Mehr Vertrauen für Arzt und Patient

Rekursive KI-Systeme: Klinisches Denken statt reine Transkription

27. August 2025, 10:36 Uhr | Gastbeitrag von Florian Schwiecker, Corti AI
Die reine Transkription von Arztgesprächen ist nicht hinreichend genau, um den Kontext über Künstliche Intelligenz zu erfassen. Rekursive KI hört in Echtzeit zu und "versteht" die Zusammenhänge.
© Componeers / Canva

Eine KI, die wirklich mitdenkt? Die Entscheidungen versteht und Widersprüche aufdeckt? Rekursive KI-Applikationen unterstützen medizinisches Fachpersonal in Echzeit mit nachvollziehbarer Entscheidungslogik und erhöhen damit Sicherheit und Effizienz in der klinischen Praxis, für Arzt und Patient.

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Die Digitalisierung in der Medizin hat mit der Einführung KI-gestützter Systeme große Erwartungen geweckt. Virtuelle Assistenten und sogenannte »Ambient Scribes« sollten die ärztliche Schreibarbeit verringern und mehr Zeit für Patientengespräche ermöglichen. Doch in der Praxis hat sich dieses Versprechen bisher oft nicht erfüllt.

Statt einer Entlastung entstand zusätzliche Komplexität. Meist muss medizinisches Fachpersonal fehlerhafte KI-Resultate korrigieren, neue Risiken im Blick behalten und sich gleichzeitig in veränderten Abläufen zurechtfinden. Ihre Verantwortung für die medizinische Dokumentation bleibt dabei unverändert.

Ein zentrales Problem liegt dabei nicht allein in der Technik, sondern in der Denkweise hinter den KI-Systemen. Viele aktuelle Lösungen behandeln ärztliche Gespräche als statische Datenblöcke. Doch die Gesundheitsversorgung ist ein vielschichtiger, dynamischer Prozess. Symptome entwickeln sich, Informationen entstehen in Etappen und Kontexte verändern sich innerhalb von Sekunden.

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Florian Schwiecker von Corti AI ist Medizin-KI-Experte
Florian Schwiecker ist Experte für Medizin-KI und schreibt auch Romane dazu.
© Corti AI

Für die komplexe Realität menschlicher und medizinischer Gespräche braucht es KI-Applikationen, die nicht nur aufzeichnen, sondern mitdenken. Genau hier setzt der Ansatz des rekursiven Denkens an. Statt eine abgeschlossene Unterhaltung nachträglich zu transkribieren, analysieren rekursive Systeme den Gesprächsverlauf in Echtzeit. Sie erkennen klinische Fakten unmittelbar, gleichen sie mit bereits bekannten Informationen und dem Patientenkontext ab und fügen sie direkt strukturiert in die Dokumentation ein.

Diese Form der Echtzeitanalyse orientiert sich am Denkprozess erfahrener Kliniker. Sie erkennt Widersprüche, deutet Symptome im Kontext und passt das Verständnis fortlaufend an. Die daraus entstehende klinische Notiz ist keine bloße Abschrift. Sie bildet den Entscheidungsweg ab und schafft damit die Grundlage für transparente klinische Dokumentation.

Vertrauen entsteht durch Transparenz

Ein entscheidender Vorteil der rekursiven KI-Systeme liegt in ihrer Nachvollziehbarkeit. Viele Mediziner stehen KI skeptisch gegenüber – besonders, wenn sie Ergebnisse liefert, ohne ihren Weg dorthin zu zeigen. Rekursive KI-Systeme machen ihre Logik sichtbar und ermöglichen es, während des Gesprächs einzugreifen oder zu korrigieren. So wird die Verantwortung für die Qualität der Dokumentation nicht auf einen einzigen Moment am Ende der Konsultation verlagert, sondern über den gesamten Ablauf hinweg gesichert.

»Wenn mehrere Symptome gleichzeitig auftreten, steigt die Komplexität erheblich. Kommen dann noch widersprüchliche oder unspezifische Befunde hinzu, wird es für jeden Kliniker nahezu unmöglich, alle Informationen strukturiert zu erfassen. Genau hier kann eine intelligente, kontextbezogene Unterstützung einen entscheidenden Unterschied machen«, sagt Dr. Lasse Krogsbøll, ehemals praktizierender Arzt am Bispebjerg-Spital in Kopenhagen.

Diese kontinuierliche Begleitung im Entscheidungsprozess entspricht nicht nur klinischen Anforderungen. Sie erfüllt auch die regulatorischen Forderungen an KI-gestützte Medizinprodukte. Gefragt sind Systeme, die prüfbar, erklärbar und sicher sind.

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Mehr als nur Dokumentation

Der Ansatz des rekursiven Denkens reicht über die reine Notizenerstellung hinaus. Die zugrunde liegende Infrastruktur kann auch andere Anwendungen ermöglichen – etwa bei der Differenzialdiagnose oder bei kontextsensitiven Warnhinweisen. Dieser Ansatz verändert die Rolle von KI in der klinischen Umgebung grundlegend.

Ein anschauliches Beispiel macht das Potenzial deutlich: Eine Ärztin spricht mit einem Patienten über Brustschmerzen. Die KI erkennt dabei nicht nur den Begriff. Sie prüft automatisch, ob ein EKG fehlt, ob Wechselwirkungen mit Medikamenten vorliegen und ob frühere Laborwerte auffällig waren. All das geschieht parallel zum Gespräch. Das ist möglich, wenn KI nicht nur aufzeichnet, sondern klinisches Denken in Echtzeit unterstützt.

Technologischer Wandel mit Augenmaß

Natürlich bringt dieser technologische Wandel neue Anforderungen mit sich. Echtzeitsysteme benötigen spezielle Infrastruktur, stabile Schnittstellen, geringe Latenz und klare Validierungsprozesse. Doch diese Herausforderungen sind lösbar, vor allem wenn die Technologie gezielt für den Einsatz in der medizinischen Praxis entwickelt wurde.

Entscheidend ist dabei nicht nur die technische Leistungsfähigkeit, sondern die Integration in bestehende Prozesse. Die Lösungen müssen nachvollziehbar, editierbar und objektiv überprüfbar sein. Vor allem aber müssen sie die ärztliche Rolle stärken – nicht ersetzen.

Nicht nur automatisieren: Vertrauen zurückgewinnen

Das Potenzial von KI im Gesundheitswesen liegt nicht in der Automatisierung, sondern in der gezielten Unterstützung ärztlicher Denkleistung. Informationen müssen geordnet, kontextualisiert und verständlich gemacht werden – in dem Moment, in dem sie entstehen.

Rekursives Denken ist kein Allheilmittel. Aber es kann den Beginn einer neuen Phase markieren: einer Phase, in der Künstliche Intelligenz nicht nacharbeitet, sondern mitarbeitet. Damit rückt in greifbare Nähe, was bislang gefehlt hat: eine KI, die wirklich mitdenkt und die medizinische Versorgung spürbar verbessert. (uh)


Über Corti: Corti ist ein Forschungs- und Entwicklungsunternehmen für KI-Modelle und Infrastruktur im Gesundheitswesen mit Sitz in Kopenhagen, Dänemark. Das Unternehmen verfolgt die Mission, administrative Hürden zu reduzieren und medizinisches Wissen weltweit verfügbar zu machen. Cortis KI-Modelle lassen sich über APIs und SDKs nahtlos in bestehende Anwendungen integrieren und sollen Kosten senken sowie die Qualität der Versorgung verbessern.


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