Diabetiker erwarten Technik »ohne Pieks«

Per Raman-Spektroskopie zu Blutzuckermessung im Wearable-Format?

8. Dezember 2025, 11:21 Uhr | Ute Häußler
Eine am MIT entwickelte nicht-invasive Methode könnte Diabetikern die häufigen Fingerstiche ersparen und die herkömmliche Blutzuckermessung möglicherweise ersetzen.
© Christine Daniloff, MIT

Ein Forscherteam am MIT Boston hat ein Raman-basiertes System entwickelt, das Blutzucker ohne Pieks in die Haut misst. Zunächst auf Schuhkartonformat, nun als Prototyp in Smartphonegröße. Gelingt die Miniaturisierung, könnte die Technologie den lukrativen CGM-Markt für Diabetiker kräftig aufmischen.

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Nichts genaues weiß man nicht: Seit Jahren kursieren Ankündigungen und Versprechungen einer nicht-invasiven Blutzuckermessung direkt am Handgelenk. Apple soll mit einem geheimen Projekt bereits seit der Ära von Steve Jobs an optischen Ansätzen für die Apple Watch arbeiten, ohne dass bislang ein marktreifes System vorgestellt wurde. Nun meldet das Laser Biomedical Research Center (LBRC) des MIT einen konkreten Fortschritt: Eine kompakte Raman-Plattform, die sich von einem benchtop-ähnlichen Aufbau auf Schuhkarton- und inzwischen Smartphone-Größe verkleinern ließ.

Vom Laboraufbau zum tragbaren System

Die Forschenden setzen auf Nahinfrarotlicht, das durch ein kleines Fenster auf die Haut gerichtet wird. Aus der Raman-Streuung, also der wellenlängenabhängigen Änderung des zurückgestreuten Lichts durch unterschiedliche Moleküle im Gewebe, lassen sich charakteristische Signaturen ableiten. Der entscheidende Fortschritt der aktuellen Arbeit: Statt wie üblich ein Spektrum mit rund 1.000 Banden auszuwerten, genügen drei sorgfältig ausgewählte Spektralbereiche – einer für den Blutzucker, zwei zur Hintergrundkorrektur. Dadurch kann die optische und spektroskopische Hardware deutlich abgespeckt werden, was Abmessungen, Komplexität und Kosten der Messplattform senkt.

Erste klinische Daten und nächste Ausbaustufen

In einer Pilotstudie am MIT Center for Clinical Translation Research (CCTR) ruhte der Arm eines gesunden Probanden über mehrere Stunden auf dem Gerät, während alle fünf Minuten Messungen durchgeführt wurden. Jede Messung dauerte etwas mehr als 30 Sekunden, parallel dazu trug der Proband zwei etablierte, minimalinvasive CGM-Systeme. Die MIT-Gruppe berichtet, dass die Raman-basierten Messwerte hinsichtlich der Genauigkeit mit den kommerziellen Referenzsystemen vergleichbar waren – ein wichtiger Validierungsschritt für den optischen Ansatz.

Das MIT-Team nutzte die Raman-Spektroskopie – ein Verfahren, das die chemische Zusammensetzung von Gewebe durch Bestrahlung mit nahinfrarotem oder sichtbarem Licht offenlegt – um ein schuhkartongroßes Gerät zu entwickeln.
Das MIT-Team nutzte die Raman-Spektroskopie – ein Verfahren, das die chemische Zusammensetzung von Gewebe durch Bestrahlung mit nahinfrarotem oder sichtbarem Licht offenlegt – um ein schuhkartongroßes Gerät zu entwickeln, das den Blutzuckerspiegel ohne Nadeln messen kann.
© Courtesy of the Researchers

Aufbauend auf diesem Setup haben die Forschenden inzwischen einen deutlich kleineren Prototyp im Format eines Smartphones realisiert, der aktuell als tragbarer Blutzucker-Check bei gesunden und prädiabetischen Probanden getestet wird. Für das kommende Jahr ist eine größere Studie in Kooperation mit einem lokalen Krankenhaus geplant, diesmal auch mit Diabetikerinnen und Diabetikern. Parallel arbeitet das Team daran, die Plattform auf die Dimension einer Uhr zu bringen und die Messgenauigkeit über verschiedene Hauttöne hinweg zu sichern – ein häufig unterschätzter Faktor bei optischen Verfahren.

Geldgeber, Partner und Wettbewerb

Finanziert wird die Entwicklung durch die US National Institutes of Health (NIH), die koreanische Förderagentur für kleine und mittlere Unternehmen sowie den Industriepartner Apollon Inc. aus Südkorea. Apollon positioniert sich als Spezialist für Raman-basierte Wearables und kooperiert seit einigen Jahren mit dem MIT. Das Unternehmen hat 2024 in einer Pre-Series-A-Runde Mittel im zweistelligen Millionenbereich in koreanischen Won eingeworben und kündigt klinische Studien unter anderem am Joslin Diabetes Center an. Langfristiges Ziel ist eine Zulassung als Medizinprodukt, zunächst in den USA.

Der Markt für kontinuierliche Glukosemessung (CGM) wird heute von wenigen großen Playern dominiert: Abbott, Dexcom und Medtronic teilen sich nahezu den kompletten CGM-Umsatz. Ein zuverlässiges, wirklich nicht-invasives System – also ohne Sensorfaden im Unterhautfettgewebe – würde die Marktlogik grundlegend verändern und könnte sowohl etablierte Medizintechnikhersteller als auch Big-Tech-Anbieter unter Druck setzen. Neben optischen Konzepten wie der MIT-Plattform entwickeln Unternehmen wie Afon Technology mit dem Glucowear-System mikrowellenbasierte Wearables, die in Europa bereits Fördermittel und erste Auszeichnungen erhalten.

Perspektive: Handgelenk statt Fingerkuppe?

Derzeit können bereits viele Vitalparameter zuverläßig nicht-invasiv am Handgelenk gemessen werden, die Lücke zur »Königsdisziplin« Blutzucker kontne allerdings trotz aller Anstrengungen über die letzten Jahr(zehnt)e bisher nicht geschlossen werden. Während heute Herzfrequenz, EKG-Funktionalität, Blutsauerstoff oder Sturzerkennung verfügbar sind, bleibt Glukose am Handgelenk eine Vision – nicht zuletzt wegen der hohen Anforderungen an Genauigkeit, Kalibrierung und Langzeitstabilität.

Die aktuelle MIT-Arbeit liefert einen technisch überzeugenden Baustein: ein optisches System, das mit stark reduzierter Spektralbreite auskommt, erste klinische Validierungen vorweisen kann und durch industrielle Partnerschaft sowie öffentliche Förderung in Richtung Produktentwicklung geschoben wird. Ob daraus tatsächlich ein uhrengroßes, alltagstaugliches Wearable wird, hängt nun an der Miniaturisierung der optischen Komponenten, der Robustheit in der Anwendung – und an den regulatorischen Hürden, die bereits die etablierten CGM-Hersteller hoch gelegt haben. (uh)


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