Der Frage, ob die Branche eventuell zu spät in den Ausbau der Fertigungskapazitäten investiert habe, widersprechen die Anwesenden unisono. »Als Distributor kann ich sagen, dass alle Hersteller, mit denen wir Franchise-Verträge haben, in den Ausbau ihrer Fertigungskapazitäten investieren. Meist punktuell, dort wo Bedarf besteht.« Anders als im Halbleiterbereich, wo es auch schon mal um zweistellige Milliarden-Dollar-Beträge geht, wenn neue Fertigungsstätten errichtet werden, sind die Investitionssummen bei passiven Bauelementen deutlich niedriger.
»In bestimmten Produktbereichen kannst du schon mit 20, 30 Millionen Dollar Invest die Produktionskapazität ganz schön ausbauen«, versichert Leicher, »aber hänge ich das an die große Glocke und schreibe eine Pressemitteilung deshalb?« Bei den Herstellern passiver Bauelemente spreche man von einer multiplen Gruppe von Playern, »wenn die anfangen, parallel zu investieren, kommt da schon was zusammen«, ist sich Heel sicher. Seit 2018/19 hätten Kemet und Yageo deutlich in den Ausbau der Fertigungskapazitäten investiert und das auch kommuniziert.
Reinecke bestätigt das: »Yageo hat 2018 massiv in Kapazität investiert und unmittelbar danach die Preise hochgezogen, weil sie wussten, wenn sie das nicht schnell machen, kriegen sie ihr Invest vielleicht nicht mehr zurück.« Es kam anders, wie man heute weiß. Dass zuvor weniger in den Produktionsausbau in der Branche investiert wurde, führt Reinecke darauf zurück, »dass die Preise ja so runtergeprügelt waren, dass es einfach keinen Sinn gemacht hätte, in den Fertigungsausbau zu investieren«. Im Zusammenhang mit dem Jahr 2017 spricht der TTI-Manager dabei von einem Game Changer für die Branche.
Und wie lange dauert es dann, bis die neu geschaffenen Produktionskapazitäten dann am Markt zur Verfügung stehen? Gebäude lassen sich relativ schnell errichten, die Lieferzeiten des Fertigungs-Equipments liegen bei ein bis eineinhalb Jahren und sind damit ein zeitlich beschränkender Faktor. »Da wir viele Fertigungsmaschinen und Test-Equipment selbst herstellen, trifft uns das nicht so hart«, erläutert Scheel, »im Best Case kommen die ersten neuen Produkte schon nach einem Jahr aus der neuen Fabrik; bis die Fabrik auf voller Leistung läuft, können dann schon mal zwei Jahre vergehen«.
Auffällig ist beim Thema Investitionen in den Fertigungsausbau, dass nicht mehr schwerpunktmäßig in den Ausbau der chinesischen Fertigungen investiert wird. Malaysia, Vietnam, Thailand, die Philippinen sind die Orte, in die verstärkt investiert wird. Das Ziel, von China aus auch einen großen Teil der Welt zu versorgen, es tritt zurück. Eine Veränderung, für die neben gewissen geopolitischen Veränderungen auch ganz profane Gründe verantwortlich sind: China ist als Fertigungsstandort teuer geworden. Andere asiatische Standorte, aber auch Mexiko und Osteuropa sind inzwischen kostengünstiger als China.
Bedeutet das eine prinzipielle Abkehr von China? Nein! Zwar wird dort kein neuer Grund mehr für neue Fabs erworben, aber der chinesische Binnenmarkt ist wahrlich groß genug, um dafür zu sorgen, dass ausländische Hersteller in China produzieren müssen, wenn sie den Heimatmarkt des Landes bedienen wollen. Könnte das in Zukunft Chancen für eine eventuelle Rückkehr asiatischer Fertigung nach Europa bedeuten?
»Im Bereich der Standard-Massenprodukte ganz bestimmt nicht«, ist sich Scheel sicher, und auch sein Kollege Sauer kann sich das nicht vorstellen. Was den japanischen Herstellern fehlt, sind Fertigungsstätten in Mexiko oder Osteuropa. »Es wäre mir aber auch neu, wenn darüber jemals nachgedacht worden wäre«, so Sauer. »Welcher Kunde wäre schon bereit, für MLCCs aus einer europäischen Fertigung mehr zu bezahlen«, fragt Bittigkoffer rethorisch. Wenn die Not groß sei, dann schreie man nach europäischer Fertigung, so der Rutronik-Manager; »ist die Allokation vorbei, interessiert das keinen mehr«.
Natürlich gibt es Fertigungen für passive Bauelemente in Europa, aber sie konzentrieren sich auf wertige oder schwere Produkte, bei denen die Transportkosten ins Geld gehen. Bittigkoffer verweist darauf, dass beispielweise AVX in Tschechien hochpreisige Polymer-Kondensatoren fertigt; die ganzen Standard-Tantals würden aber inzwischen in El Salvador hergestellt. Vishay seinerseits produziere in Portugal große Folienkondensatoren in Becherbauform, »auch da spielen Fracht- und Transportkosten eine wichtige Rolle«.