Die Entscheidung ist gefallen: Siemens gibt die Mehrheit an der Medizintechnik-Tochter Healthineers ab. 30 Prozent gehen direkt an die Aktionäre, mittelfristig soll nur noch eine Finanzbeteiligung bleiben. Die Trennung vom »One-Tech«-Kerngeschäft gilt als konsequent – doch sie wirft auch Fragen auf.
Der 12. November 2025 markiert einen Wendepunkt für den Münchener Technologiekonzern: Siemens gibt seine Kontrollmehrheit an der Medizintechnik-Tochter Siemens Healthineers auf. Der Vorstand hat mit Zustimmung des Aufsichtsrats beschlossen, die aktuell rund 67 Prozent umfassende Beteiligung zu entkonsolidieren. Rund 30 Prozent der Healthineers-Anteile sollen vorzugsweise in Form einer Direktabspaltung an die Siemens-Aktionäre übertragen werden – ein Geschenk im Wert von rund 15 Milliarden Euro.
»Der heutige Tag markiert den Beginn der nächsten Wachstumsphase für Siemens«, erklärte Vorstandsvorsitzender Roland Busch, wie das Handelsblatt berichtet. Ziel sei »ein beschleunigtes, profitableres Wachstum der digitalen Geschäfte und der vernetzten Hardware sowie auf dem Feld der industriellen KI«. Die Entscheidung sei »historisch«, ordnet das Handelsblatt korrekt ein. Mittelfristig ist geplant, die verbleibende Beteiligung auf eine reine Finanzbeteiligung zu reduzieren.
Die der Entscheidung vorangegangene lebhafte Diskussion im Aufsichtsrat sei »anstrengend und langwierig« gewesen, hieß es aus dem Unternehmensumfeld. Aktionäre hatten schon länger eine Trennung gefordert, da Healthineers zu den anderen Geschäften keine Synergien aufweise und viel Kapital binde. »Wir tragen das Konzept der integrierten One-Tech-Company mit, weil es aus heutiger Sicht langfristig die besten Aussichten für Siemens bietet«, sagte der zweite Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Kerner. Die Healthineers passten »auf Dauer nicht mehr wirklich zu den anderen Geschäften« – Digital Industries, Smart Infrastructure und Mobility.
Wichtig sei jetzt aber, ergänzte Aufsichtsrats-Vizin Birgit Steinborn, frühere Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, ebenfalls laut Handelsblatt, dass »die künftigen Erlöse aus dem Aktienverkauf nicht als einmalige Kursspritze vor allem den Aktionärinnen und Aktionären zugutekommen – wir verlangen eine kluge und vorausschauende Reinvestition des Löwenanteils in das Unternehmen«. Die Entkonsolidierung biete das Potenzial, langfristigen Wert für Siemens-Aktionäre als »stärker fokussiertes Technologieunternehmen« zu schaffen, heißt es in der Unternehmensmitteilung.
Auf der anderen Seite des Tisches herrscht Erleichterung. »Wir schätzen die Klarheit. Das ist eine gute Nachricht für Siemens Healthineers«, sagte Vorstandsvorsitzender Bernd Montag. Man setze damit den Weg zu einem »vollkommen unabhängigen Unternehmen fort, den wir mit unserem Börsengang im Jahr 2018 begonnen haben«. Diese Klarheit hatte Montag bereits in den Monaten zuvor eingefordert; die Ungewissheit über das weitere Vorgehen des Mutterkonzerns habe den Aktienkurs von Healthineers in den vergangenen Jahren belastet.
Die ebenfalls im DAX gelisteten Healthineers stehen für etwa 30 Prozent des Siemens-Umsatzes. Das Unternehmen ist Weltmarktführer in der medizinischen Bildgebung, zum Beispiel mit Computertomografen. Mit einem Börsenwert von 50 Milliarden Euro ist die Medizintechnik-Tochter bereits heute ein DAX-Schwergewicht. Die 67 Prozent von Siemens sind knapp 34 Milliarden Euro wert.
Die Finanzmärkte hatten zuletzt mit der Entscheidung gerechnet: Am Mittwoch stieg der Kurs der Siemens-Aktie zwischenzeitlich um zwei Prozent auf einen neuen Höchststand von 251 Euro. Allerdings gaben Healthineers-Aktien um 2,3 Prozent nach. »Bislang sei die Fokussierungsstrategie aufgegangen«, sagte Harald Smolak dem Handelsblatt. Smolak ist Partner bei der Managementberatung Atreus und war früher selbst im Siemens-Management tätig. Healthineers sei allerdings auch »eine Perle im Konzern, die bislang stets eine gewisse Stabilität in den Ergebnissen gesichert hat«.
