konzept.
Eine ganz andere Herausforderung stellen die nach Deutschland strömenden Flüchtlinge dar. Aktuell wird über die Möglichkeit ihrer Integration in die deutsche Wirtschaft diskutiert. Sehen Sie in dieser unerwarteten Zuwanderung eine Lösung für den beklagten Facharbeitermangel?
Unsere internationale Ausrichtung spiegelt sich in den zahlreichen Nationalitäten unserer Mitarbeiter wider. Entscheidend für eine Integration von Flüchtlingen in die deutsche Wirtschaft sind zuerst einmal sicherlich ausreichende Sprachkenntnisse. Diese Zuwanderung bietet sicherlich Chancen, mit der konkreten Möglichkeit der Integration haben wir uns bisher noch nicht eingehend beschäftigt. Wir werden jetzt erst mal Kontakt mit den entsprechenden Stellen in Nürnberg aufnehmen. Ende des Jahres kann ich ihnen zu diesem Thema vielleicht schon mehr sagen.