Winterliches Networking der technischen Art: OP-Robotik, Realtime-Connectivity und KI-Regularien brachten 60 Experten aus Medizintechnik und Elektronik zum intensiven Austausch in Haar zusammen. Bilder und Stimmen aus der Componeers-Lounge spiegeln den fachlichen Austausch zum »OP der Zukunft«.
Robotik und OP-Connectivity gepaart mit Kaiserschmarrn und KI: Bringt ein OP-Roboter wirklich Mehrwert für Patienten? Wie können die Standards SDC und DDS für echtzeitfähige Medizinprodukte kombiniert werden? Und kann der EU AI Act die Gerätezertifizierung erneut ausbremsen? Beim Medical Solution Day mit Alpenküche und Glühwein wurde schnell klar: Für Medizintechnik-Entwickler ist die Gerätevernetzung im OP eine der großen Aufgaben – mit aktuell sehr vielen offenen Architektur- und Integrationsfragen.
Die Frage, wie sich der OP der Zukunft sicher vernetzen, intelligenter steuern und regulatorisch beherrschen lässt war das Leitthema des nunmehr dritten Anwendertages unter dem Dach der »Elektronik Medical« – technisch anspruchsvoll, aber mit deutlichem Praxisbezug. Rund 60 Expertinnen und Experten aus Medizintechnik, der Klinik-Integration und Industrie nutzten die Gelegenheit, um sich fachlich tief auszutauschen und persönliche Kontakte zu pflegen.
Den Auftakt macht die Keynote von Dr. Lukas Bernhard vom Klinikum der TU München, der mit seiner Arbeitsgruppe MITI direkt am Klinikum rechts der Isar an kliniknaher Robotik forscht. Statt die OP-Robotik ausschließlich zu feiern, legte er auch deren Grenzen offen: Von 50 Studien zeigten lediglich vier einen messbaren Vorteil für Patienten, der überwiegende Teil bescheinigte ein ähnliches Outcome wie der konventionellen Laparoskopie – trotz dem enormem technischem Aufwand und den damit verbundenen Kosten.
Bernhard nutzte diese nüchterne Bilanz als Ausgangspunkt, um über neue Ansätze zu sprechen: patientenspezifisch designte, teils in der Klinik 3D-gedruckte OP-Roboter, KI-gestützte Automatisierung einzelner Skills wie Greifen und Retraktion sowie eine robotische Assistenz für Logistik und Kameraführung im OP. Ziel sei es, Robotik aus der reinen »Hightech-Ergonomie« herauszuführen und dort Mehrwert zu schaffen, wo Personalmangel und Prozessbrüche heute den Alltag prägen.
Nahtlos daran knüpfte Dr. Marcus Köny von Steute Technologies an, indem er die Kommunikationsebene des vernetzten OPs in den Fokus rückte. Mit dem im Aufbau befindlichen Real-Time-SDC-Standard zeigte er, wie die etablierte IEEE-11073-SDC-Welt durch die Kombination von Time-Sensitive Networking, Precision Time Protocol und Data Distribution Service um deterministische Echtzeitfähigkeit ergänzt werden kann. In Praxisbeispielen – etwa einem funkbasierten Fußschalter, der simultan HF-Chirurgiegerät und Navigation adressiert – demonstrierte er, dass sich selbst bei hoher Netzwerklast Reaktionszeiten im Submillisekundenbereich garantieren lassen.
Für Gerätehersteller bedeutet das nicht nur Interoperabilität auf SDC-Basis, sondern auch neue Spielräume für Closed-Loop-Anwendungen, bei denen mehrere Systeme eng gekoppelt zusammenarbeiten – etwa Bildgebung, Monitoring und Therapie. Dr. Köny machte deutlich, dass sich damit die Brücke zwischen heutigen, inselspezifischen Integrationsprojekten und einem skalierbaren, standardbasierten OP-Netzwerk schlagen lässt.
| »Die Veranstaltung war sehr informativ und ich werde diese weiterempfehlen. Fachlich war ich besonders an den Connectivity Themen interessiert, [...] die Gerätevernetzung ist eine der größeren Aufgaben bei allen Geräteherstellern.« |
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| Dr. Markus Weiler, Erbe Elektromedizin |
SDC und DDS klug kombiniert
Wie sich Kommunikationsarchitekturen strategisch kombinieren lassen, vertiefte anschließend Dr. Valentin Kammerlohr von Vector Informatik. Er stellte SDC als serviceorientierte, standardisierte Architektur mit klarer regulatorischer Verankerung der DDS-Welt gegenüber, die aus dem industriellen Umfeld stammt und auf sehr performante Publish/Subscribe-Kommunikation mit extrem niedrigen Latenzen ausgelegt ist.
Sein Fazit: Im klinischen Umfeld bietet SDC Plug-and-Play, erleichtert Zulassung und Integration in KIS- und OP-IT-Strukturen; während DDS dort punktet, wo Robotik, Echtzeit-Tracking und bildbasierte Assistenzsysteme höchste Anforderungen an Durchsatz und Latenz stellen. In hybriden Szenarien kann DDS die Performance bereitstellen, während SDC für standardisierte Dienste, Gerätebeschreibung und Governance sorgt – ein Ansatz, der insbesondere für modulare OP-Konzepte tauge.
