Roboter übernehmen in der Industrie viele Aufgaben und steigern die Produktivität. Der Einsatz von KI in der Robotik hat ferner das Potenzial, die Wertschöpfungskette flexibler und resilienter zu gestalten. Doch wie lassen sich KI und Robotik effizient kombinieren? Und wo bleibt dabei der Mensch?
Künstliche Intelligenz ist keine neue Technologie. Sie hat ihre Ursprünge schon in den 1960er Jahren, doch ihr disruptives Potenzial erreichen wir nun mit dem Einsatz generativer KI. Der Boom um ChatGPT macht diese Entwicklung deutlich: Facebook brauchte 54 Monate, um die 100-Millionen-Nutzer-Marke zu knacken, ChatGPT erreichte diesen Meilenstein in nur zwei Monaten.
Analytische KI erkennt Abweichungen im Soll-Zustand und trifft Vorhersagen auf Basis gelernter Daten. Diese Form der KI wird bereits in vielen Branchen und Industrien eingesetzt, etwa um Prozesse zu analysieren oder Anomalien und Abweichungen zu erkennen. Generative KI ist hingegen in der Lage, neue Inhalte, wie Text, Bilder oder Videos, zu erstellen und neu zu interpretieren. Sie kann selbst lernen.
Die Kombination aus Analytischer und Generativer KI in der Robotik hat das Potenzial, die Industrie zu transformieren und eine neue Ära der Fertigung einzuleiten.
Robotik ist in der Industrie, besonders in der Produktion, schon lange etabliert. Die Nachfrage steigt nun jedoch rapide an. In den vergangenen fünf Jahren wurden weltweit mehr Industrieroboter eingesetzt als in den 15 Jahren davor. Schon ab 2024 werden voraussichtlich mehr als eine halbe Million Industrieroboter jährlich installiert. Diese Entwicklung ist nicht zuletzt getrieben von globalen Megatrends, die auch vor Deutschland nicht Halt machen:
• Die Personalisierung von Produkten und Dienstleistungen rückt immer mehr ins Zentrum der Nachfrage.
• Digitalisierung stellt viele Branchen vor Herausforderungen und ist zugleich essenziell für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit.
• Der Mangel an Fach- und Arbeitskräften erfordert neue Prozesse, die Mitarbeiter entlasten.
• Naturkatastrophen und Engpässe in der globalen Lieferkette, verursacht etwa durch Staus auf den Handelswegen, erfordern eine resiliente und zugleich möglichst nachhaltige Antwort.
Das Ausmaß, die Unberechenbarkeit und die Komplexität dieser Herausforderungen verursachen ein hohes Maß an Unsicherheit. Die Industrie ist dadurch gezwungen, Prozesse zu ändern und neue Wege zu gehen, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben.
Unternehmen suchen daher nach Möglichkeiten, die Produktivität zu steigern und die Qualität zu sichern beziehungsweise zu erhöhen. Hinzu kommen jetzt gestiegene Anforderungen an die Flexibilität und die Einfachheit der Bedienung und Verwaltung von Produktionseinrichtungen. Diese beiden Faktoren werden zunehmend erfolgskritisch. Wer sich nicht anpasst, wird nicht überleben. Das gilt für die Produktion ebenso wie für die Distribution und Logistik.
Robotik gibt der Industrie ein Stück Flexibilität zurück. Durch den vermehrten Einsatz von Daten und KI erreicht die Robotik die nächste Entwicklungsstufe, in der Roboter autonomer und mobiler agieren können sowie die Bildverarbeitung und Analysefähigkeiten verbessern. KI ermöglicht es, Daten in Informationen umzuwandeln, sodass Roboter nicht nur in der Fertigung, sondern auch in unstrukturierten, dynamischen Umgebungen autonom agieren können. Diverse Beispiele aus der Industrie zeigen, wie KI und Robotik schon jetzt Hand in Hand arbeiten.