Healthineers werde von einem deutlich höheren Streubesitz profitieren und dürfte so am Kapitalmarkt attraktiver werden, heißt es von Siemens. Im abgelaufenen Geschäftsjahr hat Healthineers knapp 2,2 Milliarden Euro Gewinn gemacht und damit einiges zum Jahresergebnis der Mutter beigetragen. Das Unternehmen mit Hauptsitz am alten Siemens-Standort Erlangen beschäftigt weltweit mehr als 70.000 Menschen.
Nun will Siemens die Umsatzeinbußen durch die Abspaltung durch schnelleres Wachstum in den verbliebenen Kerngeschäften rasch wettmachen, schreibt das Handelsblatt. CEO Busch präsentiert dazu am Donnerstag seine neue »One Tech Company«-Strategie. Nach Informationen aus Unternehmenskreisen sollen die Geschäftsbereiche noch enger verknüpft werden. So sollen Technologien nicht mehr in unterschiedlichen Geschäften parallel entwickelt werden. Auch der Auftritt beim Kunden soll stärker vereinheitlicht werden.
»Wir ändern das Betriebssystem der Firma«, sagte Busch dem Handelsblatt. In Industriekreisen werde auch damit gerechnet, dass die Effizienz in der Verwaltung durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz verbessert werden soll, was manche den Abbau von Stellen befürchten lasse, berichtet das Blatt. Mit den Übernahmen der US-Unternehmen Altair und Dotmatics wolle man die Führungsposition bei Software und Künstlicher Intelligenz ausbauen, erklärte Busch.
Die geplante Transaktion steht unter dem Vorbehalt abschließender regulatorischer Klärungen sowie der Zustimmung durch die Hauptversammlungen beider Unternehmen. In den kommenden Monaten werde Siemens an der konkreten Ausgestaltung der Struktur und des Zeitplans arbeiten. Weitere Details will der Konzern Anfang des zweiten Quartals 2026 bekannt geben.
Für die Beschäftigten gab es wichtige Zusagen: Unter anderem eine unveränderte Tarifbindung, Standort- und Beschäftigungssicherung sowie der Verbleib der Unternehmenszentrale in Deutschland. Die Trennung sei »ein letztlich konsequenter Schritt – auch wenn er nicht leicht falle«, heißt es von IG Metall und Betriebsrat. Wichtig sei gewesen, für die Trennung tragfähige Bedingungen zu erreichen.
Die Weichen für die Nachfolge im Finanzvorstand wurden ebenfalls gestellt: Vorstandsmitglied Veronika Bienert soll im Verlauf des Geschäftsjahres 2026 das Amt von Ralf Thomas übernehmen, meldet KMA Online. Thomas soll danach Aufsichtsratschef bei Siemens Healthineers bleiben. Für die Siemens-Aktionäre gab es eine wichtige Zusage: Die progressive Dividendenpolitik soll auch nach der Entkonsolidierung von Healthineers beibehalten werden.
Die Entscheidung, die auf der Medica nächste Woche für einigen Gesprächsstoff in der Medtech-Branche sorgen dürfte, beendet vorerst den Portfolioumbau der vergangenen Jahre. Siemens hatte bereits die Energietechnik als Siemens Energy abgespalten. Dass der Konzern über mehr als sieben Jahre eine so hohe Beteiligung wie bei Healthineers hält, kam dabei aber nicht vor.
So konsequent der Schritt also strategisch erscheint – Fragen bleiben. Die Entkonsolidierung erweitere zwar Spielräume für Siemens, erläuterte Finanzvorstand Ralf Thomas. Doch wohin genau die freigewordenen Milliarden fließen sollen, um die verbleibenden Kernsparten wirklich profitabler zu machen, bleibt vorerst offen. Mit der Abspaltung endet eine jahrzehntelange Ära – ob die angekündigte Fokussierung den erhofften Mehrwert bringt, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Für Bernd Montag und seine Healthineers dürfte das »auf eigenen Beinen stehen« deutlich weniger Auswirkungen haben - und schließlich sogar eine gute Nachricht sein.