Mit diesem Architektur-Blick im Hinterkopf wirkte der Vortrag von Jens Rennert vom OP-Integrateur Riwolink (eine Tochter von Richard Wolf) wie die logische Fortsetzung auf Prozessebene. Er zeigte, wie sich OP-Datenmanagement so aufsetzen lässt, dass Geräte-, Video- und Dokumentationsdaten mit Informationen aus dem Krankenhaus-Informationssystem in einem webbasierten System zusammenfließen. Bemerkenswert war seine Einschätzung, dass Zeitgewinne vor allem zwischen zwei Eingriffen entstehen – etwa durch effizientere Vorbereitung, Dokumentation und Rückverfolgbarkeit –, weniger während der eigentlichen Operation. Bei 50 Euro Kosten pro OP-Minute ließen sich für ein Krankenhaus damit viele tausende Euro einsparen.
Rennert adressierte zudem sehr klar die organisatorische Hürde: Ausschreibungen, die innovative, serviceorientierte Geschäftsmodelle ausbremsen, weil sie zu stark auf Hardware-Spezifikationen und zu wenig auf klinische Use Cases fokussieren. Damit knüpfte er an eine zentrale Botschaft des Tages an: Technik ist verfügbar – die eigentliche Herausforderung liegt in Prozessen, Beschaffung und Integration.
Den Übergang in die physische Ebene der Datenübertragung gestaltete nach der Kaffeepause Mathias Wuttke von ODU. Ausgehend von einem »heillosen Durcheinander« im OP vor 20 Jahren mit Kabeln und Geräten auf engstem Raum, zeichnete er das Bild eines aufgeräumten, modularen OPs, in dem vernetzte Tower über wenige, leistungsfähige Schnittstellen angebunden sind. Seine Kernaussage: Drahtlose Kommunikation wird weiter wachsen, aber bei echtzeitkritischen, sicherheitsrelevanten Anwendungen bleibt die Leitung mit einem definiertem Stecker das Mittel der Wahl.
Hier setzte Rudolf Weidenspointner, ebenfalls von ODU, mit einem Deep Dive in die Glasfasertechnologie an. Klassische LC-, SC- oder MTP-Steckverbinder aus dem Rechenzentrum kommen in der Medizintechnik schnell an Grenzen: begrenzte Steckzyklen, Reinigungsaufwand und die Gefahr verkratzter Ferrulen. Das Expanded-Beam-Prinzip nutzt Mikrolinsen, die den Lichtstrahl aufweiten und einen Luftspalt überbrücken – Verunreinigungen und Mikroschäden verlieren damit einen Großteil ihrer Relevanz, bei einer typischen Einfügedämpfung von rund 0,5 dB pro Kontakt. Für den vernetzten OP eröffnet das robuste, wartungsarme Glasfaserverbindungen mit hoher Packungsdichte, etwa für 4K- oder perspektivisch 8K-Videoanwendungen.
Zum Abschluss ordnete Malte Knowles Schmidt vom TÜV Süd die regulatorische Dimension ein und holte die Diskussion um den AI Act auf den Boden der medizintechnischen Realität. Sein wesentlicher Punkt: Die Medizintechnikindustrie arbeitet seit Jahren mit strengen Regularien; der AI Act ergänzt diese um KI-spezifische Anforderungen, ohne das System komplett neu zu erfinden. »Rund 20 Prozent der beim TÜV Süd zertifizierten Medizinprodukte enthalten heute bereits KI« – dies sei laut Schmidt ein Indiz dafür, dass sich regulatorische Anforderungen und Innovation durchaus vereinbaren lassen. Aus seiner Perspektive wird der ...
Als pragmatisches Werkzeug empfahl Schmidt das Team-NB-Positionspapier, das Unternehmen systematisch durch Fragen zu Data Governance, Risikomanagement, Transparenz und Post-Market-Monitoring führt. Leitfragen wie »Wo steckt KI im Produkt?, Ist sie sicherheitsrelevant? Und braucht das Produkt sie wirklich?« helfen Medtech-OEMs, Projekte frühzeitig zu strukturieren und spätere Schleifen mit Benannten Stellen zu vermeiden. »KI lebt vom Mitmachen,« betonte Schmidt mehrfach und sieht trotz dem durchaus schaffbaren Umgang mit der Regulatorik die Künstliche Intelligenz zunächst als Mittel zur Effizienzsteigerung und der Verbesserung des OP-Workflows, noch vor dem Einsatz in Medizinapplikationen.
Zwischen all den technischen und regulatorischen Themen blieb genug Raum für Gespräche auf Entwicklerebene. Beim Business Lunch mit Alpenküche, nachmittags bei Kaffee, Stollen und Spekulatius sowie zum Abschluss bei Kaiserschmarrn und Glühwein wurden Kontakte vertieft und konkrete Projektideen diskutiert. Viele Teilnehmende nutzten die Gelegenheit, um Architekturfragen, Schnittstellenstrategien und KI-Roadmaps direkt mit Referenten und den Experten von ODU, dem TÜV Süd und Vector Informatik zu diskutieren und untereinander die aktuellen Marktbedingungen sowie technische Konzepte, Bausteine und Systeme zu besprechen.
Save the Date: Der nächste Medical Solution Day findet am 3. Dezember 2026 statt.