Besonders in der Automobilindustrie spielen Prozessgeschwindigkeit und Qualitätssicherung eine entscheidende Rolle. Allein an der Karosserie eines Autos gibt es mehrere Tausend Schweißpunkte, die alle einzeln überprüft werden müssen. Dieser Vorgang ist, wenn er manuell ausgeführt werden muss, arbeitsintensiv und langwierig. Roboter überprüfen mithilfe des ABB-Komplettpakets »Ultrasonic Spot Welding Quality Inspection« Schweißpunkte. Die Lösung lässt sich leicht skalieren, in bestehende Fertigungslinien integrieren oder separat als eigenständige Zelle betreiben. Sie bietet eine hohe Effizienz dank der kurzen Prüfzeit pro Schweißpunkt. Daraus ergeben sich Einsparpotenziale bei manuellen Qualitätsprüfungen. Machine Learning (ML) hilft dabei, fehlerhafte Punkte zu identifizieren und an das System zu melden. Die Kombination von Robotik und KI steigert die Produktivität in diesem Anwendungsfall um das 20-fache. Während ein Mitarbeiter im Jahr etwa 85.000 Schweißpunkte überprüfen kann, schafft ein Roboter über 1,8 Millionen.
Generative KI ermächtigt Roboter dazu, eigenständig zu lernen. Ohne spezifische Programmierung geht der Roboter dabei nach dem Trial-and-Error-Prinzip vor. Er probiert so lange verschiedene Varianten durch, bis eine davon zum gewünschten Endergebnis führt. So können Roboter auch Aufgaben übernehmen, die für eine herkömmliche Programmierung zu vielschichtig oder komplex sind. Der Lernvorgang kann dank spezieller Software auch virtuell stattfinden.
Qualifizierte Arbeitskräfte zu finden und zu halten, ist für Lagerbetreiber eine konstante Herausforderung. Besonders Pick-and-Place- oder Item-Picking-Anwendungen sorgen durch ihren monotonen Charakter für verminderte Produktivität, hohe Fluktuationsraten und damit verbundene Rekrutierungskosten. Fullfillment Center setzen deshalb verstärkt auf den Einsatz von Robotern, doch die hohe Pickrate, die große Vielfalt an Artikeln und Verformungen von Paketen, wie etwa bei Kleidungsstücken häufig der Fall, stellt auch für die Robotik eine Herausforderung dar. Hier spielt KI ihre Vorteile aus. Machine Vision und KI ist beispielsweise in ABBs »Robotic Item Picker« kombiniert.
Ausgestattet mit einem Roboter, Vakuumgreifern und einer speziellen Bildverarbeitungs-Software ist der Robotic Item Picker in der Lage, Artikel in unstrukturierten Umgebungen in Lagern und Fulfillment-Zentren genau zu erkennen und zu kommissionieren. Objekte können auch abgelehnt werden, wenn sie nicht der vorgegebenen Form oder Größe entsprechen. Auch die Vereinzelung von Paketen ist möglich, und zusätzlich steigt die Produktivität, denn die Pickrate eines Roboters liegt mit 750 bis 1400 Artikeln pro Stunde und einer Induktionsrate von 99 Prozent weit über der eines Menschen.
In Frachthäfen kommen Roboter zum Be- und Entladen von Containerschiffen und Lkw zum Einsatz. Der Ladeprozess läuft dabei vollautomatisiert über ein Kransystem ab. Die Schwierigkeit liegt jedoch in der Sicherung. Fast jeder Lkw verfügt über ein eigenes Sicherungssystem. Es gibt hunderte verschiedene Arten von Sicherungsbolzen. Die KI in den Robotern scannt und erkennt die Art der Bolzen und sorgt so für eine vorschriftsgerechte Frachtsicherung. Zwei Roboter reichen bereits aus, um 30 Container-Lkw in der Stunde abzufertigen – und Roboter arbeiten 24 Stunden am Tag.
In Fabriken ist autonome Mobilität entscheidend für eine flexible Automatisierung. Das Geheimrezept hier heißt »Visual SLAM« (Visual Simultaneous Localization and Mapping). Die Kombination aus KI und 3D-Bildverarbeitung versetzt AMR in die Lage, zwischen festen und beweglichen Objekten zu unterscheiden, ihre Umgebung selbstständig zu kartieren und auf dieser Basis intelligente Entscheidungen zu treffen. Gepaart mit der Software AMR-Studio für intuitives Programmieren und Steuerung verkürzt sich die Inbetriebnahmezeit um bis zu 20 Prozent. Dies vereinfacht und beschleunigt für Unternehmen mit unterschiedlichen Automatisierungs-Reifegraden und/oder einem Mangel an internen Robotik-Experten den Einstieg in die AMR-Welt.
Die Beispiele veranschaulichen, wie die Kombination aus KI und Robotik Probleme in der Industrie löst, neue Anwendungsbereiche erschließt und sowohl Produktionsprozess als auch Logistik effizienter, zuverlässiger, produktiver, sicherer und vor allem flexibler gestaltet.
Die nächste Generation der Fertigung kombiniert all diese Konzepte in einer Anlage. Roboterzellen agieren dort vollautomatisiert und vernetzt mit autonomen mobilen Robotern, die untereinander orchestriert sind und kommunizieren. Statt linearer Produktionslinien entstehen so flexible Netzwerke, die auf dynamische Anforderungen reagieren können.
o Signifikante Platzersparnis, weil die Teillogistik zentral für alle Fertigungszellen in der Produktion integriert wird.
o Unkomplizierte Anpassung der Kapazitäten an dynamische Anforderungen; einzelne Zellen lassen sich leicht hinzufügen.
o Vernetzung der Komponenten und Austausch von Daten, nicht nur zwischen Robotern, sondern über den gesamten Produktionsprozess hinweg.
Wichtig dabei ist die gezielte Sammlung und Analyse der generierten Daten. Sie lassen sich für das zukünftige Training und die Weiterentwicklung der KI nutzen. Die Kombination von KI und Robotik in der Fertigung liefert zudem schnellere, qualitativ bessere und fundierte Entscheidungen für die Produktionssteuerung und führt zu resilienteren Wertschöpfungsketten.
Durch fortschrittliche Mechatronik sowie KI- und Bildverarbeitungssysteme sind ABB-Roboter heute zugänglicher, leistungsfähiger, flexibler und mobiler als je zuvor. Immer häufiger arbeiten sie nahtlos mit Menschen oder anderen Robotern zusammen, um mehr Aufgaben an mehr Orten erledigen zu können. Unter dem Namen »OmniCore« hat ABB Mitte 2024 hierzu eine einheitliche Steuerungsarchitektur auf den Markt gebracht, die auf einer einzigen Plattform und Sprache beruht und das gesamte Portfolio an Hard- und Software integriert.
Doch wo bleibt der Mensch in diesem Zukunftsszenario? Es ist richtig, dass Robotik, besonders in Kombination mit KI, heutige Berufsbilder verändert. Dabei steht jedoch die Entlastung der Menschen von schweren körperlichen, gefährlichen oder repetitiven Aufgaben im Vordergrund. So werden Kapazitäten freigesetzt, die sich wiederum für abwechslungsreichere oder kreative Aufgaben wie die Produktentwicklung nutzen lassen.
Unternehmen sollten Mitarbeiter jedoch frühzeitig in die Transformation miteinbeziehen. Man muss heutzutage – dank intuitiver Tools – kein Robotik-Experte sein, um einen Roboter programmieren zu können. Wer seine Mitarbeiter im Umgang mit Robotern frühzeitig schult, schafft zukunftssichere Arbeitsplätze und generiert einen Mehrwert für das Unternehmen.
Eine frühe Auseinandersetzung mit neuen Technologien hilft zudem, Ängste abzubauen und sicherer im Umgang mit Robotern zu werden. Wer schon im Kindheitsalter regelmäßig Berührungspunkte mit Robotik und KI hat, erlernt wichtige digitale Kompetenzen. Diese Qualifikationen werden in der Arbeitswelt von morgen entscheidend sein.
In der Zukunft arbeiten Menschen und Roboter in zahlreichen Branchen erfolgreich Seite an Seite. Damit das volle Potenzial von KI und Robotik jedoch ausgeschöpft werden kann, müssen Politik, Wissenschaft, Arbeitnehmervertretungen und Unternehmen an einem Strang ziehen. Besonders die Politik ist hier in der Verantwortung, die strategische Notwendigkeit von KI und Robotik zu erkennen und einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der Innovationen fördert. Denn richtig eingesetzt sind KI und Robotik Schlüsseltechnologien, die dazu beitragen, den Wohlstand in Deutschland zu sichern.
Jörg Rommelfanger ist Leiter der Robotics-Division von ABB in Deutschland.